caiman.de 11/2002

Kubas grüner Westen - die Provinz Pinar del Rio (Teil II)

Ich erreiche San Diego de los Baños, dessen Geschichte bis ins Jahr 1632 zurückreicht, als ein kranker Sklave einen Schluck aus einer Quelle nahm und sich die Nachricht von seiner Genesung wie ein Lauffeuer verbreitete. Hier suche ich mir eine Privatunterkunft.

Da es im Ort keine Bank gibt, mache ich dem Vermieter klar, dass ich für zwei Übernachtungen nur US-$ 15 bezahlen könne. Er lässt sich aber nur auf US-$ 25 runterhandeln. Er käme dann einfach Montag hinten auf dem Moto mit nach Pinar del Rio und wir könnten gemeinsam zur Bank gehen. Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen! Die Kubaner sind halt im Lösen von komplizierten Sachen geübt und finden für alles eine Lösung! Wir fahren also auf dem kleinen Mofa am nächsten Tag in die Provinzhauptstadt und stellen damit ein typisch kubanisches Verkehrsmittel dar, denn auf fast jedem Mofa und Fahrrad sitzen in Kuba mindestens zwei Leute. In Pinar angekommen, stellt sich dann heraus, warum er so scharf war, mitzukommen, denn dort wartet bereits seine Geliebte auf ihn. Ich hatte ihm also, ohne es zu wissen, zu einer guten Ausrede verholfen, sich mal von seiner Familie abzusetzen!

Am nächsten Morgen schlendere ich durch die Straßen der Provinzstadt, als mich jemand anspricht: „Hallo, ich bin Juan Carlos, aber alle nennen mich the teacher. Ich habe mal Englisch unterrichtet. Sag, bist du der Journalist, der einen Reiseführer schreibt?“ Und so habe ich für die nächsten sechs Tage eine exzellenten Führer gefunden.

Von Pinar aus besuchen wir die Tabakdörfer San Luis und San Juan y Martínez im Weltklasse-Tabakanbaugebiet Vueltabajo. Schon auf dem Weg dorthin springen einem die malerischen, mit Palmwedeln gedeckten Tabak-Trockenhäuser ins Auge. Vor einigen Jahren ging ein neuer Stern am kubanischen Tabakhimmel auf und einer der besten Zigarrenmarken der Welt wurde der Name Robaina verliehen, benannt nach dem Hausherren einer nahe gelegenen Plantage. „Man sagt, Robaina ist mittlerweile bekannter als Fidel Castro,“ erzählt uns der Führer, der uns auch den Ernteprozess erklärt: „Anfang Oktober beginnen wir mit der Aussaat im Gewächshaus und nach 30 Tagen kommen die Sprösslinge dann auf die Felder. Bei guter Pflege erreichen sie ihre maximale Größe von zwei Metern. Allerdings sind sie sehr sensibel und ihr Anbau erfordert Fachkenntnis, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Nicht umsonst lautet ein kubanisches Sprichwort: `Den Tabak kann man nicht einfach pflanzen, man muß ihn heiraten.` Wenn die Wachstumsfase gelaufen ist, kann Anfang Januar mit der Ernte begonnen werden und die Blätter kommen für zwei Monate in die Trockenscheunen, wo sie jeden Tag fachmännisch begutachtet werden.“ Genauso anspruchsvoll ist auch der Fertigungsprozess in der Fabrik, wo geschickte Hände die Blätter zu Kunstwerken formen, welche die Herzen der exklusiven Rauchzirkel höher schlagen lassen. Die besten dieser Filigrankünstler schaffen etwa 120 Zigarren pro Tag. Insgesamt sind von der Aussaat bis zur fertigen Zigarre mehr als 160 manuelle Arbeitsschritte erforderlich!

