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Helden Brasiliens: Lula wird sauer - Viel Lärm um nichts

Frage:
Was muss passieren, damit ein brasilianischer Präsident richtig sauer wird?
Antwort: Die Publikation eines Artikels in der Sonntagsausgabe der New York Times, gut versteckt auf Seite 6, geschrieben von einem in Rio de Janeiro ansässigen US-amerikanischen Korrespondenten, der erst im letzten Jahr von Brasiliens staatlichem Ölmulti Petrobras für seine herausragenden journalistischen Leistungen ausgezeichnet worden war.
Inhalt des Artikels: Die nationale Besorgnis der Brasilianer über Präsident Lulas exzessiven Alkoholgenuss. Daneben ein Foto des vermeintlichen Schluckspechts, eine Maß Bier in den Himmel reckend.

Meine brasilianischen Freunde sind begeistert von der Meldung, die zur besten Novela-Sendezeit über den abendlichen Bildschirm huscht. Bereits am Nachmittag hatte sich abgezeichnet, dass Präsident Lula sich so etwas nicht bieten lassen würde.

Gefragt, ob er besorgt sei über die möglichen Konsequenzen, die der bis dahin wenig beachtete Artikel für ihn und sein Image haben könnte, antwortete er knapp: "Nicht ich muss besorgt sein, sondern der Urheber des Artikels." Nun war es passiert. Acht Tage habe der unverschämte Schreiberling Zeit, das von ihm mit Dreck beworfene Land zu verlassen. Sein Journalistenvisum sei mit sofortiger Wirkung eingezogen. In eilig im Internet und im Fernsehen durchgeführten Blitzumfragen stellte sich eine überwältigende Mehrheit der Brasilianer hinter ihren übersäuerten Präsidenten.

Kritische Stimmen dagegen waren von brasilianischen und ausländischen Journalisten zu vernehmen. Ein Angriff auf die durch die brasilianische Verfassung garantierte Pressefreiheit sei des Präsidenten Entscheidung. Zudem basiere diese auf einem während der Militärdiktatur erlassenen Gesetz, welches erlaube, Ausländer auszuweisen, falls ihr Aufenthalt gegen nationale Interessen verstoße. Man fragte sich, wie denn ausgerechnet ein von der Militärdiktatur verfolgter ehemaliger Gewerkschaftsführer sich eines solchen Gesetzes bedienen könne, um ihm unliebsame Kritiker zum Schweigen zu bringen. Hatte doch die Berichterstattung durch die internationale Presse ihn einst mehr als einmal vor schlimmerer Verfolgung durch die Generäle bewahrt und ihn weit über Brasilien hinaus bekannt gemacht.

Überrascht zeigte sich auch der Justizminister, der gerade in der Schweiz weilend, mitten in der Nacht von brasilianischen Journalisten aus dem Bett geklingelt und um eine spontane Stellungnahme gebeten wurde. Mit verschlafener Stimme äußerte er seine Unkenntnis der Vorkommnisse und ließ sich mehrmals bestätigen, dass es sich hierbei nicht um einen Scherz handle. Und der Oberste Gerichtshof legte dem gerade irgendwo in Lateinamerika weilenden Korrespondenten nahe, gegen Lulas Entscheidung zu klagen. Er hätte gute Chancen, sein Visum zurückzubekommen.

Derweil bemühte sich Lulas Pressesprecher André Singer, die immer höher schlagenden Wogen ein wenig zu glätten. Von einem Verstoß gegen die Pressefreiheit könne man nicht sprechen, da die New York Times schließlich einfach einen neuen Korrespondenten nach Brasilien schicken könne. Das hätte diese auch bereits getan, unkten Scherzkekse, und Lula hätte auch schon mehrmals mit dem neuen Korrespondenten, Herrn Jack Daniels, persönlichen Kontakt aufgenommen. Andere Witzbolde tauften die altehrwürdige New Yorker Postile einfach in New York Ballantines um.

Mittlerweile befand sich die öffentliche Unterstützung für Lulas "aus dem Bauch heraus" – Politikstil im Sturzflug. Der Präsident sah sich gezwungen, einen ehrenvollen Rückzieher zu machen und zu erklären, dass er eine offizielle Entschuldigung des Journalisten akzeptieren und ihm in diesem Falle sein Visum zurückgeben würde. Was folgte war ein Brief der New York Times an den Präsidenten, in dem diese die Vorkommnisse bedauerte. Doch als Lula daraufhin erklärte, er würde dieses Schreiben als Entschuldigung akzeptieren und die ganze Geschichte zu den Akten legen, beieilte sich die New York Times klarzustellen, dass es sich bei ihrem Schreiben keineswegs um eine Entschuldigung gehandelt habe. Alle in dem umstrittenen Artikel aufgestellten Behauptungen entsprächen weiterhin der Wahrheit.

Man hatte es tatsächlich geschafft, aus einem nahezu unbeachteten, dummen und unglaublich schlecht recherchierten Artikel eine internationale Lachnummer mit breitem Gesichtverlust für alle Beteiligten zu stricken. Ob dies nun wirklich notwendig war, wissen wohl nur die, die über den universalen Gesamtzusammenhang aller Dinge Bescheid wissen.

Nachdenklich stimmt nur eine kleine Randnotiz, die darauf verweist, dass jener journalistische Fremdnestbeschmutzer seit vielen Jahren mit einer Brasilianerin verheiratet ist, mit der er zwei Kinder hat. Diese Tatsache garantiert ihm das uneingeschränkte Recht, sich in Brasilien aufzuhalten und nicht abgeschoben werden zu können.

Wie sagte schon der gute alte Shakespeare: viel Lärm um nichts.

Text und Fotos: Thomas Milz

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