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macht laune: Oh sinnige Höflichkeit

Lag es an den grenzbewussten achtziger Jahren oder gibt es heute immer noch einen Mangel an Muttersprachlern als Lehrer für Fremdsprachen an deutschen Schulen? Jedenfalls lernten wir, und das immer aus dem schier unerschöpflichen Sinn für die fremde Kultur einer ach so deutschen Lehrerin, sei es in Englisch, Französisch oder Spanisch, das wichtigste Gebot im fremden Land sei die Höflichkeit: Would you be so kind, please? Je voudraîs, sil vous plaît. Quisiera, por favor.

Besser geschult im Umgang mit der hochstilisierten Höflichkeitskultur als mit der Vielfalt der Begegnungscodices begab ich mich in eine Bäckerei in Caracas. Nach einem fröhlichen "Buenos Dias" meinerseits, das nun völlig wider aller erlernten Verhaltensmuster unbeantwortet blieb und vom Raume geschluckt wurde, inspizierte ich für Momente die so herrlich drein strahlenden Köstlichkeiten und suchte dann den Blickkontakt einer bezaubernden Dame, um zunächst einen doppelten Espresso zu ordern.

Da die junge Frau jedoch allem Anschein nach mit dem falschen Fuße aufgestanden und mich keines Blickes würdigte, wendete ich mich an ihren mit dem Säubern des Tresen beschäftigten Kollegen.

Ich säuselte ein schon fast eher unterwürfig angehauchtes "Disculpe, Entschuldigung." Und was tat der verruchte Bauernlümmel? Er ignorierte und putzte. Und ich stand weiterhin - dummes Gesicht aber guter Eindruck - vorm Tresen, getrennt nur durch dünnes Glas von schmackhaften Schinkencroissants.

Dann besann ich mich dem schulisch Erlernten und konfrontierte meinen dritten potentiellen Ansprechpartner mit: "Buenos dias señora. Quisiera uno de estos (eines von diesen), por favor." Als Antwort erhielt ich ein unmotiviertes Spitzen der Lippen, eine Art Kussmund in Richtung der Abteilung Überbackenes.

In mein offenmundiges Erstaunen platzte ein ungehobelter Nichtsnutz im feinen Anzug in die Konditorei und brüllte schon am Eingang: "Café Marón (halb Espresso halb Milch) und zwei Empanadas de Carne (Teigtasche gefüllt mit Fleisch)!", im Befehlston, ohne auch nur annähernd einen der sechs Fachverkäufer angesprochen zu haben und, was ihm mit Sicherheit das Genick brechen würde, ohne "Bitte" und "Ich hätte gern" zu verbalisieren. Weit gefehlt. Im Nu erhielt er das Begehrte, zahlte ohne weiteren Wortwechsel und entschwand ebenso ungeniert unhöflich, wie er gekommen war.

Nach drei Wochen in Caracas hatte ich den Dreh endlich raus: Beim Eintreten lautes Kundtun der Bestellung, egal ob sich vor der Auslage die Kundschaft in Dreierreihen drängelte oder der Laden leer war, dann bis zum Erhalt der Ware eine gelangweilte Mine aufsetzen, mit ausreichend großem Schein bezahlen, kleines Rückgeld angewidert in die Hosentasche befördern, beim Verlassen des Ladens wie schon Eingangs jegliche Höflichkeitsfloskel vermeidend. Der erste Schritt in Sachen Erlernen korrekt höflicher Verhaltensregeln war gemacht.

Nun galt es, sich mit Gestik und Mimik auseinander zu setzten: Wichtig ist hierbei, dass alle nun folgenden nonverbalen Kommunikationsmuster, von einem fragenden oder gar unwissenden, zumeist in Falten gelegten Gesichtsausdruck begleitet werden. Der schon erwähnte Kussmund, der ansatzlos und blitzschnell vorgetragen zum Einsatz kommt, bedeutet aus Sicht des Verkaufenden: "Was willst du?" Der Käufer antwortet identisch, weist dabei aber in eine bestimmte Richtung. Den Kussmund nach links antäuschen, kann beispielsweise implizieren: "Ich will nichts, der Typ links neben mir hat das Geld und bestellt."

