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Ilha do Cajú
Clarks Insel im Delta des Parnaiba

Unterm Sonnensegel lässt es sich gut ruhen. Unser Blick wandert über die Wasserfläche des Rio Parnaiba zu den uns umgebenden Inseln mit ihren Mangrovendickichten. Natur pur, kein Anzeichen einer Besiedlung, keine Menschenseele außer einem einsamen Fischer, der auf seinem Boot unter vollem Segel unterwegs ist.

Wir befinden uns im Delta des Rio Parnaiba auf der Fahrt zur Ilha do Cajú. Die Stadt Parnaiba, unser Ausgangspunkt, in dem wir gestern – von Fortaleza kommend – per Flugzeug eingetroffen sind, liegt schon lange hinter uns und wir sind mittlerweile immer tiefer in diesen Irrgarten aus Wald und Wasser eingetaucht. Das monotone Geräusch des Motors und die langsamen Bewegungen des Schiffs machen müde. Unser Begleiter, der uns in Parnaiba abgeholt hat, zollt schon den entsprechenden Tribut und entspannt in einer Hängematte. Auch wir kommen ins Träumen.

Ziemlich genau 300 Jahre ist es her, dass der portugiesische Seefahrer Nicolao Resende diesen Teil Brasiliens als erster Europäer betrat und erforschte.

Er verlor sein Schiff samt einer Ladung Gold während eines Sturms auf den Sandbänken vor der Mündung des Rio Parnaiba und verbrachte anschließend mehr als 15 Jahre seines Lebens in dieser Gegend.

Vielleicht war es zum Schluss mehr die Freude an dieser traumhaft schönen Landschaft als die Suche nach dem verlorenen Gold, die den Portugiesen veranlasste, solange hier zu verweilen.

Die Jesuiten, die sich der Bekehrung der hier wohnenden Tremembé-Indianer widmeten, entdeckten zwar kein Gold, dafür aber einen anderen Schatz. Von den Indianern erfuhren sie, in welcher Vielfalt sich die Carnauba-Palme nutzen lässt. Die Wurzel liefert ein Heilmittel gegen Entzündungen. Aus dem Palmmark des frischen Triebes kann Wein, Weinessig oder eine Art Süßstoff gewonnen werden. Das junge Palmmark selbst ist ein wertvolles Lebensmittel. Presst man es aus, so erhält man große Mengen an Stärke, die zu einer Art Brei verarbeitet werden können. Die grünen Früchte der Palme sind ein sehr gutes Viehfutter. Getrocknet, zerrieben und gemahlen liefern sie eine Art Kaffeeersatz. Der Stamm ist unverzichtbares Material für den Bau von Häusern und Umzäunungen. Die Blätter decken das Dach, liefern entsprechend aufbereitet Wachs, das zur Herstellung von Kerzen verwendet werden kann, oder werden zu Schlafmatten und Körben geflochten. Das Wissen um alle diese Dinge blieb bei den Bewohnern der Region erhalten, auch als die Indianer schon ausgestorben waren und die Jesuiten Brasilien längst verlassen hatten.

Anfang des 19. Jahrhunderts begann die kommerzielle Verwertung der Carnauba-Palme, besonders des Stammes und des Wachses. 1824 wurde auf Initiative des Engländers James Frederick Clark die erste Ladung Wachs nach Europa verschifft. Von da an blühte das Geschäft und machte Parnaiba zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum siebtgrößten Hafen Brasiliens. Als kurze Zeit später die synthetischen Wachse auf der Basis von Erdöl auf den Weltmarkt drängten, war das Fest vorbei und Parnaiba versank in einen Dornröschenschlaf.

Der Prinz, der Dornröschen Paraiba aus dem Schlaf weckte, war wiederum Clark. Hier beginnt die Geschichte der Ilha do Cajú, die eng mit der Familie Clark verbunden ist. Um 1840 herum erwirbt der schon erwähnte James Frederick Clark die Insel. Er und seine Nachfahren erhalten ihren natürlichen Zustand und schützen sie vor jeglicher Ausbeutung.

