caiman.de 10. ausgabe - köln, 2001

Oktober: der violette Monat in Lima

Wer im Oktober durch die Straßen Limas wandelt, wird feststellen, dass die einstige "Stadt der Könige" sich in Lila hüllt.

Ab dem 1. Oktober schmücken die Einwohner der peruanischen Hauptstadt Straßen und Plätze, öffentliche Gebäude und Kirchen mit Fahnen und Bannern. Auch sie selber kleiden sich in Lila; Frauen in langen Gewändern und Männer zumindest mit Krawatte – selbst die beliebstete Fußball- Mannschaft der Stadt passt ihre Trikots der Farbe an. Und dies zu Ehren einer der ältesten und tief verwurzelten Traditionen, welche den Lebensrhythmus der Limeños in diesem Monat bestimmt; wir sprechen von La Procesíon del Señor de los Milagros, Prozession des Herrn der Wunder.

Bei dieser handelt es sich um eine der bedeutendsten religiösen Kundgebungen der christlichen Welt. Millionen von Limeños folgen, ein violettes Meer bildend, dem Cristo moreno, dem schwarzen Christus. Und ganz Lima nimmt teil,: vom Schuhputzer bis zum Staatspräsidenten, unabhängig von sozialem Status und Hautfarbe.

Blicken wir in die Vergangenheit: Mitte des 17. Jahrhunderts erlebte Lima seine Blütezeit als Hauptstadt des spanischen Südamerika, in wirtschaftlicher, kultureller und vor allem religiöser Hinsicht.

Die Stadt brachte die erste Heilige der Neuen Welt hervor: Rosa von Lima, eine Frau, ihres Zeichens Schutzpatronin von Peru, ganz Amerikas und der Philippinen.

Lima galt als Anziehungspunkt für Abenteurer und Emigranten jeglicher Couleur. Unter ihnen ehemalige Sklaven afrikanischer Abstammung aus den portugiesischen Kolonien; Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen wie Bozales, Crabelíes, Lúcumos und Angolas. Ihre Bräuche und Traditionen prägten fortan die Gesellschaft.

Speziell die Angolas bildeten Brüderschaften religiöser und kultureller Art. Sie huldigten ihren Heiligen, indem sie nostalgische Lieder sangen, die an ihre kulturellen Wurzeln, Vorfahren und die Heimat erinnerten. Um das Jahr 1650 gewann diese Zunft in dem Stadtteil Pachacamilla immer mehr an Bedeutung, einem Ort, der von Indios besiedelt worden war, die ursprünglich aus Pachacamac, einer Inkapilgerstätte im Süden Limas, kamen.

Dort nutzte die Bruderschaft ein Gebäude als Hauptsitz, dessen Wände aus hartem Lehm bestanden, einer Bauart typisch für die peruanische Küste. Eine dieser Mauern schmückte ein gekreuzigter schwarzer Christus. Die Hingabe, mit der der Künstler dieses Werk schuf, setzte seine Mitbrüder in höchstes Erstaunen und ist bis heute überliefert.

Am 13. November 1655 wurde die Stadt von einem Erdbeben heimgesucht, welches sie fast komplett zerstörte. Wohnhäuser, Kirchen, Residenzen und Klöster, sie alle fielen dieser Katastrophe zum Opfer; unter diesen das Bauwerk des schwarzen Christus, mit Ausnahme der Mauer, die das Bildnis zierte.

Dieses geriet in Vergessenheit bis es durch Antonio León, einen Bewohner der Stadt, wieder entdeckt wurde.
Er errichtete an Ort und Stelle einen kleinen Altar und bat das Bildnis voller Frömmigkeit um die Genesung von einer Krankheit ohne Ausweg.

Das Wunder geschah und die Nachricht verbreitete sich in Windeseile in der ganzen Stadt. Zunächst pilgerte allein die schwarze Bevölkerung zu dieser Stätte, später dann wurde es zum Wallfahrtsort für all jene, die Lima als ihre Heimat ansahen. Die Mischung spanischer, indigener und afrikanischer Wesensart war Ausschlag gebend für die Intensität der Verehrung des Señor de los Milagros, wie er seit dem Wunder genannt wurde.

Am 20. Oktober 1687 zerstörte ein erneutes Erdbeben Lima und den Hafen Callao. Es starben rund 1.300 der insgesamt 35.000 Einwohner. Doch wieder blieb die Mauer mit dem Bildnis des Señor de los Milagros unversehrt, und erneut bestätigte sich das Wunder. Die Auswirkungen des Bebens waren so katastrophal für die Stadt, dass die Bevölkerung den Wunsch äußerte, man möge das Bildnis in Öl herstellen und anschließend durch die Straßen der Stadt tragen, so dass es diese in Zukunft genauso beschütze wie zuvor die Mauer. Im selben Jahr fand zum ersten mal die "Prozession des Herrn der Wunder" statt. Alljährlich ausgerichtet von der Bruderschaft des "Señor de los milagros".

Ihre männlichen Mitglieder haben die Ehre, das aus Mahagoni-Holz gefertigte Podest während der Prozessionstage zu tragen.

Auf diesem befindet sich das Gemälde gefasst in einen 1,99 mal 1,37 Meter großen Rahmen aus Gold, Silber und Juwelen, geschmückt mit religiösen Motiven und gekrönt mit dem Wappen der Stadt.

Das Gesamtgewicht beträgt 1500 Kilogramm und wird auf 32 Schultern verteilt. Insgesamt gibt es 20 Gruppen, die sich alle 15 Minuten abwechseln. Die Strecke beträgt sechs Kilometer und wird in ca. 20 Stunden zurückgelegt. Vier Mal innerhalb der Festlichkeiten wird das Bildnis durch das Zentrum Limas getragen. Ausgangs- und Endpunkt bildet die Iglesia de las Nazarenas.

Dort befindet sich das ganze Jahr über das Bildnis, bewacht von Laienschwestern (beátas) in violetten Ordenskleidern.

Den Trägern voran schreiten zwei weitere der Bruderschaft zugehörige Gruppen. Zum einen die 75 Sahumadoras, die Menge in Weihrauch hüllend. Zum andern die Cantoras, Sängerinnen traditioneller Kirchenlieder. Den Abschluss des Zuges bilden volkstümliche Musikgruppen, denen sich das Volk anschließt.

Neben der Hauptprozession finden zahlreiche Umzüge in den einzelnen Stadtteilen statt.

Schon Monate vor dem eigentlichen Ereignis werden Altar-Kerzen, Rosenkränze, Medaillons und Jesus-Figuren aus Kalk hergestellt.

Typische Delikatesse dieser Tage ist der „Turrón de Doña Pepa“. Diese besteht aus Sirup von diversen Früchten, Eigelb, Schweineschmalz, Mehl und Anis. Das ganze ist gespickt mit Haus gemachten Süßigkeiten und stammt noch aus der Kolonialzeit.

Die Prozessionen des „Señor de los milagros“ im Oktober sind nicht nur religiöse Veranstaltung sondern auch Ausdruck der Liebe der Limeños zu Lima.


Text: Juan Castro Díaz

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