caiman.de 03/2004

Grenzfall: Katalanisches Schlachtfest

In der Serie "Seltsame Gepflogenheiten aus Montblanc" habe ich heute einen besonderen Leckerbissen zu bieten. Das mit dem Leckerbissen ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, denn mitten auf dem alten Marktplatz wird Jahr für Jahr ein geschlachtetes Schwein der allgemeinen Fresslust geopfert. Dabei handelt es sich keineswegs um einen Karnevalsscherz, sondern um die für das Schwein sehr bittere Wahrheit.

Früher war das Schlachtfest natürlich viel besser, wie mir die umstehenden älteren Fresslustigen versichern: da wurde dem Schwein nämlich unter großem Hallo und Quieken mitten auf dem Platz der Garaus gemacht. Das Blut schoss in dickem Strahl aus der Halswunde direkt in den heißen Topf, in dem es unter ständigem Rühren zu Blutwurst verarbeitet wurde.

Heute ist die öffentliche Hinrichtung dank der strengen Hygienevorschriften der Europäischen Union verboten. Das mag man traurig finden oder auch nicht, je nach Traditionsverständnis oder Schweinemitleid. Das Opfervieh muss heutzutage jedenfalls im städtischen Schlachthaus geschlachtet werden, darf dann allerdings triumphierend im Ganzen auf den Marktplatz getragen und dort in handliche Stückchen zerteilt werden.

Dabei geht es fröhlich zu: während geschliffene Messer lustig fuhrwerken, probieren die ersten Schaulustigen roten oder weißen Wein. Der wird nicht etwa aus einem Glas, sondern aus dem hoch unpraktischen Trinkgefäß getrunken, das hierzulande unter dem Namen porró seit Jahrhunderten Unfug treibt. Dieses Behältnis weist eine lange, zylinderförmige Nase auf, an deren Ende sich ein kleines Loch befindet, die offizielle Trinköffnung. Man hebt das Gefäß mehr oder weniger hoch über den Kopf und beginnt, zu kippen. Je nach Geschick des Trinkenden läuft daraufhin der Wein (a) in den Mund oder (b) direkt auf die Kleidung. Es ist verboten, die Lippen an die Trinköffnung zu legen, denn wo bliebe dann der Spaß? Der individuelle Kunstgrad kann direkt an der Distanz zwischen Trinköffnung und Mund abgelesen werden; sauberes An- und Absetzen des porró vorausgesetzt. Wer ihn korrekt bedient, ist sich der allgemeinen Anerkennung sicher. Den Preis holen allerdings meist die Alten, denn die Zeiten sind längst vorbei, wo man sich auf dem Feld bakterienarm eine Trinkflasche teilen musste. Während also vorwiegend der männliche Teil der Zuschauer seine Künste im porró-Trinken unter Beweis stellt, wird das arme Schwein, dessen Kopf trophäengleich mitten auf dem Wutz-Demontagetisch prangt, in mundgerechte Stücke zerlegt. Für Großstadtmenschen wie mich, deren Erfahrungen mit Fleisch immer irgendetwas mit einer Kühltruhe zu tun hatten, ist das eine erstaunlich blutlose Angelegenheit. Da spritzt nichts, da fließt kein Saft. Nur ein sehr mageres Rot koloriert die Schürzen der emsigen Schnippler.

Neben ihnen steht mit skeptischem Blick der Siedehannes und empfängt von Zeit zu Zeit einen Topf, gefüllt mit den rosa Fleischstücken. Sein Arbeitsplatz ist das niedrige Feuer und die darauf ruhende Pfanne mit dem heißen Olivenöl. Er hat nicht wirklich viel zu tun: gelegentlich gibt er getrocknete Weinstöcke in die Glut, um das Feuer in Gang zu halten, oder rührt mit seinem Kochlöffel in den brutzelnden Schweinewürfeln.

Die Beschäftigung, wegen derer er vom Publikum geschätzt wird, ist natürlich eine andere: sobald er mit prüfender Miene den Bräunungsgrad der Würfel für genügend intensiv erachtet, kommt das Fleisch zur allgemeinen Verteilung. Das erfolgt unbürokratisch, kostenlos und einfach der Reihe nach. Ein Stückchen Brot, ein oder zwei Stückchen warmen Fleisches auf die Hand. Das brennt manchmal, ist aber trotzdem lecker. Die Älteren greifen mit geübtem Blick schnell nach den besten Stücken, der Rest isst einfach, was auf ihn zukommt. Während so das letzte Tageslicht verschwindet, steht eine schmatzende Hundertschaft hinter gelben Absperrungen und futtert. Gott sei Dank ist das Schwein kein Pferd und noch dazu keines aus den Grimmschen Märchen. Der Schweinekopf würde uns bestimmt etwas anderes erzählen als Falada einst der armen Prinzessin.

Text: Nil Thraby