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Grenzfall: Stadtflucht nach Maresias

Der Großstadt entflohen. An der Tankstelle gehalten, fünfzig Liter Sprit für den Wagen und eine Tüte voller Knabberkram für uns. Auf dem Weg raus aus der Stadt noch richtig verfahren, dann die Berge runter zur Küste. Vorbei an den rauchenden Türmen von Cubatão, dem riesigen rauchenden Industriekomplex am Fuße der Berge, immer weiter die Küste hoch nach Norden. Links die Berge der Serra do Mar, rechts, hinter den dichten Wäldern, die Strände von Bertioga, ab und zu ein Obststand voller Ananas und Bananen.

Vor uns wird die Straße geteert. (Warum stellt der LKW nicht endlich den Motor ab, der die ganze Straße in eine graue Wolke verwandelt?) Ein Mann mit Baseball-Mütze und Badelatschen verkauft Süßigkeiten aus Kokosnuss. Dann geht’s weiter. Nach drei Stunden sind wir in Maresias, dem berühmten Partystrand von São Paulos Jugend.

Jetzt aber ist nichts los, es ist außerhalb der Saison, doch trotzdem verlangen die direkt am Strand gelegenen Hotels für brasilianische Verhältnisse hohe Preise.

Wir werden schwach und leisten uns eine schicke Unterkunft mit Pool, Sauna und Fitnessraum, inklusive eines Frühstücks mit 45 verschiedenen Leckereien. (Wir zählen jeden Morgen nach!) Und dann an den Strand. Drei Kilometer feinster weißer Sand, eingerahmt in von dichtem Urwald bedeckten Bergen. Wir sind fast alleine. Auf seinem Hochsitz trotzt ein Rettungsschwimmer dem vom Meer aufziehenden Gewitter. Tiefblaue Wolken verdecken die Berge, die grellen Lichtstrahlen der tiefstehenden Sonne brechen sich in der in der Brandung aufsteigenden Gischt. Das Meer dampft.

Schon seit einiger Zeit begleitet uns ein schwarzer Hund, rückt näher an uns heran wenn andere Vierbeiner unseren Weg kreuzen. Wir stellen uns in einem Strandrestaurant unter, beschließen ein Bier zu trinken. Danach ein Eis vom Stand, Souvenir für den Nachhauseweg. Arm in Arm schlendern wir durch die von Pfützen überzogene Straße. Am Himmel steht ein Regenbogen. Prachtvoll, gigantisch. Dann verschwindet die Sonne hinter den Bergen. Der Hund ist längst verschwunden.

...42, 43, 44 und 45. Auch heute gibt das Frühstück keinen Anlass zur Klage. Der Obstsalat ist so köstlich klein geschnitten. (Die nächsten drei Wochen werde ich vergeblich versuchen, in meiner heimischen Küche etwas ähnlich Köstliches zu zaubern.)

Blauer Himmel empfängt uns im Freien. Wir steigen ins Auto und folgen der Küstenstraße weiter Richtung São Sebastião, der nächst größeren Stadt. Jede neue Bucht überrascht mit kleinen gemütlichen Stränden voll weißen Sandes. Wir sind alleine, bis auf die drei Hunde, die uns schon schwanzwedelnd am Parkplatz empfangen.

Am Ende des Strandes mündet ein eiskalter Fluss ins Meer. Welch köstliche Erfrischung. Den kleinsten der drei Racker packe ich unter den Arm, damit er mit ans andere Ufer kann. Wir legen uns in den Sand. Möwen steigen hoch zu den Bergen, auf deren Spitzen großzügige Villen thronen. Wir schmieden Pläne, wollen auch einmal solch ein Haus besitzen, den morgendlichen Obstsaft vor dem Panoramafenster stehend hinunterschlürfen, in vielleicht 100 Meter Höhe den Blick über das grün-blaue Wasser genießen, oder der heranfliegenden Schlechtwetterfront Aug in Aug begegnen.

Schilder warnen vor gefährlichen Strömungen. Wir sind schon mitten drin im feuchten Nass, lassen uns von den Wellen hin und her schaukeln. Die Augen tief in das Blau des Himmels getaucht. Von weit her dringt das Bellen der Hunde zu uns. Sie freuen sich, uns wiederzusehen, als wir ans Ufer wanken, durchgeschüttelt von den wuchtigen Wellen. Sollen wir den kleinen braunen Hund mitnehmen? Wäre er glücklich in der großen engen Stadt? Kann man so egoistisch sein und das, was man gerne hat, einsperren? Nur um es näher bei sich zu haben? Wir winken ihm zum Abschied zu, und er jagt mit seinen Freunden den Strand entlang, dem Abend entgegen.

Die Plastikflasche mit der Sonnencreme ist von der Hitze vollkommen aufgebläht. Sei es drum. Jetzt liegt sie besser in der Hand. Die Strecke die Küste entlang ist traumhaft. Wir können unseren Lieblingssender aus São Paulo, „Jovem Pan“, nicht empfangen, und so laufen die Musikkassetten im Autoradio langsam heiß. Jede neue Kurve bietet einen noch großartigeren Blick auf Inseln, Strände und Urwald.

Die Zeit vergeht wie im Flug, aus Stunden werden Tage. Die tägliche Sauna am Abend, das nächtliche Schwimmen im Pool, 41, 42, 43, 44, 45 Frühstücksleckereien, Arm in Arm am Strand, Plaudereien mit dem Rettungsschwimmer, Maiskolben knabbern, durch die Wellen tauchen. Bald müssen wir die Koffer packen und Richtung São Paulo aufbrechen. Hoch in die Berge zurück.

Im Feierabendverkehr kommen wir an, quälen uns stundenlang durch die verstopften Straßen. Der Hunger treibt uns in Habibis-Restaurant. Warum müssen wir ertragen, was wir keinem Hund antun würden? Ich sehe sie noch, wie sie wild herumtollend dem Abendrot entgegen laufen, während unendliche Reihen roter Rücklichter an uns vorbeiziehen.

Text + Fotos: Thomas Milz Druckversion  

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