logo caiman
caiman.de archiv
 

Spanien: Der Tag der Himmelsköniginnen - Palmsonntag in Sevilla

13. April 2003, 14.00. Ein Sonntagnachmittag in Sevilla. Das Thermometer nähert sich der 30° - Marke und der lichtdurchflutete María-Luisa-Park ist bevölkert mit spielenden Kindern und im Gras sitzenden Großfamilien, die neben Kinderwagen mit Sonnenschirmchen die Reste eines Picknicks vertilgen. Der ganze Park ein Mosaik aus Farben und Düften: flammendrote Schwertlilien, Fächerpalmen, weiß und rosa blühender Oleander, Jasmin und Orangenblüten. Angesichts der fröhlichen Massen in Frühlingsstimmung fühlt man sich an Picassos Werk "Der Frieden" erinnert. Besonderer Trubel herrscht rund um die Plaza de España, wo sich Kinder in Sonntagskleidung in überfüllten Tretbooten im Kanal rund um den Platz Wasserschlachten liefern. Auf den schönen Keramikbänken schwören sich verliebte Paare ewige Treue. Wenn es das Wort "Romantik" noch nicht gäbe, hier und jetzt müsste es dringend erfunden werden.

Ein weißer Triumphzug zur Kathedrale
15.00. Doch nein, es ist kein Frühlingssonntag wie jeder andere. Denn in all diese Szenen vergänglichen Glücks dringen mit Macht Vorboten der Ewigkeit ein. Schmetternde, leicht schrill klingende Trompeten erzwingen Aufmerksamkeit, öffnen eine Gasse durch die Menschenmenge in der Allee vor der Plaza de España. Unheimlich vermummte Wesen bahnen sich unerbittlich ihren Weg durch diesen andalusischen Garten Eden, der sich jetzt in den Garten Gethsemani verwandelt. Denn heute ist Sevillas wichtigster Sonntag im Jahr: Palmsonntag.

Drei große Gestalten mit weiß leuchtenden Tunikas und Kapuzen, die nur die Augen frei lassen, schreiten wie verirrte Nachtgespenster im Licht der Nachmittagssonne. Die mittlere der Gestalten trägt ein silbernes Kreuz. Nachts würde man sich bei ihrem Anblick erschrecken, im Tageslicht haben diese weiß gewandeten Büßer ("Nazarenos") der Bruderschaft "La Paz" etwas Unwirkliches.

Es ist die erste Prozession, die in der Karwoche in Sevilla ihre Kirche verlässt. Die 1300 Nazarenos aus dem Neustadt-Viertel El Porvenir im Süden Sevillas haben einen weiten Weg zur Kathedrale zurück zu legen. Noch beschwerlicher als für die Nazarener, die nur Kerzen tragen, ist der Weg für die "Costaleros" genannten Träger der beiden tonnenschweren Altarbühnen ("Pasos").

Christus des Sieges vor der Kathedrale von Sevilla

Diese Träger schuften versteckt hinter Samtvorhängen, daher sehen sie nichts, sondern sind zusammengepfercht im Dunkel unter dem "Paso", ganz auf Anweisungen ihres "Dirigenten" angewiesen.

Im Takt eines schmetternden Marsches nähert sich schwankend die erste der reich verzierten, zwei Meter breiten und circa fünf Meter langen Plattformen, deren Figuren eine Szene des Kreuzwegs Christi imitieren. Mit jedem Sonnenstrahl, der durch die Bäume fällt, blitzt sie golden auf. Eingerahmt von barocken Kerzenkandelabern, auf einem Hügel roter Nelken, steht der kreuztragende Christus mit bordeauxrotem Gewand. Er wird umringt von Skulpturen, die römische Legionäre und Folterknechte darstellen. Direkt vor dem Südturm der Plaza de España wird der Paso angehalten. Völlig verschwitzt krabbeln einige der 48 Träger darunter hervor und greifen nach eifrig hingehaltenen Wasserflaschen.

Diese sonnigen Siesta-Stunden, wenn die Temperaturen den Höhepunkt erreichen, sind für die Träger des "Jesús de la Victoria" - so der militärisch klingende Name der Christusstatue - besonders anstrengend.

Der Name "Christus des Sieges" hat hier einen bitteren Beigeschmack, denn die Bruderschaft wurde 1939 von einer Gruppe von Offizieren gegründet, die Franco-Anhänger und damit "Sieger" des damals beendeten Spanischen Bürgerkriegs waren. Inzwischen hat sich allerdings dieser Makel der Entstehung verwischt und viele Bewohner des Stadtviertels Porvenir aller politischen Richtungen sind der Bruderschaft beigetreten.

Doch alle, die den Paso dieses Christus als zu "militärisch" ablehnen, geraten ins Schwärmen, als kurze Zeit später der zweite Paso auftaucht: die "Virgen de la Paz", die "Jungfrau des Friedens". Diese erste von acht Himmelsköniginnen, die heute durch Sevilla getragen werden, erscheint leuchtend am Ende der sonnendurchfluteten Allee.

Die Zuschauer, die zwischen den beiden Pasos angeregt schwatzen, werden schweigsamer, als sich die schöne Madonna nähert. Wie die anderen Statuen der Bruderschaft ist auch sie ein Werk des Bildhauers Antonio Illanes von 1940. Ihr Paso wird dominiert von strahlendem Weiß - der Symbolfarbe des Friedens.


