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Brasilien - Jetzt kommt Lula

Der Mann hat zwei Geburtstage, und beide sind dieses Jahr für ihn praktisch ausgefallen, weil er sich zum Präsidenten Brasiliens wählen lassen musste. Sein Vater behauptet, Luíz Inácio Lula da Silva sei am 06. Oktober 1945 in Pernambuco im Nordosten Brasiliens geboren. 57 Jahre später verpasste er an diesem Tag knapp die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang. Doch seine Mutter versicherte stets, dass Lula erst am 27. Oktober 1945 geboren sei, und so schneidet er die aus einem roten Stern geformte Geburtstagstorte an dem Tag an, an dem er mit dem Rekordergebnis von 60 Millionen Stimmen zum neuen brasilianischen Präsidenten gewählt wird.

„A esperança venceu o medo“ – „Die Hoffnung hat die Angst besiegt“, so war überall zu hören. Mit Lula gelangt zum ersten mal ein einfacher Arbeiter an die Macht, ein Gewerkschaftsführer, Freund von Fidel Castro und Hugo Chavez, ehemaliger Bürgerschreck und Agitator, der seine sozialistischen Kampfparolen in jedes Mikrofon schrie, das man ihm hinhielt. 20 Jahre lang kämpfte das Establishment gegen die rote Gefahr, jetzt ist aus dem brasilianischen Che Guevara ein „Lula Light“ geworden, in schickem Anzug, mit grauem Bart und staatsmännischer Gelassenheit. Aber seine Arbeiterwurzeln, so versichert er immer wieder, habe er nicht verloren. Und in den frühen Morgenstunden des 28. Oktobers 2002 erinnert Lula in einer emotionalen Rede auf der Avenida Paulista in São Paulo vor 100.000 feiernden Menschen an die vielen „Companheiros“ der Arbeiterpartei (PT), die diesen historischen Augenblick nicht mehr miterleben durften. Und er erinnert an seine Mutter, die versucht hatte, ihn davon abzuhalten, in die Gewerkschaft einzutreten, aus Angst von der Militärdiktatur ins Gefängnis geworfen zu werden. Sie starb, während ihr Sohn im Gefängnis saß.

Eine Welle der Hoffnung durchzog Brasilien in den letzten Wochen und Monaten des Wahlkampfs, eine Zuversicht, dass ein radikaler Wechsel zum Besseren kurz bevorstehe. Besonders bei der jungen Generation verbindet sich mit Lula eine Art Woodstock-Romantik, ein Aufbrechen der alten Politikmuster. Und so sind bei diesen Wahlen viele Dinosaurier der brasilianischen Politik wohl für immer entschlafen.

Auf der Lula-Welle konnte die PT und andere linke Oppositionsparteien in den bundesstaatlichen und föderalen Parlamenten kräftig zulegen, ohne jedoch eine Mehrheit zu erlangen.

Die brasilianischen Wähler zeigten sich in ihren differenzierten Stimmabgaben überraschend reif – Populisten und Demagogen wurde meist eine deutliche Abfuhr erteilt, und nicht selten trennten sie ihre Stimmen auf den unterschiedlichen Ebenen – zwar erhielt Lula in fast allen Bundesstaaten die absolute Mehrheit, seine Partei verlor jedoch 7 von 8 Stichwahlen. Besonders schmerzlich dürfte dabei die Niederlage in Rio Grande do Sul sein, dem Vorzeigeobjekt und ganzen Stolz der PT. Und mit den Gouverneuren Germano Rigotto (PMDB – Rio Grande do Sul), Jarbas Vasconcelos (PMDB – Pernambuco), Geraldo Alckmin (PSDB – São Paulo) und Aécio Neves (PSDB – Minas Gerais) verfügt die Opposition über vier ausgesprochen populäre und charismatische Führungspersönlichkeiten. Kann Lula seine zahlreichen Versprechen gegen ihren Widerstand durchsetzen? Es wird auf jeden Fall schwierig.

Aber im Brasilien von heute scheint eine neue Zeit der „Cordialidade“, der Herzlichkeit, angebrochen zu sein. So umarmten sich nicht nur Lula und sein Herausforderer José Serra nach dem letzten TV-Duell, sondern aus allen politischen Ecken ist ein neuer Ton der Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu hören. „Lulinha paz e amor“ – „Lula – Friede, Freude, Eierkuchen“ scheint viele angesteckt zu haben. Mal sehen, wie lange das anhält.

Eins ist auf jeden Fall geblieben: „Ich kann einfach kein Mikrofon sehen, ohne Lust zu bekommen, viel zu reden“, sagte Lula in seinem ersten Statement nach der gewonnenen Wahl.


Text und Fotos: Thomas Milz

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