Diese Maßnahmen tragen reiche Früchte. Heute verkörpert die Ilha do Cajú ein ökologisch intaktes Schutzgebiet, ist Symbol für das Delta des Rio Parnaiba und trägt dank der touristischen Aktivitäten der jetzigen Besitzerin Ingrid Clark zum Wachstum der gesamten Region bei.

Als wir auf der Insel ankommen, ist es schon später Nachmittag. Der Jeep, der uns und unser Gepäck zum Haupthaus transportiert, ist zusammen mit dem Generator zur Stromerzeugung die einzige zivilisatorische Annehmlichkeit. Ansonsten ist einfaches Leben angesagt.

Dass die Natur hier integrierter Bestandteil eines Aufenthalts ist, spüren wir hautnah, als uns beim Öffnen des Wasserhahns im Bad eine Perereca (kleiner Frosch) entgegen springt, die hier ihr kühles Domizil gefunden hat. Im Wohnbereich sorgen Scharen von Geckos, die im Strohdach wohnen, für Ordnung in der Insektenwelt.

Pünktlich mit dem Sonnenuntergang wird zum Essen gerufen. An einer langen Tafel vor dem Haupthaus treffen sich die Gäste – ein junges Ehepaar sowie zwei alleinreisende Senhoras aus Sao Paulo, zwei abenteuerlustige Schwaben auf Entdeckungstour in Brasilien und wir. Neben dem normalen Besteck liegt auf dem Tisch auch ein Holzhämmerchen, das wir nicht recht einordnen können. Aber die Brasilianer klären uns auf: Es gibt eine "Corda de Carangejo", ein typisches regionales Krebsgericht. Die Hämmerchen werden zum Aufklopfen und Brechen des Krebspanzers benötigt. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten haben wir bald den Dreh raus und vertilgen eine gehörige Portion. Danach noch eine Dosis Cachaça zur Unterstützung der Verdauung – was geht es uns gut. Der Rest des Abends vergeht wie im Flug beim gegenseitigen Kennen lernen und Austauschen von Reiseerfahrungen. Um 22 Uhr beendet der Generator seinen Dienst – Schlafenszeit. Ein Sternenhimmel in unendlicher Pracht wölbt sich über uns, als wir zu unserem Häuschen zurückgehen.

Der nächste Tag beginnt mit einem spartanischen Vor-Frühstück, denn für den Morgen – noch vor der mittäglichen Hitze – ist eine Inselerkundung zu Fuß angesagt. Unser Ziel ist eine bewachsene Sanddüne, die einen weiten Blick über die Insel, den angrenzenden Strand und den Atlantik erlaubt. Unterwegs zeigt uns unser Führer an den Spuren im Sand, welche Tiere in der Nacht unterwegs gewesen sind – ein Hirsch, eine Wildkatze und ein Paca (eine Art Hase). Die Spur einer Iguana (Leguan) führt zu einem Baum, wo die Echse ganz entspannt auf einem Ast liegt und die Sonne genießt. Der Blick vom Aussichtspunkt ist überwältigend. Auf der einen Seite die Savannenlandschaft des Inselinneren, auf der anderen Seite ein kilometerlanger unberührter Sandstrand, gegen den die Wogen des Atlantiks anbranden. Die Unterhaltung verstummt und wir schauen und schauen und schauen.

Zurück an unserem Stützpunkt lassen wir uns die mittlerweile bereitgestellte Stärkung schmecken. Die Mittagszeit verbringen wir lesend und dösend in der Hängematte.

Am Nachmittag geht es dann aufs Schiff – diesmal Inselerkundung auf dem Wasserweg. Wir wollen die großen, bis zu 40 Meter hohen Sanddünen besuchen, die Meeresströmung, Wellen und Wind im Nordostteil der Insel aufbauen. Unterwegs können wir eine Reihe verschiedener Vogelarten beobachten – den kleinen und großen weißen Reiher, die Rohrdommel und den seltenen roten Sichler.

