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[art_1] Brasilien: Die Welle, die aus dem Meer kam (Teil II); (Teil I)
Brasilien und der Bossa Nova



Rio de Janeiro / Wave von A Três: [a-tres-wave.mp3]

Während der Bossa Nova 1964 weltweit seinen Siegeszug fortsetzte, trübte sich in Brasilien die Stimmung deutlich ein: am 01. April 1964 putschte das brasilianische Militär gegen die demokratische gewählte Regierung.

Die Antwort der Kulturschaffenden war eine zunehmende Verschiebung des Fokus – man wollte das wirkliche Brasilien einfangen. Besonders das Cinema Novo, das "neue (brasilianische) Kino", machte sich auf die Suche nach der Essenz der "Brasilidade", des irgendwie unausgefüllten brasilianischen Bewusstseins. Bossa Nova geriet zunehmend ins Hintertreffen.



Sergio Ricardo
Der Musiker, Filmregisseur und Maler Sergio Ricardo: Wir vom Cinema Novo hatten eine ganz andere politische Sorge – wir wollten das Land verändern, aber ohne Krieg. Wir wollten mit dem Hunger aufräumen, mit der Armut, mit der Plünderung der Staatskassen und der ungesühnten Korruption. Mit all den Geschwüren, die Brasilien seit seiner Gründung plagen. Aber wir haben dies nicht geschafft. Denn unsere Maschinengewehre waren unsere Gitarren, unsere Filmkameras. Deshalb waren wir nicht in der Lage, etwas auszurichten.

In Brasilien hatte der Bossa Nova stets eine Tendenz, besonders in den Oberschichten des Landes beliebt zu sein. Musik der Elite nannte man ihn oft und während der Militärdiktatur war er DER Verkaufsschlager Brasiliens. 

Zwar wurden neue kritisch-politische Töne unterdrückt. Doch die Jugend verschaffte sich Zugang zu den westlichen Popkulturen und hörte Bob Dylan, Beatles und Rolling Stones, ließ sich von Woodstock und der Anti-Vietnam-Bewegung beeinflussen. Und 1968 begann auch in Brasilien der Protest der Studenten – ein Reflex auf die zunehmende politische Unterdrückung durch die Militärs. 

Viele junge Musiker wie Gilberto Gil und Chico Buarque gingen ins Exil. Bossa Nova war zwar ihre musikalische Basis, aber als Transportmittel für ihre politischen Botschaften nicht mehr passend. 

Die schneidenden Orgel- und E-Gitarrenklänge von Caetano Velosos "Alegria Alegria" (1967) verkündeten die Ankunft einer neuen Zeit. Einer Zeit des Aufbegehrens der Jugend, der Befreiung. "Gegen den Wind gehend, ohne etwas zum zudecken oder irgendeinen Ausweis dabei..." lautet die Anfangszeile des Liedes, das für viele den Beginn der brasilianischen Popmusik bedeutet.

Die Jugend von 1968 war nicht mehr die Jugend von 1958. Und der Bossa Nova plötzlich ein Auslaufmodell. Sergio Ricardo: Der Bossa Nova wurde zu etwas, dass das an der Erneuerung des Landes interessierte Publikum nicht mehr interessierte. Man wollte Lieder hören, die von der politischen Realität erzählten. Und so tauchten neue Musiker auf, die die Dinge Brasiliens auf den Punkt bringen wollten. Aber sie bedienten sich neuer Musikstile, die für die breite Masse zugänglicher waren.

(Garota de Ipanema von A Três: [a-tres-garota-de-ipanema.mp3])

Populär blieben die Melodien des Bossa Nova aber trotzdem. Zumindest bei einem Teil des Publikums.

Der Historiker und Bossa Nova Biograph Ruy Castro auf die Frage, ob der Bossa Nova die Musik der Elite oder eher der breiten Masse ist: Bossa Nova begann tatsächlich als sehr komplexe Musik, obwohl sie gleichzeitig sehr schön war. Und sie hatte einen gewissen Erfolg, aber dies natürlich vor allem unter der so genannten Elite des Landes. Allerdings, mittlerweile sind ja jetzt schon 50 Jahre vergangen und ich wage zu behaupten, dass jeder Brasilianer, wenn er "Chega de Saudade" oder zahlreiche andere Lieder des Bossa Nova  hört, in der Lage wäre, mitzusingen.

