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In der Chapada dos Veadeiros

Nur 225 Kilometer Entfernung und doch eine andere Welt. Vor knapp vier Stunden haben wir die Hektik und Geschäftigkeit Brasilias verlassen. Jetzt, am späten Nachmittag, nähern wir uns unserem Ziel – der Fazenda Sao Bento, zehn Kilometer von Alto Paraiso de Goiás entfernt, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Nationalpark Chapada dos Veadeiros (Hochebene der Hirschjäger).

Die schon tief stehende Sonne wirft lange Schatten und lässt die Granitberge mit ihren runden Kuppen und weichen Formen zum Greifen nahe erscheinen. Im starken Kontrast dazu stehen die Buritipalmen, die sich mit ihren spitzen Blattbüscheln wie Scherenschnitte gegen den hellen Himmel abheben. Ein leichter Wind streicht über die Grasebene, die sich bis an den Fuß der Berge erstreckt, und bringt eine Duftmischung aus verschiedenen Pflanzengerüchen mit sich. Natureza pura – Natur pur.

Wir befinden uns im äußersten Norden des Bundesstaates Goiás, an der Grenze zum Nachbarstaat Tocantins und stehen auf uraltem Boden aus der Frühzeit der Erde.

Vor circa 300 Millionen Jahren gab es nur einen einzigen Kontinent, den Urkontinent Pangea. In ihm waren die heutigen Kontinente schon flächenmäßig angelegt, wobei sich Indien, Afrika und Südamerika in unmittelbarer Nachbarschaft befanden.

Vor circa 200 Millionen Jahren begann dann die Kontinentalverschiebung, in deren Verlauf sich die einzelnen Kontinente voneinander trennten. Hier in Goiás lässt sich nun die urzeitliche Nachbarschaft Südamerikas zu Indien und Afrika belegen, denn Gesteine, die hier zu Tage treten, weisen in geologischen Untersuchungen weitestgehende Übereinstimmung in Alter, Typ und Struktur mit Gesteinen aus Zentralindien und Afrika auf.

Das nachgewiesen hohe Alter dieser Region und die Verbindung zu Afrika und Indien, üben eine starke Anziehung auf all diejenigen Leute aus, die dem Übersinnlichen verhaftet sind. Das wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass die gesamte Region reich an Quarz und Bergkristallen ist – ein weiterer Beweis für viele, dass diese Gegend besondere Eigenschaften besitzt. Kein Wunder also, dass Alto Paraiso de Goiás heute zum Treffpunkt für Mystiker und Esoteriker aus der ganzen Welt geworden ist.

Schon früher einmal war die Chapada Sammelplatz für Leute aus ganz Brasilien. Als im Jahre 1912 die Nachricht von reichen Funden an Quarz und Bergkristallen durchsickerte, machten sich kurze Zeit später Scharen von Garimpeiros (Edelsteinsucher) auf den Weg. Bis in die 50´er Jahre waren sie hier tätig, immer in Abhängigkeit von den Preisen, die der internationale Markt für die von ihnen geförderten Produkte anbot. Die Aktivitäten endeten, als synthetische Kristalle in besserer Qualität und zu günstigeren Preisen auf den Markt drängten.

Seit 1961 ist die Chapada dos Veadeiros Nationalpark. Die alten Garimpeiros sind jetzt Beschützer und Guides. Sie führen Besucher zu den Sehenswürdigkeiten. Ohne sie ist kein Besuch möglich – und das ist auch gut so, um das sensible Ökosystem der Region zu schützen.

Nach ausgiebiger Nachtruhe erkunden wir zuerst die Umgebung der Fazenda. In unmittelbarer Nähe stürzt ein kleiner Fluss sechs Meter über eine Felsstufe und bildet ein natürliches Becken; sozusagen der Haus-Swimming-Pool der Fazenda. Das Wasser ist kristallklar, man kann bis auf den Grund sehen, das Baden ist ein Genuss, sobald man den anfänglichen Schock zwischen Luft- und Wassertemperatur überwunden hat.

Etwas weiter finden sich zwei Wasserfälle des Rio dos Couros, Almécegas eins und zwei, die leicht zu Fuß zu erreichen sind.

Unterwegs machen wir uns mit der für das Cerrado typischen Vegetation vertraut – dichte, saftig grüne Galeriewälder entlang der Flüsse und Bäche, daneben Grasland mit kleinen Wäldchen von Buritipalmen und Buschwald mit niedrigen Sträuchern, die während der fünf Monate andauernden Trockenzeit die Blätter abwerfen, sowie Pflanzen wie die Canela-de-ema und die Sempre-viva, die dank eines Wasservorrats in Stengeln und Wurzeln überleben können.

Bald hören wir das Rauschen des ersten Wasserfalls, den man erreicht, wenn man an der Weggabelung links abbiegt. In einer Breite von 30 Metern stürzt der Fluss über eine Felskante und sammelt sich 50 Meter tiefer in einem großen Wasserbecken. Ein eindrucksvoller Blick, den wir von der gegenüberliegenden Seite der Schlucht genießen können. Der aus der Schlucht aufsteigende Wasserdampf schafft ein spezielles Mikroklima, das einer Vielzahl von verschiedenen Orchideen und Bromelien zu optimalen Lebensbedingungen verhilft.

Wir kehren das kurze Stück bis zur Gabelung zurück und nehmen nun die rechte Abzweigung. Am Fuße des zweiten Wasserfalls finden wir optimale Badebedingungen und verbringen hier faulenzend die heißen Mittagsstunden.

