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Macht Laune: Kauf mich!

Wie überall dort, wo Geld Mangelware ist, sind auch in Peru und Bolivien dem Einfallsreichtum der Verkäufer keine Grenzen gesetzt. Dabei werden Touristen wie Einheimische gleichermaßen umworben.

Die größte Stadt Boliviens, La Paz, darf sich mit einiger Wahrscheinlichkeit rühmen, den weltweit größten Marktplatz zu beherbergen: er nimmt das gesamte Areal der Stadt ein. Die Straßenflächen sind wie jeher in Gebiete unterteilt. Es gibt die Kleiderabteilung, in der auf einem riesigen Gelände alles das verkauft wird, was man gewillt ist zur Schau zu tragen – oder auch nicht. Auf dem Zauberermarkt werden getrocknete Lamaföten neben Froschextrakt und allerlei Amuletten angeboten. Anderswo findet man Lebensmittel auf dem Boden ausgebreitet, eine Straße weiter Mikrowellen aufgestapelt, drei Straßen weiter Schrauben säuberlich sortiert. Man sollte annehmen, dass kein Paceño je einen Laden von innen gesehen hat, denn er braucht es nicht.

Aber es gibt auch andere Orte, an denen, für uns etwas ungewohnt, Geschäfte gemacht werden. Im Zug von Huancavelica nach Huancayo beispielsweise werden auf drei Stunden Zugfahrt ein Dutzend verschiedener Produkte angeboten. Angefangen vom Zugkellner, der ab neun Uhr morgens komplette Mittagessen durch den Zug trägt, über die Frauen, die an jeder Station den Zug stürmen, um die Spezialitäten ihres Dorfes anzubieten, bis hin zu dem Herrn, der ein Getränk aus gekochtem Apfel und Quinoa (ein einheimisches Getreide) anbietet. Das warme Getränk findet besonders in der kalten Morgenluft vor der Abfahrt reißenden Absatz.

Die Transportmittel überhaupt sind ein in Deutschland viel zu wenig genutzter Verkaufsraum. Dabei ist gerade eine Busreise nahezu ideal für diesen Zweck: die Reisenden haben sowohl Zeit als auch Langeweile und sind dankbar für jede Ablenkung. Zudem gibt es keine Türen, die einem vor der Nase zugeschlagen werden könnten.

So sollte sich der Reisende in Lateinamerika nicht wundern, wenn neben den Fahrgästen ein Vertreter für Naturmedizin zusteigt. Dieser preist in einem viertelstündigen Monolog – "ich werde Sie nur einen winzigen Moment lang stören" – sein Produkt an. Dabei kreiert er ein dramatisches Szenario: langatmige Begrüßung der Reisenden, Einleitung über ein ganz anderes, aber kurzweiliges Thema, sehr kurze Überleitung, Exposition der Katastrophe (Nervenzusammenbruch, Impotenz, Schlafstörung) und Lösung: sein Allheilmittel. Dann wird das Produkt herumgereicht – manchmal darf auch probiert werden – und der Preis genannt. Abschließend geht der Verkäufer noch einmal durch den Bus, sammelt die Proben ein und versucht dabei zum Kauf zu überreden.

Fesselnd am Procedere ist vor allem der zweite Teil, also das so ganz und gar nicht mit dem Produkt in Verbindung stehende Thema. Hier sind der Kreativität keinerlei Grenzen gesetzt. So hielt uns ein Zauberer eine Busfahrt lang in Atem mit seinen ausgezeichnet vorgetragenen, verwirrend guten Tricks. Gekauft haben wir zwar nicht, aber für die Aufführung mit Vergnügen bezahlt.

Der Verkäufer heute im Zug dagegen wechselt vom Thema Sex, das er erstaunlich saftig behandelt, zu praktischen Vorführungen in einer nicht näher zu identifizierenden Kampfkunst. Damit garantiert er sich die volle Aufmerksamkeit insbesondere der jungen Männer. Ich warte die ganze Zeit schon gespannt auf die Überleitung zu seinem Produkt, denn ich vermeine immer noch naiv, dass Thema und Produkt irgendetwas miteinander zu tun haben sollten. Am Ende verpasse ich jedoch seine Überleitung und sehe erst viel später, dass es sich bei dem Produkt um eine scheußliche Spieluhr handelt, die dazu noch als Schmuckkästchen dient. Einen Kunden weniger.

Neben den Methoden sind auch andere Verkaufsparameter variabel, allen voran natürlich der Preis. So muss man sich schnell daran gewöhnen, dass der Fahrpreis eines Taxis vor Einstieg ausgehandelt wird – es sei denn, man flüchtet vor einer Gruppe Jugendlicher, die kurz davor stehen, einen zu berauben. Dann wird der geneigte Leser ebenso wie der Autor eines Abends in Lima mit Vergnügen auch den doppelten Preis zahlen.

Aber man sollte Peru nicht mit den touristischen Gegenden des Nahen Osten verwechseln. Obwohl das Handeln durchaus Bestandteil der Kultur ist, hat es doch nichts von dem arabischen Ringen, bei dem es weniger um das Geld als vielmehr um den Wettstreit geht. Das "Ich sage immer die Hälfte von dem Preis den sie mir nennen" gilt hier durchaus nicht.

Meist lassen sich 5-10% heraushandeln, aber wer zu wenig bietet, beißt nicht nur auf Granit, sonder kann auch beleidigen. Mit meinem Gebot von 30 Sol (10 US$) für ein Paar ungewöhnlich blauer Dog Martens auf dem Markt von Puno – 50 Sol waren angesetzt – vermasselte ich mir beinahe den Kauf. Die überaus diskreten Menschen in Peru beschimpfen einen zwar nicht gerade, aber was ich in den Augen der Verkäuferin las, trieb den Preis schneller in die Höhe als es jedes unfreundliche Wort vermocht hätte. Und so zahlte ich für meine Kauf-mich-Einstellung 20 Sol Lehrgeld.

Text + Fotos: Nil Thraby Druckversion  

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