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caiman.de 6. ausgabe - köln, 01. juni 2000
portugal

Die "Onza"-Mythos oder Wirklichkeit?
pa`rriba


Eine dem Puma ähnliche Katze, von den ersten Spaniern in Mexiko "Onza" getauft, sorgt seit Jahrhunderten für kryptozoologischen Gesprächsstoff.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts erreichte in Mexiko das aztekische Reich seinen Höhepunkt. Einer Prophezeiung aztekischer Priester zufolge sollte der Gott "Quetzalcoatl" aus dem Osten widerkehren, wohin er vor langer Zeit mit einem Floß aus Schlangen entschwunden war. Es war ein Spanier der anstelle der ersehnten Gottheit kam - Hernán Cortés. Innerhalb von drei Jahren eroberte Cortés das Azteken Reich und konnte riesige Schätze nach Spanien einschiffen lassen. 1519 kam es zum ersten Treffen der spanischen Eroberer mit dem Azteken Kaiser Montezuma II. In der Haupstadt Tenochtitlan besichtigte Cortes mit seinen Mannen den "Zoo" Montezumas, der angeblich sämtliche Spezies des Reiches beherbergte. Einer
der Konquistadoren, Bernal Dias del Castillo, berichtete von einem "seltsamen mexikanischen Bullen mit löwenartigem Haar, einem Kamelhöcker und runden Schultern" - dem Bison. Ein anderes Gebäude im Tierpark beherbergte drei große Katzen. Den "Tiger", womit Dias del Castillo den Jaguar meinte, und zwei "Löwen". Der eine war ein Puma, der auch heute noch als Berglöwe bezeichnet wird. Der andere die "onza", von den Azteken "Cuitlamiztli" genannt, soll einem Wolf ähnlich gesehen haben.

Weit über 200 Jahre später beschreibt der Jesuitenpater Ignaz Pfefferkorn, der für einige Jahre im mexikanischen Bundesstaat Sonora als Missionar tätig war, vermutlich eben dieses Exemplar: "Das Tier, das die Spanier Onza nennen, gleicht einem Puma. Doch sein Körper ist länger, außerdem viel dünner und schmaler - vor allem am Rumpf. Seine Füße sind kleiner, sein Brustkasten aber breiter. Unterschiede in der Färbung fand ich keine."

Worum handelt es sich bei dieser pumaähnlichen Katze? Um eine neue Spezies? Eine unbekannte Unterart des Berglöwen? Eine Abart des Pumas? Oder ist die Onza nur ein jahrhundertealter Mythos? Mythen allerdings können nicht erlegt werden. Mehrfach schossen in diesem Jahrhundert Jäger in der Sierra Madre langbeinige, schlanke Katzen, die einem Puma ähnelten, aber doch deutlich anders aussahen. Im Oktober 1985 fand Richard Greenwell im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa bei Rancheros den Schädel einer vermeintlichen, zehn Jahre zuvor geschossenen Onza. Greenwell sprach mit vielen Einheimischen und bat um Nachricht, falls es Neues über die Onza gebe. Die Neuigkeit kam schneller als erwartet. Im Januar 1986 wurde eine Onza erlegt und, weil man sich an das Interesse des "verückten Gringo" erinnerte, 17 Stunden später eingefroren. Die Katze, ein Weibchen, war in hervorragendem Zustand, als Greenwell sie mit dem Puma-Experten Troy Best im Februar 1986 begutachtete. Ein graziles Tier mit schlanken Beinen, die wesentlich länger waren als die eines normalen Puma. Gleiches galt für Schwanz und Ohren. An den Vorderbeinen erkannte Greenwell kleine, horizontale Streifen, die bei Pumas nicht vorkommen. Die Onza wog nur 27 Kilo - erwachsene weibliche Pumas bringen es auf 36 bis 60 Kilo.
"Es sieht wirklich anders aus als ein Puma", stellte Troy Best fest, der damals gerade über 1700 Puma-Schädel vermessen hatte.

Stellt sich bis heute die Frage: "Onza"-Mythos oder Wirklichkeit?


(Paul Hupperz)

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