caiman.de 03. ausgabe - köln, märz 2001

Der König der Banditen – 2. Teil

Virgulino Ferreira da Silva ist in Brasilien ein vielbewunderter Bandit, der Held zahlreicher Telenovelas, Bücher und Filme. Viele halten ihn für einen zweiten Robin Hood, der von den Reichen nahm, um den Armen zu geben. Aber die 15 Jahre seiner Herrschaft im Sertão des brasilianischen Nordostens waren voller Grausamkeit, und allein sein Name ließ die Bevölkerung des Nordostens erzittern: Lampião!
In diesem II. Teil unserer Geschichte trifft Lampião die Frau seines Lebens, und verliert dabei seinen Kopf.

Im Jahr 1929 begegnen sich Lampião und Maria Déa. Sie verliebt sich sterblich (wie wir sehen werden) in den König der Banditen und verlässt seinetwegen ihren Mann, einen Schuhmacher. Die schöne Maria, wie sie von der Polizei genannt wird, ist die erste Frau unter den Banditen, der im Laufe der Zeit weitere folgen sollten.

Von nun an konkurrieren die "Schönen" mit den Gewehren, und das Kriegshandwerk tritt immer mehr in den Hintergrund. Ehebrüche und Eifersüchteleien führen zu Rivalitäten und Morden innerhalb der Gruppe. Verlor die Frau infolge einer Auseinandersetzung ihren "Räuber", so war sie gezwungen, sich umgehend einen neuen zu suchen. Gelang ihr dies´nicht, so wurde sie exekutiert, um so das Gleichgewicht innerhalb der Gruppe nicht zu gefährden. Insgesamt häuften sich die Probleme, und das Ganze wurde noch schlimmer mit der Geburt des ersten Kindes...

Zudem hielt ein gewisses Anspruchsdenken Einzug in die Gruppe. Lampião etwa ließ sich Visitenkarten drucken und nahm sogar eine Thermoskanne mit in die Gefechte. Allmählich konnte von rauhem Banditenleben keine Rede mehr sein. Gerüchten zufolge soll Lampião sogar über den Ausstieg aus der kriminellen Szene nachgedacht haben.

Aus diesem Grund gibt es bis heute Zweifel daran, was wirklich am Morgen des 28. Juli 1938 auf der Fazenda Angico in Porto da Folha im Bundesstaat Sergipe geschah. Die offizielle Geschichtsschreibung erzählt, dass Lampião verraten und von den "macacos"("den Affen"), wie er die Polizisten nannte, überrascht wurde.
Die 30 Männer und 5 Frauen der Bande wurden von 48 Angehörigen der Polícia Militar umzingelt, die ein Maschinengewehr vom Typ Hotchkiss mit sich führten. Von so einer Waffe hatte Lampião immer geträumt, nun sollte sie seinen Tod bedeuten.

Balão, ein Bandit der Gruppe, erzählt von Lampiãos Ende:

"Ich habe niemals daran gedacht, dass Lampião sterben könnte. Wir lagerten in der Nähe des Rio São Francisco. Er wachte um 5 Uhr auf und befahl uns, zur Morgenmesse für die heilige Maria zusammen zu kommen (...) Als wir mit der Messe fertig waren, schickte Lampião Amoroso los, um Wasser für den Kaffee zu holen.

Genau in diesem Moment hörten wir den ersten Schuss. Hinter zwei Steinen war ein Maschinengewehr in Stellung gebracht worden, ungefähr 20 Meter von Lampiãos Hütte entfernt. Einer der unseren, Pedro de Cândida, hatte uns verraten und dem Polizeisergeant Zé Procópio detailliert Auskunft über unser Lager und wahrscheinlich sogar die Position unserer Betten gegeben. Ein Feuerstoß zerriß die Tür meiner Hütte. Mein Kamerad Mergulhão sprang aus dem Bett, um sofort wieder, von der nächsten Salve dahin gestreckt, in sich zusammenzusacken. (...) Als ich mich erhob, sah ich einen Soldaten, wie er mit seinem Gewehr auf den Kopf von Mergulhão einschlug. Plötzlich spürte ich seinen Gewehrlauf gegen mein Bein gedrückt. Ich hielt meine Muskete gegen seinen Bauch. Wir drückten beide gleichzeitig ab. (...) Der Soldat war sofort tot, doch ich hatte Glück. Mein Bein war okay.

Dann sah ich Lampião nach hinten kippen, mit einer Kugel in der Stirn. Moeda ("Geldmünze"), Tempo Duro ("Harte Zeit"), Quinta-Feira ("Donnerstag"), alle waren tot. Ich zählte die Körper der Freunde.: neun Männer und zwei Frauen. Maria Bonita war verletzt und versuchte, sich hinter ein Paar Felsen zu verstecken. Aber sie wurde entdeckt und geköpft. Die Kugeln schlugen gegen die Felsen, Funken und Splitter verstreuend, überall hörte man Schreie. Es war ein Inferno!

Luís Pedro schrie ständig: los, lasst uns das Geld und das Gold aus Lampiãos Hütte holen. Er schaffte es nicht, eine Salve riß ihn zu Boden. Ich lief zu ihm hin, nahm sein Gewehr und schaffte es, gemeinsam mit Zé Sereno, den Belagerungsring zu durchbrechen. Ich glaube, das Maschinengewehr hatte in genau dem richtigen Moment Ladehemmung. Gott sei Dank, ich hatte Glück."

Die Grausamkeit der Polizei stand der der Banditen in nichts nach. Die Köpfe der Toten wurden auf eine makabere Tournee durch mehrere Städte geschickt. Schließlich landeten sie im Institut Nina Rodrigues, dem Museum der medizinischen Fakultät der Universität von Bahia, in Salvador. Erst 1969 wurden sie begraben.

Und so endet die Geschichte von Lampião, dem König der Banditen. Zumindest in den Geschichtsbüchern.
1996 verkündete der Fotograf José Geraldo Aguiar, dass Lampião erst 1993 in Minas unter dem Namen Antônio Maria da Conceição gestorben sei. Der abgeschnittene und als der seine ausgegebene Kopf habe in Wirklichkeit auf einem anderem Hals gesessen...

Wie soll Padre Quincas bei der Taufe des kleinen Virgulino prophezeit haben:
"Virgulino kommt von vírgula ("das Komma") und steht für eine Pause, für ein Anhalten. Wer weiß, der ganze Sertão oder vielleicht sogar die ganze Welt werden vor lauter Bewunderung für ihn still stehen."

"Olê mulher rendeira, Olê mulher rendá,
Tu me ensina a fazer renda, Que eu te ensino a namorar”
("Hei, Spitzenklöpplerin, Hei, ergib Dich, Frau,
Du bringst mir bei, wie man Spitzen macht, und ich Dir, wie man liebt")

Ende
(ob traurig oder glücklich, das weiß niemand...)

Thomas Milz
Unterstützung: Lena aus Fortaleza