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grenzfall: Rasen von A nach B

"Umgehungsstraßen sind Einrichtungen, die es Leuten erlauben unheimlich schnell von Punkt A zu Punkt B zu rasen, während andere Leute ebenso so schnell von Punkt B nach Punkt A rasen. Leute, die an Punkt C wohnen (...) wünschen sich oft, die anderen mögen sich doch ein für alle Mal entscheiden, wo zum Teufel sie eigentlich sein wollen."
Douglas Adams, The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy (Pan, London, 1992).

Manchmal, wenn ich in Erwartung meines persönlichen Sitzplatzes in der Sardinenbüchse auf einem Flughafen herumlungere, lehne ich mich zurück und schaue mir das aufgeregte Gewusel an. Wir sind so unglaublich mobil, denke ich dann zufrieden. Wenn ich dann auch noch meinen philosophischen Tag habe, schweifen die Gedanken von der Mobilität flugs zur Globalisierung und gleich weiter zum mobilitätsbedingten interkulturellen Austausch.

Mir war nie klar, in welchem Ausmaß diese Art Austausch sogar kulturstiftend sein kann, bis ich mich mit der frühen Geschichte der Küstenregion Perus beschäftigte. Mobilität nicht nur als Bereicherung, sondern gar als Grundvoraussetzung für eine Kultur und das auch noch vor über 5000 Jahren?

3500 vor Christus war die Küste Perus noch ein ziemlich spärlich besiedeltes Gebiet, deren Bewohner ausschließlich von Fischfang lebten. Die Landwirtschaft war nur wenig entwickelt. Die Kombination von Humboldtstrom und tropischer Hitze verhinderten praktisch jeglichen Regenfall und machten die Gegend dadurch zu einer der trockensten der Welt. Kein einfaches Land für die Entwicklung einer Kultur.

Dies änderte sich um 3500 vor Christus, als domestizierte Formen der Baumwolle aus dem tropischen Nordosten Perus an die Küste gelangten und nachhaltig das Leben der dortigen Bevölkerung beeinflusste. Zunächst einmal stand fortan ein ausgezeichnetes Material zur Herstellung von Fischernetzen zur Verfügung. Zusammen mit den ebenfalls aus den Tropen stammenden Flaschenkürbissen, die als Auftriebskörper genutzt wurden, erreichte der Fischfang einen hohen Grad an Professionalisierung. Doch damit nicht genug: die Küstenbewohner ihrerseits begannen, die Mobilität zu entdecken. Baumwolle galt als hochwertiges Gut bei praktisch allen Hochland- und Nachbarkulturen; in unserem Wertemaßstab nur vergleichbar mit Gold oder Diamanten.

Der hohe Ertrag, den das Material dort erzielte, ermöglichte ein etwas entspannteres Leben an der Küste. Als dann die Nachfrage stieg, musste das Bewässerungsproblem gelöst werden. Die wahrhaft ingeniösen Lösungen, die dafür gefunden wurden, sind später als Know-How wiederum in die Berge gelangt. Die beeindruckenden Anlagen der nachfolgenden andinen Kulturen fußen auf den ersten erfolgreichen Versuchen an der Küste.

Der Handel mit den Völkern der Bergregion und deren Nachbarregionen führte zu einer Bevölkerungsexplosion an der Küste. Im Jahre 2000 vor Christus gab es bereits Siedlungen mit 1000 bis 3500 Menschen, die von einer Kombination aus Landwirtschaft und Fischfang lebten.

Dies alles ist vor dem eigentlichen Beginn der peruanischen Geschichte passiert: die Geschichtsschreibung hat keiner dieser Kulturen einen Platz zugewiesen, sie sind weitestgehend unbekannt und verschwinden in dem, was man "graue Vorzeit" nennen mag. Was danach folgt, ist bekannt und benannt: die großen Küstenkulturen, deren beeindruckendstes Zeugnis wohl die Festung Chan-Chan ist.

Es ist sicher nicht allzu gewagt, behaupten zu wollen, dass Mobilität für die frühen Küstenbewohner kulturstiftend und nicht alleine eine kulturelle Bereicherung, sondern zunächst Überlebensgrundlage und später Basis für einige der frühen Hochkulturen Perus gewesen ist.

Aus einer modernen Mobilität und der daraus folgend miteinander verwobenen Welt im Umkehrschluss also auf eine Isolation der frühen Kulturen zu schließen, ist allzu voreilig. Bereits an der Wurzel der Geschichte – das vorliegende Beispiel möge dabei exemplarisch illustrieren – sind Mobilität und dem daraus resultierenden Austausch eine fundamental wichtige Rolle zugeordnet.

Darüber muss ich wohl noch einmal gründlich nachdenken, wenn ich das nächste Mal mit meinem europäischen Pass lässig an den Kontrollen vorbeischlendere, während andere in der Schlange nebenan lange Gesichter ziehen müssen.

Text + Fotos: Nil Thraby druckversion   

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