Dennoch ist es eine Ungerechtigkeit zu sagen, dass Bossa Nova nur in der Elite gehört wird, wie dies (der Musiker) Carlos Lyra verkündet hat. Klar war Bossa Nova immer die Musik der Elite, der Leute, der Musiker, die reisen, die über den Tellerrand hinaus gucken konnten. Diese Leute mochten nicht den Samba, sondern den Bossa Nova.

Wenn aber plötzlich jemand im Maracanãstadion auftauchen, mitten auf dem Platz, und "Chega de Saudade" singen würde, würden die Menschen auf den Rängen mitsingen.


Ruy Castro

Während in Brasilien die Stimmung zusehends ungemütlicher wurde, feierte Tom Jobim in den USA immer größere Erfolge. 1967 nahm er mit Frank Sinatra ein Album mit seinen größten Hits auf. Doch für die neuen Intellektuellen Brasiliens war Tom Jobim ebenso eine Art des "Bewahrers des Establishments" wie sein Gesangspartner Sinatra für die Anti-Vietnam-Bewegung in den USA.

Sergio Ricardo über die Stimmung Ende der 60er Jahre: Es gab eine Kategorie von Künstlern, die sich nicht um ihre politische und kulturelle Realität scherten, die diesen Moment als einen ästhetischen Moment lebten. Es ging um die Suche nach der Schönheit, darum, die schönsten Melodien zu kreieren, die schönsten Gedichte zu erschaffen, - und man erschuf viele Momente großartiger Schönheit. Aber auf eine Art blieb dies alles auf Distanz zur Realität Brasiliens. Denn eigentlich war man in Brasilien bereits auf der Suche nach etwas ganz anderem: die engagierten Künstler suchten nach ganz anderen Wegen. Wir erreichten andere Territorien Brasiliens, die nicht Rio de Janeiro waren. Denn der Bossa Nova war sehr begrenzt auf  die zerbrechliche Liebe, die Zartheit der Interpretation, die Sorge um die Feinheit, die Schönheit der Dinge. 

Edle Motive, die aber nicht mehr allzu gefragt waren. Denn die Zeichen standen auf Sturm und die Zeit des Bossa war endgültig abgelaufen. Sergio Ricardo: Es ging halt so lange, wie es ging. Bis heute leben diese Lieder in unserer Erinnerung; umgeben von einer unübertroffenen Schönheit. 



Sergio Ricardo

Ruy Castro zieht ein Fazit, 50 Jahre nachdem alles begann: Der Bossa Nova hat gezeigt, dass es möglich ist, hoch qualitative Musik zu machen, die gleichzeitig populär ist. Und der Bossa Nova hat der Populärmusik der ganzen Welt sehr gut getan. Er hat gezeigt, dass ein Land der Dritten Welt etwas so komplexes und verfeinertes hervorbringen kann, so schön und so von Dauer. Nicht nur in Brasilien wird der 50. Geburtstag des Bossa Nova gefeiert – auf der ganzen Welt erscheinen CDs mit Bossa Nova.

Es scheint ein weltweites Bewusstsein zu geben, dass der Bossa Nova einen wichtigen Geburtstag feiert. Das bedeutet, dass er immer noch präsent ist. Es ist in der globalen Musikszene spürbar. Zwar findet man den Bossa Nova nicht in den Hitparaden, aber die große Populärmusik der USA ist dort auch nicht vertreten, ebenso wenig wie die große französische oder italienische Musik oder die der Karibik.  

Obwohl es ja eigentlich immer dieselben Lieder sind, ist es erstaunlich, wie sie konsumiert werden. Warum nutzt man das nicht aus und komponiert neue Lieder? Man greift immer wieder auf die alten Lieder zurück. Ich wäre froh, wenn es einen Erneuerungsprozess geben würde.