Am nächsten Morgen sind wir schon wieder früh auf den Beinen, denn wir wollen die Kühle nutzen, um im Nationalpark die Canyons des Rio Preto zu durchwandern und zu erkunden. Die IBAMA, die brasilianische Umweltschutzbehörde, betreut den Park und besitzt einen Stützpunkt in Sao Jorge. Dort finden wir auch einen Guia, einen Führer, der uns auf dem Weg zum Rio Preto begleiten wird. Obwohl noch einige andere Gruppen zum Abmarsch bereitstehen, verteilt sich alles wenige hundert Meter nach Verlassen des Kontrollpunkts am Parkeingang sind wir dann mit unserem Führer allein.

Unterwegs stoßen wir immer wieder auf Plätze, an denen man meinen könnte, dass hier jemand Glasscheiben in feine Splitter zerschlagen hat. Das sind die Stellen, an denen Quarz in reinster Form an die Oberfläche tritt und die früher von den Garimpeiros ausgebeutet wurden.

Zu unserer Überraschung stellen wir fest, dass einige Pflanzen entlang des Weges schon Blüten tragen, obwohl wir uns noch mitten in der Trockenzeit befinden.

Wir sind fasziniert von den Kugelköpfen der Sempre-viva und von der Feinheit der einzelnen Blüten selbst. Doch als noch schöner empfinden wir das intensive Blau der Canela-de-ema. Daran können wir uns nicht satt sehen. Doch unser Führer mahnt, dass wir noch ein Stück Weg vor uns hätten, und so müssen wir weiter.

Mittlerweile steht die Sonne auch schon hoch am Himmel, Schatten ist nicht vorhanden und der leichte Wind, der zu Beginn der Wanderung noch Kühlung brachte, erinnert mittlerweile an ein Warmluftgebläse. Schon wollen wir leise murrend unseren Führer fragen, wie weit es denn noch wäre, als wir plötzlich am Rand einer tief das Granitgestein durchschneidenden Spalte stehen, an deren Fuß der Rio Preto tost. Die Felswände fallen senkrecht ab und sind vom aufsteigenden Wasserdampf glitschig. Vorsichtig bewegen wir uns am Rand entlang auf der Suche nach einem guten Platz zum Ausruhen und Fotografieren. Nachdem wir unserer Dokumentationspflicht Genüge getan haben, finden wir am Ausgang der Schlucht einen Schattenplatz, stärken uns mit einem kleinen Lanche (Brotzeit) und füllen unseren internen Wasserpegel wieder auf.

Danach geht es weiter zum Canion Nummer zwei und zum Wasserfall Cariocas. Hier ist ein Abstieg in die Schlucht möglich. Der Weg erfordert allerdings Kletterqualitäten von Gämsen und Affen. Gämsen gleich springen wir von Felsblock zu Felsblock und wie Affen hangeln wir uns von Ast zu Ast, von Wurzel zu Wurzel. Unten angekommen haben wir einen herrlichen Blick auf den Wasserfall, finden einen bequemen Liegeplatz auf vom Wasser blank polierten Felsen und können in Wassertümpeln ein erfrischendes Bad nehmen.

Zurück in Sao Jorge klappern wir noch verschiedene Läden auf der Suche nach schönen Bergkristallen ab und werden fündig. Zur Belohnung für unsere Ausdauer während der Wanderung genehmigen wir uns eine Matula, das typische Gericht der Chapada. Dabei handelt es sich um eine örtliche Variation der Feijoada, des brasilianischen Nationalgerichts. Wir sind mehr als satt, als wir vom Essen aufstehen, und benötigen deshalb noch einen Digestivo in Form eines Gläschens Cachaça und einen Cafezinho.

Den nächsten Tag beginnen wir etwas fußlahm, denn die gestrige Wanderung war doch anstrengend. Das soll uns aber nicht vom Besuch des Vale da Lua (Mondtal) abhalten. Der Abstieg ins Tal des Rio Sao Miguel ist zwar etwas steil, aber mit unserem guten Schuhwerk leicht zu bewältigen. Dagegen bewundern wir unseren Guia, der nur mit Chinela (Sandalen) ausgerüstet ist und damit munter von Stein zu Stein springt.

Der Ort macht seinem Namen alle Ehre; es ist eine Landschaft wie auf der Oberfläche des Mondes. Der Fluss hat hier eine Gesteinsformation aus der Urzeit der Erde freigelegt und im Verlauf der Jahrhunderttausende modelliert. Da finden sich abgeschliffene Felsplatten, ausgehöhlte und blankpolierte Felskorridore, Strudellöcher von Faustgröße bis zum Durchmesser von einem Meter, unterirdische Aushöhlungen, in denen der Fluss verschwindet, um erst nach einigen Metern wieder aufzutauchen und viele Wasserbecken, die zum Bade einladen. Die dunkelgraue Farbe des Gesteins verleiht dem Ganzen etwas Unwirkliches.

Den Mirante do Moinho (Aussichtspunkt zur Mühle) haben wir uns für den Abschluss des Tages und damit unseres Besuches in der Chapada aufgehoben. Wir genießen den Blick in das Vale do Moinho und auf die Berge, die das Tal einschließen; sowie die Ruhe, die dieser Aussichtpunkt ausstrahlt.

Der Wind, der in den Blättern der Bäume flüstert und im Gras wispert, und der entfernte Ruf eines Vogels sind die einzigen Geräusche. Wir sitzen und schauen und fühlen uns als Teil eines größeren Ganzen -- gibt es sie doch, die magischen Kräfte der Chapada?

Text + Fotos: Dieter Hauguth

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