Die Jungfrau des Friedens mit transparentem Baldachin
Der elegante Baldachin ist aus transparenter Spitze, Dekoration und Krone der Jungfrau sind aus Silber ohne Vergoldung. Besondere Schlichtheit zeichnet diesen Paso aus: er ist nicht barock, sondern neo-gotisch, und der Madonnenmantel aus schlichtem Weiß, ohne die übliche Goldbrokat-Verzierung. Die Träger haben die Virgen de la Paz nun abgesetzt und sie wird eingehüllt von Weihrauchnebel und Blitzlichtgewitter.

Das Bild dieser "Jungfrau des Friedens", eingerahmt von den Parkbäumen vor der Plaza de España, ist seit Jahrzehnten die erste klassische Szene, mit der die heilige Woche Sevillas eröffnet wird.

Ein Kinderfest rund ums "Eselchen"
15.30. Wir befinden uns in der schönen Gasse "Cuna", unweit von El Salvador, der größten Kirche Sevillas. Wieder defiliert eine Doppelreihe weiß gewandeter Nazarenos an uns vorbei. Es gibt jedoch einen Unterschied zu "La Paz". Diese Nazarener hier sind fast alle so klein, dass man sie auf den Arm nehmen könnte. In der Tat gehen am Rand der Prozession unmaskierte Mütter mit, die als Nazarenos verkleidete Kinder tragen oder an der Hand führen. Denn den "Einzug Jesu in Jerusalem" begleiten fast nur Kinder. Im Volksmund wird diese Prozession "La Borriquita" genannt: das "Eselchen" (nach dem Reittier, das Christus trug).

Es handelt sich bei La Borriquita aber nicht um eine "Kinder-Bruderschaft", wie viele glauben, sondern um einen Zweig der Bruderschaft "El Amor", die kurioserweise als einzige in Sevilla zwei Prozessionen ausrichtet. Während beim "Eselchen" nur weiß gekleidete Kinder mitgehen und das Ambiente fröhlich und ungezwungen wirkt, sind bei der nächtlichen Hauptprozession von "El Amor" alle Teilnehmer Erwachsene und ganz in Schwarz gehüllt. Schweigen und Trauermärsche dominieren die Stimmung.

Als sich der pompöse Paso mit Jesu Einzug in Jerusalem nähert, kommt - wie vor 2000 Jahren in Zion - Volksfest-Stimmung auf, der Lärmpegel steigt und von den Balkonen der Gasse brandet Applaus. Der Paso ist fast Nebensache und künstlerisch von zweifelhaftem Wert.

Faszinierend bei dieser Prozession ist eher die Atmosphäre, die an einen riesigen Open-Air-Kindergeburtstag erinnert. Denn auch die Mehrzahl der Zuschauer sind Kinder und traditionell bekommen am Palmsonntag in Sevilla alle Kinder etwas von den Großeltern geschenkt.

16.00 in der Calle Zaragoza. Schräg und leicht gequält klingende Trompeten kündigen die nächste Szene der Semana Santa an. Aus der "Kapelle des größten Schmerzes" strömen Nazarenos mit cremeweißer Tunika und schwarzen Kapuzenmasken.

Sevillaner Kinder spielen Semana Santa

Es ist die kleinste und bescheidenste Prozession des Tages, an der nur 500 Büßer teilnehmen. Daher muss man nicht lange auf den ersten Paso warten, der jetzt in die Calle Zaragoza einbiegt. Dieser große, neo-barocke Paso des "Jesús Despojado" ist originell, er kombiniert dunkles Edelholz mit vergoldeten Reliefs. Die dramatische Szene zeigt Christus als Folteropfer, halbnackt und seiner Kleider beraubt, flankiert von zwei römischen Soldaten und bedrängt von Folterknechten. Die Darstellung wirkt sehr dynamisch, man spürt fast körperlich die Brutalität der Folterer, die Jesus einen Essigbecher reichen, bevor sie ihn ans Kreuz schlagen.

Die Tatsache, dass der Künstler Antonio Perea diesen gefangenen und gefolterten Christus 1939 im Gefängnis bzw. in einem von Franco nach Ende des Bürgerkriegs für seine Gegner angelegten Konzentrationslager vollendete, erhöht auf schon makabre Weise die Glaubwürdigkeit und Intensität dieses Kunstwerks. Denn die Empfindungen, die im Gesicht dieser Statue zu lesen sind, basieren auf sehr konkreten eigenen Erfahrungen, die Perea als Kerkerinsasse während der ersten Phase der Franco-Ära machen musste.

Obwohl die Vereinigung des "Jesús Despojado" noch relativ neu (gegründet 1936) ist, gehört sie zu den jungen Bruderschaften, die mit viel Enthusiasmus und Engagement bei der Sache sind und einerseits den altehrwürdigen Cofradías nacheifern, andererseits aber auch offener für Modernisierungen sind. Alle Skulpturen des Paso sind neo-barock und entstanden - außer der Christusstatue - erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dennoch bilden sie ein ergreifendes Szenarium, das sich gekonnt an alten Vorbildern orientiert. Jetzt entfernt sich die Figurengruppe und biegt schwankend um die Ecke.

Druckversion

weiter zu Teil 2     








 
Archiv
nach




© caiman.de - impressum - disclaimer - datenschutz pa´rriba