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caiman.de 6. ausgabe - köln, 01. juni 2000
portugal

Lissabon: Die zwei Begräbnisse des portugiesischen Nationaldichters

pa`rriba


Am 10. Juni 1880 konnte man in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon Zeuge einer bizarren Zeremonie werden. Einige Kilogramm nicht wirklich identifizierbarer Knochen wurden von der Kirche Santa Ana feierlich in eine Grabesgruft im grandiosen Hieronymus-Kloster im westlichen Lissabonner Stadtteil Belém überführt. Es sollte sich dabei um die sterblichen Überreste des portugiesischen Nationaldichters Luis Vaz de Camões handeln. Dieser war exakt 300 Jahre vorher an der Pest gestorben. Da er in Armut und Vergessenheit geraten war, hatte man seinen Leichnam in ein anonymes Massengrab geworfen, wie es in Pestzeiten oft der Fall war.

Erst im Zuge des aufkommenden Nationalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regte sich offenbar das "schlechte Gewissen" im portugiesischen Königshaus, und man entschloß sich, Portugals größtem Dichter eine offizielle und würdige Grabstätte zu widmen.
Camões wurde Mitte der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts (genaues Geburtsjahr unbekannt) in der Universitätsstadt Coimbra geboren, lebte ab 1542 in höfischem Ambiente in Lissabon, von wo er aber wegen der Liebe zu einer Hofdame 1549 verbannt wurde. Danach nahm er am Krieg in Nordafrika teil wo er in der Schlacht um Ceuta ein Auge verlor und wenig später, im Jahre 1551, warf man ihn nach einem Duell in den Kerker.
Das Schicksal schien es nicht gut mit ihm zu meinen, denn zu allem Überfluß wurde er zur Strafe noch einmal in Verbannung geschickt, diesmal in die portugiesischen Niederlassungen in Indien.

"Que, da Ocidental praia Lusitana,
Por mares nunca antes navegados..."
("...vom westlichen Gestade Lusitaniens
durch niemals zuvor durchschiffte Ozeane")

So beginnt er die "Lusíadas", sein gewaltiges patriotisches Epos, das sich allerdings nicht auf seine eigene Seefahrt nach Indien bezieht, sondern die Entdeckung des Seewegs nach Indien durch Bartolomeu Diaz (1487 bis zum Kap der Guten Hoffnung) und Vasco da Gama (1498) thematisiert.
Nach dem Modell von Vergils "Aeneis" erzählt Camões in diesem monumentalen Werk in zehn "Cantos" und in der während der Renaissance so beliebten Versform der "Octavas" (Strophen aus acht Elfsilbern) die Heldentaten der portugiesischen Entdecker bei der ersten Umsegelung Afrikas. Dabei betont er ausdrücklich, daß nicht die großen Taten einzelner Helden wie Vasco da Gama im Mittelpunkt der "Lusíadas" stehen sollen, sondern die Leistung eines ganzen Heldenvolkes: das der Portugiesen.
Kurioserweise ist dieses Nationalgedicht Portugals zwischen 1553 und 1570 im fernen Indien entstanden. Bei der Errichtung ihrer "Gewürzkolonien" in Goa und Umgebung waren Vasco da Gama und seine Kollegen – wie alle Abgesandten von Kolonialmächten – waren nicht gerade zimperlich in der Wahl ihrer Mittel. Und es gehört zu den Vorzügen seines literarischen Werks, daß Camões neben sprachlich-poetischer Brillanz und der Einflechtung von originellen phantastischen Erscheinungen wie dem Riesen Adamastor, der zum Kapgebirge verzaubert wird, auch durchaus kritische Passagen bietet, in denen er die Geldgier der portugiesischen Conquistadores heftig anprangert. Am Ende des 9. Gesangs warnt er:

"E ponde na cobiça um freio duro...
...porque essas honras vãs, êsse ouro puro,
Verdadeiro valor não dão à gente..."
("Und legt eurer Habsucht feste Zügel an,
...denn solche Ehren, all dies reine Gold
verleiht den Menschen keinen wahren Wert...")

Auf einer der vielen Fahrten durch den Indischen Ozean erlitt Camões nahe bei Goa Schiffbruch. Er beschreibt in den Lusíadas", wie er mit einem Arm die "turmhohen Wellen" teilte und mit dem anderen das wertvolle, fast fertige Manuskript seines Epos – Resultat jahrzehntelanger Arbeit – über Wasser hielt, um es ins Trockene zu retten. (Wenn er tatsächlich mit turmhohen Wellen kämpfte, ist dieses Wunder schwer vorstellbar. Aber wie man sieht, sind PR-Aktionen zur Ankurbelung der Verkaufszahlen von Büchern keine Erfindung unseres Zeitalters.) Als die "Lusíadas" im Lepanto-Jahr 1571 nach Camões Rückkehr in Lissabon gedruckt wurden, avancierten sie zu einem der großen Bestseller des 16. Jahrhunderts. Dieser Erfolg verhinderte leider nicht, daß Camões 1580 in Armut und Vergessenheit starb. Sein Tod markiert, zusammen mit dem des jungen Königs Sebastião I. (1578), einen Tiefpunkt in der Geschichte Portugals und das Ende des Manuelinischen Zeitalters. Das eindrucksvollste Zeugnis dieser Epoche ist heute wohl die größte Sehenswürdigkeit Lissabons: das wunderbare Hieronymus-Kloster im manuelinischen Stil der portugiesischen Renaissance. Und hier befindet sich nun, passend plaziert zwischen den Grabmonumenten König Manuels des Großen und Vasco da Gamas, die letzte Ruhestätte der Gebeine von Luis de Camões. Zumindest offiziell, denn niemand kann wissen, wessen Knochen es wirklich sind, die hier zwischen den eleganten Säulen der Klosterkirche von Belém zum Zweck der nationalen Verehrung unter Marmorplatten gebettet wurden. Der Bau des riesigen Hieronymus-Klosters ist übrigens durch einen Sonderzoll auf den Handel mit indischen Gewürzen finanziert worden, und so schließt sich wiederum der Kreis zwischen den beiden Heimatstädten von Camões, Lissabon und Goa. In Goa fand er die Inspiration zu dem Werk, das ihn unsterblich machte und das er später in Lissabon drucken ließ. Und aus Goa kam letztlich das "indische Gold" (Gewürze), mit dem das Gebäude errichtet wurde, das später seine Grabstätte in Lissabon werden sollte.

(Berthold Volberg)

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