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caiman.de 01. ausgabe - januar 2001
bolivien: grenzgänger

Tagebuch eines gescheiterten Grenzgängers

17. Juni 1998. Bolivien, ein kleines Dorf am Lago Titicaca. Blauer Himmel, Andenwetter, in der Ferne die schneebedeckten Berge rund um La Paz. Es geht mir ziemlich elend, die Höhe und die dünne Luft machen mich fertig. Jede Bewegung erscheint mir grausam anstrengend, seit Tagen habe ich keinen Hunger.
Meine Freunde versuchen mir Koka-Tee einzuflössen und erzählen mir vom Treiben im Dorf. Es ist anscheinend nicht wirklich viel los, trotzdem würde ich gerne auf die Straße oder wenigstens an den See, aber ich bin so schwach. Lange kann ich hier nicht mehr bleiben, mein Körper wehrt sich dagegen, ich bin nicht für diese Höhe geschaffen. Ich werde versuchen etwas zu schlafen.


18. Juni. Mittags, immer noch in der Pension. Heute Nacht war es kalt, und ich habe kaum ein Auge zu bekommen. Mein Befinden hat sich nicht gebessert. Aber es gibt eine gute Nachricht, die anderen haben sich entschieden weiter zu fahren, nach Peru.


göttliche schönheit, phantastische höhe und
körperlicher untergang

Ins warme, tiefer gelegene Peru! Mein Kreuzweg scheint endlich ein Ende zu habe. Ich bin es leid schwach und kränkelnd auf der Pritsche zu liegen und nichts tun zu können. Peru entfaltet sich in meiner Vorstellung zum verheißenen Land, mit Luft zum Atmen, mit begehbaren Straßen, mit gutem Essen und warmen Betten.

P. hat sich am Bahnhof nach dem nächsten Bus Richtung Grenze erkundigt. Für ein paar Bolivianos können wir morgen früh an den Grenzübergang gebracht werden. Ich bin beruhigt und fühle mich schon besser. K. überredet mich dazu, mit auf den Platz zu kommen.

Einige Stunden später. Es ist schon dunkel und die Kälte kehrt zurück. Wir waren im Dorf, auf dem Markt. Der Tee und die kleinen Fladenbroten war gut. Wir haben Reisepläne geschmiedet und gelacht, alles war entspannt, bis mir einfiel, dass ich nur meinen Personalausweis dabei habe. Mierda. Ich hatte mir bis dahin keine Gedanken darüber gemacht, dass ich nur in an Argentinien angrenzende Länder reisen darf, und dass Peru 100% nicht zu denselbigen gehört.

P., K. und J. haben weiter gelacht und nur gemeint, dass das ja wohl in Lateinamerika kein Problem sein dürfte, und dass der Mensch an der Grenze mit ein paar frischen Dollars bestimmt zu überreden sei, und dass wir sonst über die grüne Grenze könnten. Ich solle mir keine Sorgen machen. Am Ende war ich fast überzeugt. Trotzdem: Scheiß Papiere. Scheiß Bürokratie. Scheiß Zoll.

Aber Peruaner haben große Herzen und einen noch größeren Bedarf an leicht verdienter Kohle.


tja, manchmal läuft es halt doch nicht
wie gedacht
P. freut sich schon auf die Bestechungsgeschichte und malt sich in schönsten Farben das feiste Gesicht des Grenzers aus. Trotzdem ist die Situation unangenehm. Was passiert, wenn der Typ keine Lust auf zusätzliches Einkommen hat oder wenn die nun zu zweit rumsitzen.

Nach einer Auseinandersetzung mit beleidigtem Peruaner ist mir nicht. Und was machen dann die anderen; fahren sie trotzdem oder spielen sie weiter Krankenpfleger für einen höhenkranken Rechtlosen ohne Pass?

Egal, ich will hier weg.

19. Juni. Morgens. Gleich fährt der Bus, die Station ist voller Leute: Handlungsreisende, Familien, Urlauber und Sonstige warten. Alle sehen so aus als hätten sie einen Pass in der Tasche oder zumindest einen Verwandten beim Zoll. Mir ist ein bisschen schlecht, nein, eher richtig übel. Die Sache kann nur in die Hosen gehen. Schlimmstenfalls ende ich in einem stinkenden peruanischen Gefängnis und verfaule da bis meine Identität staatlich geprüft worden ist.