Das Highlight dieser Provinz ist ohne Frage das Viñales-Tal, eine der schönsten Landschaften der Welt. Aus den rot gefärbten Talböden steigen die grün bewachsenen Kegelfelsen - Mogotes genannt - empor. Wie wahllos in die Landschaft gesetzte Trockenschuppen und Bauernhäuser im traditionellen Bohío-Stil verleihen dem der Szenerie eine rustikale Atmosphäre. Besonders bei Sonnenaufgang, wenn der Nebel aufsteigt und sich die Felsen aus dem Dunst schälen, ist das Ambiente Atem beraubend, und Diego erfreut mich mit einer Anekdote:
„Der Maler Domingo Ramos präsentierte in den 40er Jahren auf einem Kongress in New York ein Gemälde vom Tal. Niemand wollte ihm glauben, dass es eine derart schöne Landschaft gäbe und man stempelte es als ein Fantasiegemälde ab. Doch auf der Tagung war auch ein kubanischer Landsmann, der Viñales mit eigenen Augen gesehen hatte und dem nun, von den Erinnerungen ergriffen, die Tränen kamen. Jetzt besann man sich eines Besseren und beschloss die wissenschaftliche Erkundung des Tales.“

Schnaufend schrauben wir uns die Hügel hinauf bis zur Dorfgemeinschaft Los Aquáticos, die 1943 von Antoñica Izquierdo gegründet wurde. Sie pries die heilende Kraft des Wassers und verzeichnete beeindruckende Erfolge bei ihren Heilzeremonien. Nachdem sich ihre Fähigkeiten herumgesprochen hatten, wurde sie von zahlreichen Bauern, die sich keine Medikamente leisten konnten, aufgesucht. Auch heute noch werden Zeremonien mit dem nassen Element durchgeführt.
Beim Abstieg leuchtet schon von weitem das Mural de la Prehistoria entgegen, eine bemalte Felswand. „Das ganze Gemälde ist 120 Meter hoch und 180 Meter breit. Es wurde 1961 gemalt und soll die Evolutionsgeschichte bis zur Menschheit darstellen. Zu seiner Erstellung wurden mehr als 6000 Liter Farbe benötigt“, erzählt mir Diego.
Weiter geht es zum nahe gelegenen Ort El Moncada, wo sich ein 1999 zu Ehren der Malagones errichtetes Denkmal befindet. Dies war eine Gruppe von 12 Bauern, welche die erste Bürgermiliz Kubas bildeten und in nur 18 Tagen den Anführer einer konterrevolutionären Bande, der mit seinen Überfällen die umliegenden Ortschaften unsicher machte, überwältigen konnte. Eine knapp 20 Meter hohe Büste des Anführers der Malagones thront auf dem Gedenkplatz und blickt, das Gewehr erhoben, auf die umliegende Bergwelt. Stolz erzählt mir der Wächter, auf den steinernen Hünen deutend: „Raúl Castro sagte ihm vor einigen Jahren: wenn du 90 Jahre alt wirst, komme ich persönlich vorbei und wir schlachten dir zu Ehren einen Ochsen. Letztes Jahr war es soweit, Raúl war da und es gab eine riesige fiesta.“ Gleich um die Ecke liegt die Cueva de Santo Tomás, deren Gangsystem sich über acht Ebenen erstreckt und mit insgesamt 45 Kilometer Länge das größte in ganz Lateinamerika darstellt. Im Inneren kann man eine Unmenge verschiedendster Stalagmitenformen und sogar einige Pflanzen, die fernab von jeglicher Lichtquelle wachsen, bestaunen. Auch die Korkpalme, ein lebendes Fossil, wächst seit über 250 Millionen Jahren in dieser Gegend.

Erst spät kommen wir zurück nach Viñales und die ganze Gegend ist bereits in ein Meer von Dunkelheit getaucht, aus dem sich lediglich das auf einem Hügel gelegene Luxushotel Los Jazmines wie ein Stern aus einer fernen Welt hervorhebt. Wir dagegen freuen uns auf unseren traumhaft inmitten der Kegelberge gelegenen Campismo.

