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Brasilien: Gottesdienst in Trance


In der Santo-Daime-Kirche aus Brasilien ist ein halluzinogener Indianertrunk fester Bestandteil der Gottesdienste. Die Gemeinschaft Santo Daime fasst langsam auch in Europa Fuß.

In zwei langen Schlangen stehen die Gemeindemitglieder vor einem Tisch, auf dem aus einem Fässchen der braune Sud in kleine Plastikbecher rinnt. Frauen in der linken, Männer in der rechten Reihe, alle in weiß gekleidet, um negative Energien fernzuhalten. Einer nach dem anderen bekommt einen Becher gereicht und kippt ihn in einem Zug runter - nur so lässt sich der bittere Trank einnehmen.

Eine junge Frau, die dunklen Haare zu einem strengen Knoten hochgesteckt, reicht ein Stück Orange. "Gegen den schlechten Geschmack", sagt sie verständnisvoll mit heller Stimme dem sich schüttelnden Gast.

Gelassen nimmt auch sie den Becher entgegen, diszipliniert genug sich nichts anmerken zu lassen, den bitteren Geschmack klaglos ertragend.


Ayahuasca heißt der Trank, eine aus Urwaldpflanzen hergestellte halluzinogene Droge, die seit jeher von den Medizinmännern der Urwaldindianer bei Heilritualen verwendet wird. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte sich in Rio Branco, einer Stadt im äußersten Westen Brasiliens, die christliche Kirche Santo Daime, in der die Urwalddroge als Sakrament fester Bestandteil jedes Gottesdienstes ist. Mit ihrer Hilfe versetzen sich die Gemeindemitglieder, wie sie es nennen, in "Einklang mit dem göttlichen Universum".

Die Gläubigen begeben sich in die kleine Kirche und nehmen auf weißen Plastikstühlen Platz, Frauen links, Männer rechts vom Gang. Aus der Dunkelheit der tropischen Nacht in die Kirche eintretend blendet das mit Neonlicht beleuchtete Kreuz an der Wand die Augen. Eine Band beginnt auf Keyboard und E-Gitarren langsame, fast disharmonische Lieder zu spielen. Nach und nach verfallen alle in Trance. Die Madrina, die Leiterein der Gemeinde, beginnt zu singen und die Gläubigen fallen in den Refrain ein. Die Augenlider werden schwer, auch nur den kleinen Finger zu heben, wird zur fast übermenschlichen Kraftanstrengung. Mit geschlossenen Augen reglos sitzend begibt sich jeder in farbenprächtigen Visionen auf die Reise ins Innere.

Eine Reise, die in Brasilien legal ist. Dort ist die Santo-Daime-Kirche weit verbreitet. Inzwischen findet der Kult auch immer mehr Anhänger in Europa. In Deutschland fällt der im Ayahuasca enthaltene Stoff DMT unter das Betäubungsmittelgesetz, so dass sich die Gemeinschaft strafbar macht, wenn sie ihren Mitgliedern ihr Sakrament zu trinken gibt. Die Gruppe hält daher hierzulande ihre Rituale nur im Untergrund ab.

Die Zahl ihrer Anhänger in Deutschland ist unbekannt, doch in den vergangenen Jahren wurden immer wieder Mitglieder verhaftet und zum Teil erhebliche Mengen Ayahuasca sichergestellt.

Bei den Daimistas stößt das Verbot auf Unverständnis: "Ich möchte doch nur meinen Glauben ausüben, und das Ayahuasca gehört nun mal dazu. Aber deswegen bin ich doch nicht kriminell", meint ein Mitglied.

Drogenverbot contra freie Religionsausübung. In den Niederlanden wurde der Gemeinschaft 2001 der Gebrauch des Rauschmittels gestattet und auch ein hohes Spanisches Gericht entschied zu Gunsten von Santo Daime. Das Grundrecht auf freie Religionsausübung habe Vorrang vor dem internationalen Verbot des Rauschmittels, zumal Ayahuasca nicht süchtig mache, so die Begründung.

Doch es gibt die Befürchtung, dass Ayahuasca bei labilen Menschen Psychosen auslösen kann, und wer gleichzeitig Alkohol oder schwere Speisen zu sich nimmt, dem drohen ernste Kreislaufprobleme. Und so dürfte man in Deutschland dank der strikten Drogenpolitik von einer Legalisierung des Stoffes noch weit entfernt sein – sehr zur Beruhigung von Dr. Michael Utsch, der an der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen die Abteilung Psychologie und Religion leitet. Für ihn zählt das Argument der Religionsfreiheit nicht: "Wo die Würde des Menschen bedroht ist, da hört die Religionsfreiheit auf. Und ein Kontrollverlust unter Drogen führt zum Verlust der Menschenwürde." Er sieht in Santo Daime eine Sekte, die Drogenexperimentierer manipulieren könnte: "Es gibt in dieser Gesellschaft eine Sehnsucht nach spirituellen Erlebnissen, und die sind garantiert, wenn halluzinogene Drogen ins Spiel kommen."

Dr. Henrik Jungaberle von der Abteilung für Medizinische Psychologie der Uni Heidelberg schätzt, dass es in Europa mehrere tausend Daimistas gibt. Seit anderthalb Jahren erforscht der Psychologe mit seinem Team langfristige biografische Auswirkungen des rituellen Drogengebrauchs. "Der überwiegende Teil der Daimistas sind Menschen mit einem tief religiösen Bedürfnis", so seine Einschätzung. Also keine Sekte, aus der es kein Entrinnen gibt? "Das sind sehr offene Menschen, die keinen Druck aufeinander ausüben. Dort auszutreten ist nicht schwieriger, als die Dorffeuerwehr zu verlassen", glaubt der Wissenschaftlers.

Die Haare der junge Frau haben sich aus dem Knoten gelöst und hängen ihr wirr ins Gesicht. Sie spricht nun mit uralter, knarzender Stimme, ihr Gang ist gebeugt und auf ihren Augen liegt ein Schleier. Sie legt ihrer Patientin die Hand auf den Kopf, zeichnet mit einer Kerze magische Zeichen in die Luft, schnippt mit den Fingern und stößt immer wieder zischende Laute aus.

Der Geist, dem die Frau als Medium dient, analysiert das Problem der Ratsuchenden und diktiert einem Helfer ein Rezept: Verschiedenfarbige Kerzen, Räucherwerk, Honig und eine Feder seien mitzubringen, daraus werde ein Schutzzeichen erstellt. Außerdem wird die Teilnahme an einem Reinigungsritual empfohlen.

Fünf Stunden lang hat die Gemeinde in Trance gesungen und gebetet. Dadurch, so heißt es, werde Energie erzeugt, die es den Priestern ermöglicht, ihr eigenes Bewußtsein auszuschalten. Götter und verstorbene Heiler ergreifen Besitz von den Körpern der Priester und geben so Ratsuchenden Hilfe.

Die Zeremonie ist zu Ende. Heiter und gelöst treten die Gemeindemitglieder in die tropisch warme Nacht, die vom Zirpen der Zirkaden erfüllt ist. Der Geist hat die junge Frau wieder verlassen, ihre Augen sind klar, ihr Gang wieder aufrecht. In ihrem wirklichen Leben ist sie Ärztin.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Marco Gracie Imperial (www.santo-daime.org/fotos.html)


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