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Helden Brasiliens: Dosen runter!

Als die ersten Bürgerbewegungen Anfang der 80er Jahre in Deutschland zum Umdenken in ökologischen Fragen ermahnten, bezeichnete man sie als grüne "Spinner" und "Hinterwäldler". Mittlerweile sind die "Spinner" an der Regierung und haben einige ihrer Ideen bereits umgesetzt. Die Einweg-Getränkedose war ihnen dabei von jeher ein Dorn im Auge. Ihre Herstellung verbraucht wertvolle Rohstoffe, benötigt viel Energie und zu guter letzt wird die Dose, nachdem sie gerade mal zwei Schluck Bier gespendet hat, auch noch für die nächsten hundert Jahre zum Müllproblem.

So belegte man sie mit derart hohem Pfand, dass sie nun auszusterben droht. Aber kaum jemand trauert ihr nach, ist doch den meisten klar, dass Glas- und Plastikflaschen, die man immer wieder neu auffüllen kann, fortschrittlicher und Umwelt schonender sind.

In Brasilien verläuft der Trend seit einigen Jahren in umgekehrter Richtung. Kaum noch sieht man im Supermarkt Getränke in Flaschen, und wenn, dann sind es Einwegflaschen. Pfandflaschen zu finden, ist nahezu unmöglich. Stattdessen kauft man Erfrischungsgetränke in 2,5 Liter Pet-Flaschen und Bier in 0,35 Liter Dosen. Selbst in vielen Restaurants bekommt man statt der eigentlich üblichen 0,6 Liter Bierflasche eine Dosen auf den Tisch gestellt. Doch das scheint die Brasilianer nicht wirklich zu stören. Ganz im Gegenteil. Oft hört man Sätze wie: "Bei einer verschlossenen Dose kann ich wenigstens sicher sein, dass niemand irgendwelche Drogen oder K.O.-Tropfen hineingemixt hat".

Dosen sind hier ein modernes Produkt, und wer sich für richtig auf der Höhe der Zeit hält, der kauft sich einen Kühlschrank mit in der Innenseite der Tür eingelassenen Dosenhaltern, die über einen eigenen Kühlkreislauf verfügen, so dass jede Dose einzeln gekühlt wird.

Mein Argument gegen die Dosen und Pet-Flaschen war immer, dass man sie gerne achtlos in die Gegend wirft, aus dem Fenster des fahrenden Busses oder aus dem durch einen Nationalpark fahrenden Boot. Wie oft habe ich daraufhin das Argument gehört – sowohl von sogenannten intellektuellen Brasilianern wie auch von scheinbar aufgeklärten Deutschen -, dass Umweltschutz ein Luxusproblem der im Überfluss lebenden Ersten Welt sei. Dass man von Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder vor dem Verhungern retten sollen, nicht erwarten kann, ein Umweltbewusstsein zu entwickeln.

Seit einigen Jahren sind die weggeworfenen Getränkedosen jedoch aus dem Erscheinungsbild brasilianischer Zivilisation verschwunden. Stolz vermeldet man, dass Brasilien mit über 95% Sammelquote Weltmeister des Dosenrecyclings sei. Auch dies ein Zeichen von Fortschritt, meint man. Doch die immer noch zu Tausenden auf den Flüssen dahintreibenden Pet-Flaschen geben irgendwie zu denken. Es kann sich also nicht um ein plötzlich aufgekommenes Umweltbewusstsein handeln.

So sind die Obdachlosen, die den auf der Straße abgestellten Hausmüll nach Getränkedosen durchsuchen, wohl keine getarnten grünen Aktivisten. Für sie ist die Dose vielmehr eine Möglichkeit, zu überleben. Vielleicht sogar die einzige.

Für ein Kilo Dosen gibt es beim Wertstoffhändler bei uns nebenan 3,30 Reais. Dabei wiegt eine Dose 13,5 Gramm, ist damit also nur etwa 4,5 Centavos oder 1 Eurocent wert. Doch das reicht aus, damit sich Kinder um eine von einem Touristen weggeworfene Dose streiten.

Vor ein paar Tagen bin ich von Brasilien nach Deutschland geflogen. Ein brasilianischer Freund bat mich, ihm doch bitte deutsches Bier mitzubringen, wenn ich zurückkomme. "Fünf oder sechs Dosen, wenn es geht." Doch ich erklärte ihm, dass das wohl nicht machbar sei. "Ich glaube, dass Getränkedosen in Deutschland mittlerweile abgeschafft worden sind."

"Was, es gibt keine Getränkedosen mehr – ich dachte, Deutschland wäre ein modernes Land."

Text + Fotos: Thomas Milz druckversion

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