Wir ankern direkt bei den Dünen. Ihr Ersteigen gestaltet sich etwas schwierig – zwei Schritte aufwärts, dann rutscht man einen wieder zurück. Oben angekommen ist der Blick auf die Umgebung phantastisch, man fühlt sich in die Sahara versetzt. Auch der starke Wind, der den Sand vor sich her treibt und uns ins Gesicht peitscht, trägt zu diesem Gefühl bei.

Der Ausflug am nächsten Morgen findet auf dem Pferderücken statt. Nach einer knappen halben Stunde erreichen wir den Strand, den wir gestern vom Aussichtspunkt aus gesehen haben. Und dann reiten wir und reiten wir und reiten wir – und nach gut eineinhalb Stunden haben wir das Ende des Strandes immer noch nicht erreicht. Nach kurzer Rast und einem Sprung in das kristallklare Wasser machen wir uns wieder auf den Rückweg. Sonne und Wind dörren uns aus. Als wir wieder zurück sind, laben wir uns deshalb an einem kühlen Bier, um den erlittenen Flüssigkeitsverlust auszugleichen.

Die Mittagspause nutzen wir, um bestimmte, vom Reiten etwas geschädigte Körperteile zu pflegen.

Am Nachmittag erkundet unser Führer mit uns verschiedene, im Mangrovendickicht versteckte Wasserarme, so genannte Igarapés. Vom Hauptarm des Flusses aus sind sie fast nicht zu entdecken und manche können auch nur bei Flut befahren werden. Das Blätterdach der Mangroven lässt nur wenig Sonnenlicht einfallen, trotzdem ist es warm und stickig, die Luft steht – ein idealer Platz für Mücken, die sich trotz Autan nach kurzer Zeit an frischem europäischen Blut gütlich tun. Aber die reiche Tierwelt entschädigt für diese kleine Unannehmlichkeit. Reiher, Rohrdommeln und Ibisse suchen an den Ufern nach Futter, im Geäst über uns sind amselgroße Vögel mit rot-schwarzem Gefieder unterwegs. Am Ufer wimmelt es von Schlammspringern, die bei unserem Näherkommen in ganzen Horden ins Wasser flüchten und uns dann von dort aus mit ihren herausstehenden Augen beobachten. Aber Hauptblickpunkt sind die leuchtend roten Carangejos, die die Uferböschungen bevölkern. Unser Führer demonstriert uns, wie man rasch zu einem Abendessen kommt. Er springt aus dem Boot, versinkt dabei gleich bis über die Knöchel im Schlamm und wühlt sich dann mit seinem Arm bis zur Schulter in ein von Carangejos bevölkertes Loch. Nach kurzem Tasten hat er den ersten Krebs in der Hand, dann folgt rasch der zweite. Vergebens versucht er, uns zu animieren, seinem Beispiel zu folgen. Die Krebse haben ganz hübsche Beißer und außerdem ist der Begriff Erdferkel noch eine milde Beschreibung, wie man nach solcher Fangtätigkeit aussieht. Wir verzichten dankend.

Nach einem köstlichen abendlichen Fischgericht, bei dem einige Carangejos als Dekoration mitwirken, ist ein bisschen körperliche Bewegung nicht von Nachteil. Die erhalten wir bei einer Forró-Tanzstunde. Forró, die Musik des Nordostens, hat einen mitreißend schnellen Rhythmus – und erfordert deshalb eine entsprechende Beweglichkeit, vor allem in der Hüftregion. Von Brasilianern getanzt, schaut es hinreißend aus. Uns Europäern fehlen aber einige für diesen Tanz erforderliche Gelenke und Scharniere.

Morgen, auf der Rückfahrt nach Parnaiba, werden wir trotzdem weiter üben. Vielleicht helfen uns die Bewegungen des Schiffes ein wenig, den richtigen Hüftschwung zu finden.

Text + Fotos: Dieter Hauguth
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