In Choroní, an der venezolanischen Küste, verbrachte ich einen Nachmittag damit, ein Bier nach dem anderen zu ordern, in einem der typisch lateinamerikanischen Licorerias, Getränkeläden: Poster über Poster, Bierkisten über Bierkisten und am Wochenende Einheimische in Short und Muscleshirt, die Unmengen eiskalten Biers und Säcke voller Eis auf Autodach und Kühlerhaube platzieren und zur Bootsanlegestelle weiterrollen.

Mein erstes Polar kostete 220 Bolivares, das zweite 190, das dritte 200, das vierte 230... Nach dem achten wagte ich vorlaut ein verbales: "¿Cuanto vale una cerveza? Was kostet denn nun eine Flasche?"

Und erhielt als Antwort von der gemütlichen schwarzen Bedienung ein gemütlich vorgetragenes Anheben der Nasenflügel à la: Keine Ahnung, wen interessiert´s?

In Honduras sammelte ich Erfahrung in Sachen Höflichkeit ganz anderer Art: In einer tienda, hierzulande am ehesten vergleichbar mit einem begehbaren Kiosk, orderte ich bei einem kleinen Jungen eine Cola, natürlich höflich, wenn auch ohne por favor – wollte mich ja nicht direkt als deutscher Tourist outen. Er verlangte 50 Cent. Doch noch bevor ich die Cola in der Hand hielt, sprang eine alte Hexe dazwischen und kreischte: "Der Gringo zahlt das doppelte." Mit dem Höflichkeitsmodus der Hondureños hatte ich aber schon an der Grenze Erfahrung gesammelt. Um 17.30 Uhr wies mich der Grenzbeamte darauf hin, dass die Grenzübertretung nach Dienstschluss extra zu bezahlen sei. Meinen höflichen Versuch im Kund zu tun, es sei laut dem Schild am Eingang erst um 18 Uhr Feierabend, quittierte er mit einem Satz in die Hängematte. Die Unterbrechung seiner Mittagspause, die er nun nachholen wollte, kostete mich das Doppelte.

Auf eine ungemein herzliche, für den Ungeübten aber schon fast anzüglich anmutende Art des zwischenmenschlichen Miteinanders trifft man in weiten Teilen Südamerikas, am krassesten vielleicht in Kolumbien.

"Hola mi rey, una piña? Hallo mein König, magst du eine Ananasscheibe?", sprach mich ein Straßenverkäufer in Cali an. "Sie kostet einen Euro, mein cielito lindo, mein schöner Himmelstürmer." An der nächsten Ecke bat ich eine ältere Dame mir den Weg zu weisen. "Ay papito, no lo sé. Ach Papi, ich muss passen."

Und schon wandte sie sich an einen Polizisten: "Mi amor (meine große Liebe), hilf uns!” Er entgegnete, der älteren Dame liebevoll den Arm tätschelnd: "Vé mamita, vas por allá, por allá, por allá. Guck mal Mütterchen, du gehst so, so und so."

Nach eingehender Feldforschung in Sachen Höflichkeit bin ich, was meine Schulzeit angeht, zumindest nicht betrübt zu den Inaktiven der letzten Bank gehört zu haben.


Hätte die Unterrichtung realitätsnah stattgefunden, wäre der Run auf die vorderen Plätze wahrscheinlich nicht zu steuern gewesen. Wir hätten gelernt, Brötchen mit bloßem Augenspiel zu bestellen. Hätten zu Unterrichtsbeginn unsere Lehrerin mit mi corazón oder mi vida (mein Herz, mein Leben) begrüßt. Hätten gelernt, uns mit flegelhaften Grenzbeamten auseinander zu setzen. Und wären schwierigen Fragen der Schulstunde einfach mit einem ansatzlosen Heben der Nasenflügel begegnet.

Text + Fotos: Dirk Klaiber Druckversion   

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