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Mamas letzter Kaffee

Schon Christoph Columbus schrieb 1492 in sein Bordtagebuch, nachdem er Hispañola entdeckt hatte: "Es ist das herrlichste Land, das Menschenaugen je erblickt haben.... Man möchte sein ganzes Leben bleiben." So dachte wohl bei der Urlaubsplanung auch meine Mutter über ihr Ziel Kuba, die Nachbarinsel Hispañolas.

Doch schon der erste Kontakt mit der sozialistischen Welt, Passkontrolle am Flughafen Holguin, ließ die Nerven der sonnenhungrigen Touristen überkochen. In Reih und Glied standen sie da, vor dieser am Boden gezogenen weißen Linie, die niemand ohne Erlaubnis der mürrisch drein blickenden Miliz überqueren durfte. Einzeln begab man sich zu dem Beamten, der lange und mit stoischer Ruhe den Pass bis ins kleinste Detail studierte. Platt gestandene Füße und tropische Hitze gaben selbst dem Ausgeglichensten unter den Touristen das Gefühl, ein Schwerverbrecher zu sein. Nach drei Stunden endlich waren wir an der Reihe, verschwitzt, durstig und müde vom langen Stehen.

Kaum im Hotel angekommen, plante meine Mutter schon den ersten abenteuerlichen Ausflug. Sie wollte Land und Leute kennen lernen. Ein Auto musste her, und da keiner von uns einen Führerschein dabei hatte, wurde ein einheimischer Chauffeur direkt mitgemietet.

Das Ziel hieß Baracoa, denn laut meiner Mutter war dieser Ort im Reiseführer als das Ende der Welt angepriesen worden.

Der Reiseführer irrte nicht. Wir kamen uns vor wie die ersten Weißen, die diesen Ort betreten. Vielleicht waren es aber auch nur die blonden Haare meiner Mutter, die solch eine Begeisterung bei den Einwohnern hervorriefen. Eine Schar von Kindern verfolgte uns schreiend auf ihren Fahrrädern. Jeder von ihnen bot sich uns als City-Guide an. Unsere Wahl fiel auf einen circa dreizehn Jahre alten Jungen, der sogleich sein Rad einem Freund anvertraute und die anderen Anwärter in die Flucht schlug.

Mittlerweile war die deutsche Kaffeezeit näher gerückt, und meine Frau Mama sehnte sich nach einem Kaffee und einem leckeren Stück Torte; am liebsten natürlich mit Schlagsahne. Ich weigerte mich vehement, diesen Wunsch zu übersetzen, doch verstand unser kleiner Führer dies auch so. Er nahm ihre Hand und versicherte uns, er werde uns zu einem Cafe führen. Die blonde Frau war überaus entzückt und strafte mich mit einem siegreichen Lächeln.

Das erträumte koloniale Cafehaus entpuppte sich jedoch als das Heim des kleinen Jose. Wir betraten das Anwesen der wohl zehnköpfigen Familie und gelangten sogleich ins Wohnzimmer. Dort lag auf einer Pritsche die jüngste Schwester, beide Beine in Gips. Durch einen schmalen dunklen Flur gerieten wir in die Küche, auf deren Boden zwischen zwei morschen Türpfosten der Großvater, ein kleiner gebrechlicher Mann, Siesta hielt. Über den Innenhof gelangten wir in einen weiteren Raum, wo die Mama des Hauses uns mit großer Freude empfing. Die Armut beschämte meine Mutter sehr. Zudem war ihr der Heißhunger auf Kaffee und Kuchen aufgrund der unhygienischen Zustände abrupt vergangen. Doch zu spät!

Die Hausherrin opferte ihre kleine vom Staat zugewiesene Ration Kaffee, den sie in einen alten Seidenstrumpf gab. Dieser diente ihr als Sieb. Das Wasser entnahm sie einer Tonne, die neben dem Herd stand. Dieser musste mit ein wenig Kerosin erst in Schwung gebracht werden.

Die große Stichflamme ließ uns einen Blick in die hintere Ecke des Zimmers erhaschen, wo wir eine weiter Person bemerkten. Meine Mutter verfolgte all dies mit Abscheu, immer und immer wiederholend, dass sie diesen Kaffee nicht trinken werde. Ich derweil freute mich wie ein Honigkuchenpferd, denn es gab kein Entrinnen mehr. Das Ende der Welt näherte sich ihr somit in Form einer kleinen Tasse Kaffee, die sie, um ehrlich zu bleiben, bis auf den letzten Tropfen mit einem verzerrten Lächeln und einem der Gastgeberin entgegen gehauchten „Gracias“ leerte.

Text + Fotos: Jutta Huppertz

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