Am nächsten Tag müssen wir wieder zurück zu unserem Zentralquartier in Pinar del Rio, von wo aus wir alle Ausflüge gestartet haben. Gegen Nachmittag finden wir einen Fahrer und handeln einen Preis aus. Er beginnt sogleich, zu drängen: „Wir müssen los, schnell.“ Diese völlig untypische Eile überrascht uns, doch bald wird uns der Grund klar: er hat kein Licht! Umsomehr heizt er, um noch im Hellen nach Pinar del Rio zu kommen und geht auch in die Kurven mit halsbrecherischem Tempo. Unsere besorgten Blicke kommentiert er mit den Worten: „Keine Angst, ich kenne die Strecke im Schlaf.“ - „Das mag schon sein,“ entgegne ich, „aber trotzdem kannst Du nicht sehen, ob dir in der Kurve was entgegenkommt.“ Als mein Freund lauthals auf Deutsch schimpft und seine Bedenken zum Ausdruck bringt, meint er nur grinsend: „Dein Freund hat wohl Angst, was?“ - „Nicht nur er, ich auch!“ Als wir schließlich erleichtert angekommen waren, gebe ich ihm noch die weitverbreiteten Abschiedsworte „Que dios te bendiga!“ auf den Weg. Bei dem Fahrstil hat er Gottes Segen wirklich nötig!

Das kann jetzt aber nicht als repräsentativ für die Fahrkünste der Kubaner angesehen werden: die meisten sind sehr gute und weniger leichtsinnige Fahrer, wie auch der Reiseleiter von Cubatur, der mich zum Tauchzentrum Maria La Gorda fährt und dabei jedes einzelne Schlagloch auf der Strecke zu kennen scheint. „Klar ich fahr die Strecke ungefähr zweimal pro Woche. Ich kenne sie wie meine Westentasche,“ grinst er stolz auf meine Frage. Der Weg ist weit und nicht einfach, aber es lohnt sich! In La Fé (der Glaube) ungefähr 50 Kilometer vor dem Ziel endet nämlich die Carretera Central und wird von Pisten fortgesetzt, die einem nicht geländegängigen Fahrzeug einiges abverlangen. Ab hier muß man wirklich einen festen Glauben in Fahrzeug und Fahrkünste haben! Maria La Gorda - das heißt übersetzt „die dicke Maria“ und hier rankt sich nun eine weitere Legende um das Gebiet: Die hier mit Piraten Handel treibende, beleibte Venezolanerin Maria wurde eines Tages von den Seeräubern in nicht allzu freundlicher Absicht entführt und soll ihnen, um ihr Leben zu retten, ausnahmlos alles, was sie hatte, angeboten haben. Tatsächlich wurde sie irgendwann wieder freigelassen und eröffnete einen lukrativeren Gewerbezweig, nämlich ein Bordell, das die vorbeiziehenden Schiffe versorgen sollte.

Die zahlreichen Piratenüberfälle hinterließen eine der höchsten Wrackdichten Kubas und die Meeresgründe zählen zu den potenziell größten Schatzgebieten der Insel. Sogar Fidel Castro hat kürzlich Programme ins Leben gerufen, diese Wracks ausgiebig zu untersuchen und die versunkenen Reichtümer zu bergen, um die unter chronischer Devisenknappheit leidende Staatskasse aufzufüllen. Die Touristen dürfte eher der Naturreichtum interessieren: Mit seinem schneeweißen Sand und dem in verschiedenen Blautönen schimmernden Meer befindet sich hier nicht nur einer der Traumstrände Kubas, sondern außerdem eines der besten Tauchgebiete Mittelamerikas.

Nach etlichen Kuba-Aufenthalten und nach einer intensiven dreimonatigen Recherchereise muß ich sagen, daß der Westen für mich wegen seiner (nicht nur landschaftlichen) Vielseitigkeit eindeutig der schönste Teil der Insel ist. Auch Kuba-Anfängern kann man die Provinz Pinar del Rio empfehlen, denn neben den zahlreichen Naturschönheiten hat sie sich nach der Revolution von einer der ärmsten zur reichsten Provinz entwickelt und dementsprechend ist die touristische Infrastruktur relativ gut entwickelt.


Viele weitere wichtige Tipps für Individualreisende (auch zu Privatunterkünften und -restaurants überall auf der Insel) findet man auf 640 Seiten in dem Reiseführer „Kuba - selbst entdecken“ von Dirk Krüger und Birgit Carls, kürzlich erschienen im Regenbogen-Verlag (www.regenbogen-verlag.ch) und zudem erhältlich bei amazon.de. Wer auf eigene Faust unterwegs ist, das Land wirklich verstehen und seinen Geldbeutel auch mal entlasten will, kommt um dieses Buch nur schwer herum.

Text:
Dirk Krüger