caiman.de 09. ausgabe - köln, 2001

Die Stimme der Inkas: Yma Sumac

Ein musikalisches Wunderwesen ist sie noch immer, stimmgewaltiger als jede
Opernsängerin; charismatisch, geheimnisvoll und von blendendem Aussehen.
Die Rede ist von Zoila Augusta Emperatriz Chavarri del Castillo, bekannt
geworden unter ihrem Künstlername Yma Sumac.

Ihr Werdegang entspricht dem Stoff aus dem Legenden geboren werden, mit
ihren Stimmbändern vermag sie Feuerwerke zu entfachen, und ihre Ahnenreihe lässt sich in direkter Linie bis auf den letzten Inkaherrscher Atahualpa zurückverfolgen, der 1533 bei der Eroberung Perus durch den spanischen Conquistador Pizarro getötet wurde.

Diese hochadelige Abstammung bestätigte ihr 1946 der peruanische
Generalkonsul in den Vereinigten Staaten sogar schriftlich, um endlich den Gerüchten
ein Ende zu setzen, die der Sängerin Image-Schwindel vorwarfen, indem sie
behaupteten, ihr richtiger Name sei Amy Camus, Hausfrau aus Brooklyn.

Tatsächlich stammt Yma Sumac aus Ichocán, einem Dorf im
peruanischen Hochland im Distrikt Cajamarca. Und ihre glamouröse Karriere sollte sie bis nach Hollywood führen, wo sie zeitweise mit ihrer außergewöhnlichen Stimme über viereinhalb Oktaven und einer Handvoll Platten Weltruhm erlangte.

Ihre abenteuerliche Geschichte beginnt, so will es die peruanische Zeitung
"La Crónica" wissen, 1939 in ihrem Heimatdorf, wo Yma, gerade mal zwölf
Jahre alt, auf einer traditionellen Feier zu Ehren des Sonnengottes ausgewählte Lieder auf Quechua vorträgt und dabei von einem Regierungsbeamten entdeckt wird. Mit 14 Jahren heiratet sie ihren späteren Manager und Musikarrangeur Moisés Vivanco und reist in den folgenden Jahren mit seiner Compañía Peruana de Arte durch ganz
Lateinamerika. Sie nimmt Schallplatten auf, wirkt in Filmen und Radiosendungen mit und wird von der Presse stürmisch als Star im Folkloregenre gefeiert.

Als solcher zieht es sie in den vierziger Jahren nach New York,
wo der große Erfolg jedoch zunächst ausbleibt. Zu ungewöhnlich ist ihr
Repertoire, die Produzenten jener Zeit wirken befremdet: wer singt schon
simple Volkslieder, wenn er es sich leisten kann, die Königin-der-Nacht-Arie
als simple Auflockerung für die Stimmbänder zu betrachten?

Yma Sumac muss sich entscheiden zwischen Klassik und ihren
lateinamerikanischen Wurzeln. Doch eigentlich bleibt ihr keine Wahl: Ihr
exzentrischer Stil stempelt die eigenwillige Lady als Kuriosität ab. Und so
tingelt sie viele Jahre lang durchs Land, nimmt kleinere Engagements an und
lebt mit ihrer Familie weitestgehend vom Thunfischhandel.

Erst die Entdeckung durch Capitol Records, die sie nach Hollywood einladen,
bringt Yma den Durchbruch. Ihre erste Platte, Voice of the Xtabay (1950),
schlägt ein wie eine Bombe und wird innerhalb kürzester Zeit zu einem
Bestseller. Ymas enorme stimmliche Bandbreite und der sekundenschnelle
Wechsel von lyrischem Koloraturgesang zu gewaltig grollenden Knurr- und
Fauchlauten begeistern die Musikwelt und das Publikum. Ymas Selbstdarstellung als Oberpriesterin der Inka und Jungfrau der Sonne treffen den Nerv der Zeit; ihre Person umgibt der Hauch des Mythischen, des Geheimnisvollen, des Exotischen.

Ihr damaliger Erfolg ist nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass man in den 50´er Jahren, nach den überstandenen Schrecken des Zweiten Weltkrieges, von der Musik in erster Linie von den Alltagsproblemen abgelenkt werden will, die große Zeit von escapist entertainment bricht an, und Nordamerika zeigt sich dabei generell von den "exotischen" südamerikanischen Ländern und ihrer Musik fasziniert
ist. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die umfassende Berichterstattung
über die Entdeckung des legendären Macchu Picchu in den dreißiger
Jahren. Wie gut muss da die "singende Inka-Prinzessin" ins Bild gepasst
haben.

