logo caiman
caiman.de archiv
 

Cuba: Reinaldo Arenas Abrechnung mit Fidel Castro

Havanna, Kuba, November 1974: Er ist auf der Flucht und der beste Ort, sich vor dem Feind zu verstecken, so meint er, sei der Leninpark mitten in Havanna. Dort beginnt er, seine Memoiren zu schreiben bis die Nacht über ihn hereinbricht und ihn Castros Polizei in einer dunklen Zelle verschwinden lässt. Später gehen diese Aufzeichnungen, wie so viele andere, verloren oder werden vernichtet.

New York, USA, Sommer 1990: Seit drei Jahren weiß er, dass er AIDS hat und seitdem ringt er mit dem Tod. "Ich muss noch drei Jahre leben, um mein Werk zu beenden, das ist meine Rache an der Menschheit", hatte er damals das Bild seines verstorbenen Freundes und Schriftstellerkollegen Virgilio Piñera angefleht, und die ihm gewährte Galgenfrist ist nun vorüber. Er hat diese letzten Jahre mit hektischer Arbeit verbracht, halbfertige Romane beendet, Theaterstücke verfasst, Übersetzungen und Editionen seiner Bücher und Gedichte überwacht und gleichzeitig in überstürzter Eile, getrieben durch die Angst, sie nicht mehr beenden zu können, die Geschichte seines Lebens aufgeschrieben, die Geschichte eines Lebens, dass voll von Leid, Entbehrungen und Verrat war, aber zugleich überlief vor wunderschönen Bildern und Momenten und bestimmt wurde durch seine große Liebe zum Meer, dem Meer, das Kuba zu einer Insel macht, und durch seinen Hass auf den Máximo Líder Fidel Castro, der ihn aus seinem Paradies vertrieb, hinaus in die fremde, gefährliche Welt, die ihn tödlich vergiftete.

Er ist am "Ende der Vorstellung" angelangt, wie er selber formuliert, und er weiß es. Er schreibt die Einleitung zu seiner Lebensgeschichte, die gleichzeitig sein Lebewohl ist. Danach wird er nur noch seinen kurzen Abschiedsbrief verfassen, bevor er sich umbringt und es endgültig und für immer Nacht um ihn wird.

...am Fluss gibt es eine Stelle, wo ein weißer Hund aus dem Wasser kommt. Wer ihn sieht, muss sterben
EEr erinnert sich an ein Bild aus seiner Jugend. Er beobachtet dreißig Männer beim Baden im Fluss, und die nackten Körper gefallen ihm. Sexuelle Beziehungen hatte er damals nur mit Hühnern, Ziegen und Schweinen. Später, nachdem er aus dem Provinznest Holguín nach Havanna gekommen war, lebte er offen seine Homosexualität.

Doch die sind in Fidel Castros Kuba nicht gerne gesehen. Ganz am Anfang hatte er Castro noch zugejubelt, lief als Junge in die Sierra de Gibara, um sich den Rebellen im Kampf gegen Batista anzuschließen. Doch er muss erkennen, dass nur ein Terrorregime ein anderes ersetzt hat.

Er schreibt seine ersten Romane, die in den literarischen Zirkeln Havannas Anerkennung finden. Doch Ende der 60er Jahre verschärft sich der Druck des Regimes auf die homosexuelle Szene. "Jede Diktatur ist lust- und lebensfeindlich; jeder, der ein bisschen Lebensfreude zeigt, gilt in einem dogmatischen Regime schon als Feind."

Das Meer
"Vielleicht liebten wir das Meer unbewusst als eine Möglichkeit, diesem Land, wo wir unterdrückt wurden, zu entfliehen; vielleicht entflohen wir, wenn wir uns auf den Wellen treiben ließen, diesem verfluchten Inseldasein."