Rio de Janeiro, Lagune / [a-tres-2.mp3]

Interview mit der brasilianische Frauenband A Três in São Paulo

Wieso habt Ihr Euch entschieden, 40 oder sogar 50 Jahre alte Lieder zu spielen? 
Wir drei sind alle Töchter von Musikern und somit bereits in ein musikalisches Umfeld hineingewachsen. Mit der Musik des Bossa Nova sind wir groß geworden, so dass das eigentlich eine ganz natürliche Entwicklung war. Und das Wichtigste ist: wir mögen diese Art von Musik nun einmal. 

Zudem ist der Bossa Nova immer modern, stets aktuell. Und er ist reich an Harmonien, er ist synkopisch und das führt dazu, dass er immer irgendwie neu ist. Warum sollte man den Bossa Nova also als alt betrachten?

Bossa Nova wird für uns niemals alt sein. Ich hatte nie eine Phase, in der ich lieber Rock gehört habe. Das führte dazu, dass sich die anderen über mich lustig machten als ich noch ein Kind war. Aber das war mir egal, ich war immer glücklich mit meinem Musikgeschmack. 

Zudem gab es vor 50 Jahren Leute, die viel modernere Sachen gemacht haben als das, was heute so produziert wird. 

[a-tres-3.mp3] 

Was ist denn musikalisch gesehen so neu am Bossa Nova gewesen? Der Rhythmus?
Der Bossa Nova wird oft für einen musikalischen Rhythmus gehalten. Dabei stimmt das nicht ganz. Der Bossa Nova war in den 60er Jahren eine Bewegung, eine Lebensweise, Mode, "Garota Bossa Nova" wurde zu einem Sinnbild – letztlich kommt das also alles zusammen, ist ein Mix von all dem, was man damals gelebt hat. Auch vom Samba-Jazz ist etwas mit dabei. Johnny Alf zum Beispiel mag den Begriff Bossa Nova überhaupt nicht. Er sagt, dass er Samba-Jazz spielt...

Deshalb ist Bossa Nova eigentlich vielmehr eine Gattung als ein Rhythmus. Denn vom Rhythmus her ist es ja eher eine Variante der Samba.

Bossa Nova fand in Rio in den so genannten "goldenen Jahren" statt. War alles nur schön und easy? 
Nun, die Jugendlichen der Bossa Nova Bewegung kamen nun einmal aus gutem Hause und hatten die wirtschaftlichen Voraussetzungen, um den Tag über am Strand zu sein und sich der Musik hinzugeben. Das ist ja immer auch ein Kritikpunkt. Dabei wissen wir, dass das Rio der 50er Jahre auch nicht nur ein Meer aus Rosen war. So golden waren diese Jahre nun auch nicht.

Und heutzutage sehen die Dinge ja auch ganz anders aus. Wer heute Geld hat, kann es nicht wirklich genießen. Man kann nicht mehr in aller Ruhe an den Strand gehen, sondern muss Angst haben, dass man überfallen wird.


In diesem Sinne waren die 50er und frühen 60er Jahren wirklich "goldene Jahre". Die Leute damals konnten das Leben noch leben, im Gegensatz zu heute.


[a-tres-4.mp3] 


Der Tropicalismo löste den Bossa Nova Ende der 60er Jahre ab. Gab es dabei einen Rückschritt in Bezug auf die Qualität?
Wie alles im Leben ist auch dies eine zyklische Entwicklung. Man brauchte halt etwas Neues, dachte sich: jetzt haben wir aber genug über den blauen Himmel und das Meer gesungen. Es war zwar nett, aber jetzt muss was Anderes her. Aber das sind zwei verschiedene Bewegungen, die beide ihren Wert besitzen. Ich respektiere den Tropicalismo.

Es gibt genug Platz für alle Stilrichtungen.

Text + Fotos + Interview: Thomas Milz


mp3-Files: A Três, http://www.myspace.com/grupoatres

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