caiman.de 12. ausgabe - köln, dezember 2001

Deutschlands Platz an der Sonne
Kolonialpolitik in Venezuela

1884 schlägt die Geburtsstunde des Deutschen Kolonialreiches: Südwestafrika und Kamerun hissen schwarz-rot-gold. Doch Reichskanzler Fürst von Bismarck ist von der internationalen Modeerscheinung, die Welt unter den Großmächten aufzuteilen, unbeeindruckt. Kolonialpolitik spielt in seinen Regierungsgeschäften keine Rolle. Und genau das kostet den Initiator der ersten Deutschen Einheit den Kopf: Willhelm II., frisch zum Kaiser gekrönt, enthebt ihn seines Amtes.

An die Stelle Bismarcks treten Männer mit Fernweh und Größenwahn. Zunächst Caprivi, der den „Neuen Kurs“ einläutet, den Aufbruch Deutschlands zur Weltmacht. Dann Bülow, der am 6.12.1897 verkündet: „Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“

Schon damals erreichen Imperialisten vom Schlage Reichskanzler Bülows das Ohr des Volkes. Und bald wird der Druck auf das anti-kolonial orientierte Parlament so groß, dass dieses dem Ausbau der Flotte zur Jahrhundertwende zustimmen muss. Nach vollbrachter Arbeit, Deutschland ist alsbald einer der drei größten Kampfflotten-Besitzern weltweit, soll dem fröhlichen Kolonien einverleiben nichts mehr im Wege stehen. Doch Erfolge in Übersee bleiben aus, und der politische Wind dreht sich. Die Presse, unlängst Komplize in Rüstungsfragen, bläst der Regierung und dem Kaiser nun frontal ins Gesicht. Zum einen prangert sie an, dass die Aufteilung der Welt weiterhin ohne deutsche Beteiligung von statten gehe, zum anderen – und dies beherrscht die Schlagzeilen – verspottet sie die deutsche Regierung, nicht einmal fähig zu sein, ihre Landsleute in Übersee zu schützen. Deutsche Kaufleute, von minderwertigen Regierungen gepeinigt, seien angewiesen auf die Hilfe einer englischen Flotte.
Besonders in Bezug auf Venezuela häufen sich zur Jahrhundertwende die Interventionsforderungen. Hier sind es nicht nur Kaufleute und große Reedereien, sondern insbesondere der Zusammenschluss einflussreicher Unternehmen und Banken; Geldgeber der umfangreichsten Investition in Amerika – der Großen Venezuela Eisenbahn. Anders als englische und nordamerikanische Kollegen, die mit weitaus geringerem Aufwand bereits Bahnstrecken im Karibikland realisiert haben, wollen die deutschen Bauherren mit kostspieliger Qualität und Wertarbeit ein Zeichen setzen. Der Schuss geht nach hinten los. Denn Venezuela, abhängig von der Entwicklung des Kaffeepreises auf dem Weltmarkt, ist selten zahlungsfähig. Und spätestens nach dem Regierungswechsel von 1898 werden die Zahlungen ganz eingestellt. Der neue Präsident Castros erklärt alle Verträge mit ausländischen Unternehmen, die außerhalb seiner Amtszeit geschlossen wurden, als nichtig.

Ende 1899 endlich entsendet die deutsche Marine Kriegsschiffe nach Venezuela. Diese kreuzen drei Jahre lang vor der Küste. Am 13. Dezember 1902 erhalten sie Befehl, die Stadt Puerto Cabello unter Beschuss zu nehmen. Genau drei Monate später sind die Streitigkeiten beigelegt.
Die USA hatten sich kurzfristig auf die Seite Castros geschlagen und per Unterhändler der deutschen Einsatzleitung unter des Kaisers Führung zu verstehen gegeben, dass ein deutsch-nordamerikanischer Krieg kurz bevor stehe.
Es werden Regelungen getroffen bei denen Deutschland leer ausgeht. Einem möglichen Krieg gehen die wortgewaltigen Politiker des Reiches aus dem Weg, zumindest auf Zeit. Es folgen keine weiteren kolonialpolitischen Expansionsbestrebungen in Lateinamerika.

Dabei wäre alles so einfach gewesen! Nein, nicht der Krieg mit den USA, der in erster Linie von der Position Englands abhing. Auch nicht die Streitereinen mit der Regierung Castros, zu denen es gar nicht erst hätte kommen müssen. Nein! Schon zuvor hatten venezolanische Mittelsmänner als Entschädigung für die Eisenbahninvestitionen einen aus heutiger Sicht unbezahlbaren Gegenwert feil geboten: die Insel Margarita! Ein Ferienparadies, welches seit gut einem Jahrzehnt immer mehr von Bundesbürgern heimgesucht wird, die sich ihren Platz an der Sonne sichern möchten. Und so wird dem einstigen Kolonial-Motto unter Wilhelm II. doch noch zu seiner Verwirklichung verholfen. Was er jedoch nicht wissen konnte, ist, dass die Quintessenz seiner Rede Jahrzehnte später mit Mallorca und Ballermann, Dominikanische Republik und all inclusiv oder Isla Margarita und glauben Venezuela gesehen zu haben in die Umsetzungsphase treten wird.
Das deutsche Kolonial-Komitee, welches einst über das Angebot seitens Venezuelas befinden sollte, hatte die Insel als wertlos zurück gewiesen.

text: dirk klaiber + bilder: katharina schlieben