Doch es gibt kein Entfliehen, weder über die Meerenge nach Florida noch die US-Militärbase in Guantánamo. Immer mehr seiner Freunde landen entweder im Gefängnis oder werden zu Spitzeln von Castros Geheimpolizei. Reinaldo gelingt es, einige seiner Manuskripte über Freunde nach Europa zu schmuggeln, wo sie begeistert aufgenommen werden. Doch die meisten seiner Schriften gehen verloren oder von seiner Tante und Freunden an die Geheimpolizei übergeben. Drei mal muss er so seinen Roman "Otra vez el mar" schreiben. Einmal kann er sich durch einen Sprung ins Meer aus den Händen der Polizei befreien, dann versteckt er sich über Monate in Havanna, um schließlich doch verhaftet zu werden. Zwei Jahre lang ist er im Gefängnis El Morro den schlimmsten Misshandlungen ausgesetzt. Es gibt dort Zellen, in die das Meerwasser bei Flut eindringt, und unter den Gefangenen herrscht das große gegenseitige Morden. Als er endlich frei kommt, hat er offiziell der Homosexualität und dem regimefeindlichen Schreiben abgeschworen. Doch er lässt sich nicht vorschreiben, wie er zu leben hat.

Frei bis zum Verglühen
(Mario Vargas Llosa über Reinaldo Arenas)
Als im Mai 1980 Tausenden von Kubanern, die gewaltsam in die peruanische Botschaft eingedrungen waren, die Ausreise nach Miami erlaubt wurde, gelingt es Reinaldo, sich unter die im Hafen Wartenden zu mischen und Kuba den Rücken zu kehren. Er macht sich keinerlei Illusionen über das kapitalistische System des Westens. "Der Unterschied zwischen dem kommunistischen und dem kapitalistischen System ist der, dass sie uns zwar in beiden einen Arschtritt geben, aber im kommunistischen musst du Beifall klatschen, und im kapitalistischen darfst du schreien..."

Ich bin hier, um zu schreien
Von den 400 Seiten seiner Autobiografie "Bevor es Nacht wird" widmet Reinaldo Arenas seiner "zweiten Heimat", den USA, lediglich 30, obwohl er die letzten zehn Jahre seines Lebens dort verbrachte. Doch es sind düstere Jahre, geprägt von Vorahnungen, dunklen Wolken, die sich über seinem Leben zusammenbrauen, von Sehnsucht nach seinem Kuba, dem Meer, Havanna.

Eines Nacht zerspringt in seiner Wohnung ohne ersichtlichen Grund ein Glas voll Wasser.

Er träumt, dass er ein Kind ist und das Meer das Land überschwemmt und ihn über die Häuser emporhebt, dem Himmel entgegen. In einem anderen Traum ist er ein Vogel, der sich in die Lüfte erhebt und über Kubas Palmenwälder hinwegschwebt.

Als kleiner Junge auf dem kubanischen Land hatte er die Nächte geliebt. "Wer die Nächte auf dem Land nicht kennt, kann sich nur schwer ein vollständiges Bild von der ganzen Schönheit der Welt machen, und noch weniger von ihrem tiefen Geheimnis."

Das Meer verschluckt jeden Tag einen Menschen
(Die Großmutter über den kleinen Reinaldo)
"Das Meer verschluckt jeden Tag einen Menschen", hatte seine Großmutter immer zu ihm gesagt. Einst beobachtete er einen tropischen Wolkenbruch, der den Fluss mit ungefesselter Kraft über die Ufer treten ließ: "Er war das Mysterium vom Gesetz der Zerstörung und auch des Lebens."

In seinem Abschiedsbrief nennt er eine Person, die er für sein Ende verantwortlich macht: Fidel Castro. "Die Leiden des Exils, der Schmerz der Verbannung, die Einsamkeit und die Krankheiten, die ich mir nur in der Verbannung zuziehen konnte, hätte ich sicherlich nicht erlitten, wenn ich frei in meinem Land hätte leben dürfen." Und er schließt: "Kuba wird frei sein. Ich bin es schon."

Text + Fotos: Thomas Milz Druckversion  

Das Buch von Reinaldo Arenas "Bevor es Nacht wird" ist auf deutsch im dtv-Verlag erschienen. Dort wurde ebenfalls "Rosa – Roman in zwei Erzählungen" und das sehr zu empfehlende Buch "Reise nach Havanna – Roman in drei Reisen" veröffentlicht.

Weitere Artikel zu Cuba findet ihr im Archiv.







 
Archiv
nach




© caiman.de - impressum - disclaimer - datenschutz pa´rriba