Ein Lichtblick! P. ist immer noch am Lachen und meint, dass er auf alle Fälle, wenn etwas schief ginge, mit mir bei Nacht rüber wolle. Tolle Idee, genau das was ich immer schon mal machen wollte, als Illegaler auf der Flucht vor Grenzern, Hunden und Maschinenpistolen nachts durch die Berge zu robben. Egal, ich will hier weg. Der Bus kommt.

22. Juni. Mittags. Der Himmel ist blau und in der Sonne ist es schön warm. Der Fisch und die Kartoffeln waren &Mac226;tremendamente buenos’. Gestern war das Essen hier schon so gut. Die Einsamkeit macht mir kaum noch etwas aus. Ich habe mich beruhigt und die Höhe macht mich nicht mehr krank, ich habe den kritischen Punkt überwunden.

Aus Peru ist an dem Tag leider nichts geworden. Alles fing ziemlich gut an. Der Bus hielt ganz in der Nähe des Grenzübergangs. Dieser war klein und keineswegs furchteinflössend. Wir haben uns also in die Schlange der Wartenden eingereiht und die Posten beobachtet. Die Reisenden wurden jeweils einzeln abgefertigt, ein Vorteil für mich. Wir hatten verabredet, getrennt zu warten, um nicht aufzufallen. Alles war genau geplant, ich sollte als erster in das Büro während die anderen draußen warten wollten.

Die Minuten vergingen endlos langsam bis ich an der Reihe war, mehrmals wollte ich umdrehen und einfach weggehen. Dann ging die Tür auf und ich war dran. Der Grenzposten in Uniform sah mich gelangweilt an und wollte nur meinen Pass sehen.

grenzzeit ist leidenszeit

Ich erklärte ihm ohne Umschweife, dass ich keinen hätte und fragte ich ihn, ob es für dieses "kleine" Problem eine Lösung gäbe. Er schaute mich groß an und meinte: "Nein, dafür gibt es keine Lösung, nur die, dass Sie zurück müssen." Ich insistierte und erzählte ihm von meinem Forschungsvorhaben in Peru und wie eminent wichtig diese Reise für mich sei. Dass ich eine Arbeit über die Architektur der Inkas schreiben wolle, und dass ich nur kurz in seinem schönen Land bleiben wolle. Er zeigte sich völlig unbeeindruckt und erwiderte mir trocken, dass er keinesfalls Geld nehmen würden und dass ihn meine Forschungsgeschichte nicht im geringsten interessiere. Vielmehr versicherte er mir, dass ich, falls ich es trotzdem versuchen würde, garantiert für Wochen in einem Gefängnis landen würde, und dass er mir davon sehr abrate. Die Polizei sei nicht sonderlich gut auf Illegale zu sprechen und so weiter und so fort. Es war nichts zu machen.

Mir war elend zu Mute. Die Unterredung war beendet, der Zöllner verabschiedete sich mit einem hämischen Grinsen und weidete sich an meinem Unglück bzw. erfreute sich an meinem Schicksal. Ich haßte ihn aus den tiefsten Abgründen meines Herzens heraus. Draußen warteten die anderen und schauten mich erwartungsvoll an. Nichts, nada, rien ne va plus.

Was nun? Zunächst wollten sie alle aus Solidarität in Bolivien bleiben - so ein Schwachsinn - bis ich sie davon überzeugen konnte, dass ich alleine zurecht käme und auf sie warten würde. P. beharrte auf seiner Idee des nächtlichen Gangs über die grüne Grenze, aber das klang zu sehr nach einem schlechten Film, deshalb winkte ich ab.

Wir trennten uns vor den Zollgebäude. – Nun sind sie weg und ich sitze am Grenz-See und warte auf die Dunkelheit. In zwei, drei Tagen wollen K., P. und J. zurück kommen.

Die Luft ist nicht mehr so dünn. Es geht mir gut.


pa`rriba

Text + Bilder: Kathrin Megerle

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