caiman.de 02/2004

Grenzfall: Cucarachas in Alkohol


Wir sitzen an der Brücke über den Rio Dulce; genau an der Stelle, an der der Fluß, der 40 Kilometer weiter auf die Karibik trifft, aus dem Lago Izabal austritt und sich dann, vorbei an steilen Felswänden, durch den Dschungel schlängelt. Die Sonne brennt unerbittlich und wir vertreiben uns die Zeit mit Gallo, dem Herzblut der guatemaltekischen Seele, dem Gottesgebräu, dem Bier des Landes. Dicke, fiese Kakerlaken leisten uns Gesellschaft. Sie flitzen von Spalte zu Spalte, verschwinden mit ihren Daumen großen Körpern in der flachsten Ritze und zeigen lediglich ihre langen Fühler, die wie planlos durch die Luft zittern.

Irgendwann erscheint ein Boot und liest uns auf. Zwei Stunden später legen wir in Linvingston an, dem einzigen Garifuna-Dorf (Ansiedlung einst entflohener oder befreiter Sklaven) Guatemalas. Reggae, schwüle Hitze, alte Holzhäuser. Drei Jungs sind damit beschäftigt, eine Korallenschlange mit Steinen zu attackieren. Die Schlange ist im Dorf nicht erwünscht, da sie neben der Barba Amarilla, der Gelbbart-Schlange, die giftigste Vertreterin ihrer Spezies im Land der Maya ist und ihr Biss den Tod bringen kann.

Wir entscheiden uns für ein äußerlich recht ansehnliches Hotel, dass im Innern jedoch nur als heruntergekommene Absteige bezeichnet werden kann: Cucarachas tanzen über Tisch und Stuhl und eine fette, handgroße, behaarte Spinne sprintet quer über die Wand auf der Längsseite. Um die nächste Nacht zu überleben, wird Gallo nicht ausreichen. Wir steigen um auf Rum mit dem Ziel: 100% abdichten.

Eine Straßenecke weiter lehnt eine schon rein körperlich gewaltig Eindruck schindende schwarze Frau mit Schürze und überdimensionalen Lockenwicklern im Haar am Eingang einer Lokalität mit Namen Restaurante Margot. Als ihr Blick uns trifft, können wir nicht umhin und treten ein. Eine halbe Stunde später tauchen Suppenteller vor uns auf, die sich ihrer Herrin würdig erweisen: neben den Langusten und den noch größeren Krebsen schwimmen in einem halben Liter Kokosnuss - Sud Muscheln und Stücke vom Fischfilet.

Wieder auf der Straße leistet die Mittagssonne Unerbittliches und wir flüchten in die dunkle Halle eines Billardsalons. Unweit befindet sich eine Licoreria und so kann das Spiel mit Señora Cuba Libre beginnen. Der Tisch ist zu den Löchern hin abschüssig, so dass das Spiel auch mit steigendem Rum-Genuss attraktiv bleibt. Zwei einheimische Jungs betreten die Halle und fortan spielen und trinken wir zu viert.

Stunden später, es ist bereits dunkel und ein tropischer Regen hat wenig erfolgreich mit der Schwüle gerungen, finden wir uns im Zimmer eines unser Spielpartner wieder und lauschen seinen DJ-Künsten. Das Haus würde man wohl in unseren kalten Gefilden als Bretterverschlag bezeichnen, doch ich verliebe mich so gleich in die Innenausstattung: Breites Bett (ob die Matratze aus Palmenblättern oder Seetang besteht, traue ich mich nicht zu fragen), Kühlschrank, Kassettenrekorder, Hängematte, Naturboden aus Erde (der durch den Regen aufgeweicht ist) und als Haustiere zwei fette Ratten, die sichtlich Gefallen gefunden haben an der maroden Tür des Kühlschranks.

Bestens unterrichtet über den lokalen Musikstil und die dazugehörige Tanzkunst der jungen Wilden ("gib Becken, gib Becken, gib Becken") treten wir vier Reihen Bier später zum allsamstagabendlichen Discobesuch an. Eigentlich ist alles wie bei uns Zuhause: überdimensionale Boxen, flirten, balzen und gebalzt werden. Nur: Es ist dunkel und die ausschließlich schwarzfarbigen tanzwütigen Besucher tragen schwarze Outfits und sind daher für das ungeübte Auge nur als vibrierende Silhouetten auszumachen. Uns ist es an diesem Abend egal, denn die Beine möchten uns nicht mehr tragen und wir sinken nieder. Kaum haben wir es uns auf dem Boden bequem gemacht, mahnen uns die vielen kleinen Tierchen unserer Kakerlakenphobie. Wir befinden, dass dies der richtige Moment sei, sie zu bekämpfen, zücken die Feuerzeuge und drohen sie abzuflämmen, wenn sie uns zu nahe rücken. Und dann baut sich vor mir ein gewaltiges, ganz und gar unerschrockenes Exemplar auf, dem ich nun mit meiner winzigen Flamme Mores lehren will, als einer unserer schwarzen Billardfreunde mich zur Seite reißt und mir dann den Unterschied zwischen harmlosen Cucarachas und schmerzhaften Skorpionen erklärt.

Am nächsten Morgen schlafen wir aus und treten immer noch mit dumpfer Birne die Heimreise an. Auf dem Rückweg über den Rio Dulce stoppt das Boot an einem kleinen Rundweg durch den Dschungel. Unweit der Anlegestelle steht ein winziges Toilettenhäuschen. Vor dem Abort unterhalten sich die guatemaltekischen Pendants zu Crocodile Dundy und Indianer Jones. Als ich nach dem Besuch der Toilette wieder in die Freiheit hinaustrete, grinsen die beiden und Dundy hält mir eine armdicke grüne Viper entgegen: "He salvado tu culito, sabes?!" (Ich habe deinen Hintern gerettet.) "Die tötet!"

Wir haben viel über Tiere gelernt auf unserem Kurztrip nach Livingston. An der Brücke am Lago Izabal vertreiben wir uns die Zeit mit Gallo bis der Bus kommt. Harmlose, ja fast liebliche Kakerlaken leisten uns Gesellschaft.

Text: Dirk Klaiber