Für die peruanische Künstlerin folgen schnell hintereinander ein
Broadway-Musical, ein Hollywoodfilm mit Charlton Heston, in dem sie sich
selbst spielt - eine Inka-Prinzessin - (The secret of the Inca, 1952/53) und
vier weitere Langspielplatten. Ihre perfekte Unterhaltungsmusik ist vielleicht am
deutlichsten auf ihrem meistverkauften und vielleicht besten Album Mambo!
von 1955 zu hören, eine Homage an die damals wie heute trendigen
lateinamerikanischen Tänze.

Die überschwenglichen und kolossalen Bühnenshows boten der Diva den richtigen
Rahmen für ihre Stimmakrobatik. Spielerisch und mühelos trällerte
sie liebliche Liedchen, röhrte in bassigen Tiefen mit verrauchter
Whiskystimme oder beschwor unter Zischen und Schnalzen mysteriöse Laute aus
dem Amazonasdschungel.

Freilich wirken die Plattencover operettenhaft mit Ymas dramatischer Mimik
und den aufwendigen Kostümen, und im Gegensatz zu ihren früheren
Tourneejahren in Lateinamerika, wo sie authentische Folkloremusik sang,
mussten auf ihren erfolgreichen Alben Zugeständnisse an das weiße,
US-amerikanische Gehör der Masse gemacht werden. Exotik und Andersartigkeit
waren zwar gewünscht, gingen aber über angepasste Varianten wie den zahmen
Tarzan Johnny Weissmüller selten genug hinaus.

So waren auch Ymas Kompositionen lediglich folkloristisch inspiriert. Ohne
die bombastischen Bläserarrangements einer Big Band im Hintergrund und die
oft amüsanten Vokal- und Showeffekte der Sängerin wären ihre LPs jedoch
niemals zu Verkaufsschlagern avanciert.
Die Aufnahmetechniker in diesen Jahren hatten ihre liebe Not, sobald die
Improvisationskünstlerin ihre Stimme wieder einmal unabgesprochen "bis in
die Stratossphäre" hinaufjagte.

Ymas Privatleben wurde seit ihrer spektakulären Scheidung und dem ein oder
anderen Skandal von der Boulevardpresse ebenfalls kräftig ausgeschlachtet,
dazu kam ein ernstes Problem mit dem Finanzamt: Ehemann Vivanco hatte
jahrelang Steuern hinterzogen. In den puritanischen USA der Fünfziger wurde
ihr das mehr als übel genommen. Ihr Ruhm litt beträchtlich und der Druck der
enormen Steuernachzahlung sollte ihrem Leben eine entscheidende Wendung
geben. Ymas Ex- und Wiederehemann organisierte eine mehrjährige, sehr
erfolgreiche Welttournee durch die UdSSR, Europa, Asien und
Lateinamerika. Nach hunderten von Konzerten konnten sie zwar die Schulden
begleichen, doch ohne Werbung, Fernsehauftritte und neue Schallplatten
tendierte der Bekanntheitsgrad der Sängerin bei ihrer Rückkehr in die USA
gegen Null. Zudem hatte sich der Musikgeschmack geändert. Bonbonfarbene
Petticoats prägten das Straßenbild und exotische Populärmusik wirkte, naja,
eben ein wenig lächerlich.

1965 kam es zur endgültigen Scheidung. Vivanco setzte sich nach Spanien ab
und Yma, fast vergessen, blieb in den USA zurück.
Neue Plattenaufnahmen kamen nur schwerlich zustande. Die Produzenten
erinnerten sich sehr genau an Sumacs ausgeprägten Eigensinn und die
folkloristische Seltsamkeiten wie auf ihrem Album Legend of the Jivaro. Viele
winkten ab.

Erst ab Mitte der Siebziger ging es für die Diva wieder bergauf. Die erste
Revival-Welle stand an und Yma schaffte es einmal mehr, eine neue Generation
von Zuhörern mit einem einzigen Konzert in ekstatische, hörige Fans zu
verwandeln. Die meisten waren zu Zeiten ihrer ersten Erfolge noch nicht
einmal geboren.

Diese permanenten Schwankungen ihrer Popularität sind so etwas wie ein
Markenzeichen der heute über Siebzigjährigen geworden. Doch so berühmt wie
in ihren Anfangsjahren ist sie nie wieder geworden; obwohl ihre Stimme noch
immer ein echtes Schmankerl für die Ohren ist. Wie man hört, lebt sie
heute in Kalifornien und gibt gelegentlich Konzerte.

1996 wurden ihre alten Alben und einige gute Zusammenstellungen auf CD neu
aufgelegt. Zu unserer und eurer Freude kann man bei amazon reinhören und
sich von den diversen Vokalknüllern der Diva bezaubern lassen.

Text: Alexandra Geiser