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Helden Brasiliens: Fahrstuhlfahren à la brasileira

8 Stockwerke, 15 Apartments, unruhige Wohnlage inmitten São Paulos, hupende Autofahrer und sambaklopfende Trällersänger. Gut, dass es da den Aufzug gibt, der einen, wenn er nicht gerade kaputt ist, nach einem anstrengenden Tag im Großstadtdschungel schnell und keineswegs ruckelfrei in den 7 Stock befördert. Tür auf, Tür zu, den Knopf mit der 7 drauf drücken, und 24 Sekunden später öffnet sich die Tür erneut und wir sind da. Fertig!

Doch können wir einfach so sorglosen Schrittes dieses zivilisatorische Kleinod betreten? Muss es nicht hier – wie überall anders in dieser angeblich immer komplexer werdenden Welt - Regeln geben, die den reibungslosen Ablauf jenes komplizierten vertikalen Hebeablaufs garantieren?

Schließlich habe ich mehrfach Schrecksekunden in meinem Aufzug erlebt, wenn ich meine Wohnung im siebten Stock verlassen, gedankenverloren im Fahrstuhl den Knopf gedrückt und erwartete habe, dass etwas passiert. Die Türen schließen sich, doch der Aufzug bewegt sich nicht. "Sind wir stecken geblieben?", ist dann jedes mal die Frage, und die Antwort lautet immer: "Tom, hast Du Erdgeschoss oder mal wieder die 7 gedrückt?" Es passiert mir so oft, dass ich "Erdgeschoss" drücke, wenn ich gerade im Erdgeschoss eingestiegen bin, und "7", wenn ich eigentlich vom siebten Stock nach unten will. Ein kleines Hinweisschild "Ziel drücken, und nicht den momentanen Standort" würde hier sicherlich dienlich sein.

Die Hausverwaltung teilt in einem an die Aufzugwand geklebten Schreiben mit, dass es ab sofort strengstens verboten sei, die Küchenherde mit Gasflaschen zu betreiben, und dies unter Androhung strengster zivilrechtlicher und strafrechtlicher Konsequenzen. Gut, das schreckt niemanden ab.

Dann entdecke ich sie, die Hinweisschilder, links neben dem Aufzug: "Im Brandfall nicht den Aufzug benutzen, sondern das Treppenhaus!"

Okay, das ist vernünftig. Bloß komisch, dass das Schild im Erdgeschoss hängt. Denn wenn es wirklich brennt, sollte man sowieso nicht mehr mit dem Aufzug hoch in die Wohnung fahren. Durch das Schild angewiesen, könnte man fatalerweise das Treppenhaus hoch spurten, dem sicheren Flammentod entgegen. Wäre es nicht viel sinnvoller, wenn auf diesem Schild stehen würde: "Im Brandfall erst gar nicht in die Wohnung hochfahren, sondern direkt wieder zur Eingangstüre raus gehen. Und auch nicht zu Fuß unnötig durch das Treppenhaus laufen. Aber wenn man schon gerade oben ist, dann lieber durch das Treppenhaus runter. Und auf gar keinen Fall den Aufzug benutzen!" Hm, ist ja auch egal.

Doch das zweite Schild hat es so richtig in sich: "Achtung!", heißt es da, "jedwede Form von Diskriminierung in diesem Aufzug ist von Gesetzes wegen her verboten und wird hart bestraft. Ganz gleich ob auf Grund der Rasse, des Geschlechts, der Farbe, der Herkunft, der sozialen Stellung oder des Alters der Mitfahrenden. Auch ob der Mitreisende eine durch normalen sozialen Kontakt nicht übertragbare Krankheit in sich schlummern hat, oder diese vielleicht bereits ausgebrochen ist, rechtfertigt in gar keinem Fall eine diskriminierende Behandlung in diesem Aufzug."

Noch bin ich ob dieser knappen und dabei doch so kompletten Zusammenfassung, bescheiden als "Kommunalgesetz 11.995 vom 16.11.95" betitelt, verzaubert, da trifft mich das dritte Schild mit dem "Kommunalgesetz 12.722 vom 04.09.98" vollkommen unvorbereitet: "Bevor Sie den Aufzug betreten, vergewissern Sie sich, dass sich dieser auch wirklich auf ihrem Stockwerk befindet!"


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Nachdem ich den gesamten vorhergehenden Absatz meiner Sprachlosigkeit gewidmet habe, betrete ich nun den Aufzug. Es sei verboten, im Aufzug zu rauchen. Alles klar, Standard. "Zulässiges Gesamtgewicht 560 kg oder 8 Personen", das sind Durchschnittswerte, 70 kg pro Person, da liege ich zwar locker drüber, aber kein Problem. Die Hausverwaltung teilt in einem an die Aufzugwand geklebten Schreiben mit, dass es ab sofort strengstens verboten sei, die Küchenherde mit Gasflaschen zu betreiben, und dies unter Androhung strengster zivilrechtlicher und strafrechtlicher Konsequenzen. Gut, das schreckt niemanden ab ("Ab jetzt sollen wir wohl alle mit Brennholz kochen," meint mein Nachbar dazu). Doch dann entdecke ich noch ein "Achtung-Schild": "Um Unfälle in diesem Aufzug zu vermeiden, möchten Sie sich bitte an die folgenden Regeln halten: Die Anzahl der Passagiere oder das Gesamtgewicht darf nicht die vom Hersteller angegebenen Werte überschreiten. " Klar, dafür war ja schon das andere Schild gedacht. Aber weiter.

"Nur dazu berechtigte Personen oder Firmen dürfen die Reparatur des Aufzuges übernehmen." Das finde ich gut, so haben Scharlatane keine Chance, und es fährt sich direkt viel sicherer. "Der jährlich anzufertigende Inspektionsbericht muss vom Vermieter am schwarzen Brett im Eingangsbereich öffentlich zugänglich ausgehangen werden." Aber den Bericht suche ich vergeblich.

Und hätte fast einen entscheidenden Satz übersehen: "Kinder unter zehn Jahren dürfen nicht unbeaufsichtigt im Aufzug fahren, da sie nicht über die körperliche Größe und die geistige Reife verfügen, um den Alarmknopf im Notfall richtig zu bedienen."

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Schon wieder diese Sprachlosigkeit. Doch genauer betrachtet, liegt hier natürlich ein Dilemma vor, denn wenn man den Alarmknopf tiefer anbringt, werden die kleinen Tunichtgute ständig dran rumspielen und ihn dadurch auslösen. Bringt man ihn aus diesem Grund höher an, erreichen ihn die Kinder nicht mehr. Hm, hier war der Gesetzgeber wohl letztlich dann doch überfragt. Ich hoffe nur, dass diese Gesetzeslücke geschlossen wird, bevor ich mal Kinder haben werde.

Heute morgen hörte ich im Radio, dass die Bürgermeisterin von São Paulo eine Aufzugsteuer einführen will.

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Dann werde ich halt demnächst nur noch zu Fuß gehen. Ist ja sowieso gesünder. Und unkomplizierter.

Text + Fotos: Thomas Milz Druckversion  

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