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Brasilien: Zwischen São Paulo und Rio - die Serra da Bocaina


Era uma vez – es war einmal... der erste Teil des Märchens beginnt auf den französichen Antillen, auf der Insel Martinique. Auf verschlungenen Wegen ist es 1714 den Franzosen gelungen, an einen Setzling eines Kaffeestrauches zu kommen. Das Klima der Insel behagt der Pflanze, sie wächst und gedeiht. Innerhalb weniger Jahre entstehen so auf den Antillen und etwas später in Französisch Guayana die ersten Kaffeeplantagen.

Das Märchen findet seine Fortsetzung in Brasilien. Von Französisch Guayana ist es nicht weit bis an den Amazonas. Im Jahre 1730 versucht man dort zum ersten Mal den Anbau der Staude auf brasilianischem Boden, allerdings ohne Erfolg. 1762 wiederholt man den Versuch – und diesmal gelingt das Unterfangen. Der Boden, das Klima – der Kaffee gedeiht üppig und mit unvergleichlichem Aroma.

Die erste Anbauregion ist die Umgebung von Rio de Janeiro. Die Plantagen entstehen in den Tälern, die sich hinter der Serra do Mar bis ins Landesinnere erstrecken. In den Jahren zum Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts gilt Kaffee noch als Luxusartikel. Doch als immer breitere Schichten in Europa und Amerika Geschmack an diesem stimulierenden Getränkt finden, steigt die Nachfrage. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist Brasilien weltweit größter Kaffeelieferant. Für die Besitzer der Plantagen ist die Kaffeestaude eine Zauberpflanze – die roten Früchte garantieren ungeahnten Reichtum.

Wir können andeutungsweise nachempfinden, welche Atmosphäre zur Zeit des Kaffeebooms auf den Fazendas geherrscht haben muss, als wir die Eingangshalle der Fazenda Independencia betreten, wo wir unser Quartier aufschlagen wollen.

Eine breite Treppe führt ins Obergeschoss zu den Privaträumen der Besitzer und den Repräsentationsräumen. Stufen aus Marmor, Stuckornamente an den Wänden und ein Deckenfenster mit Jugendstilmotiven vermitteln einen ersten Eindruck. Die Treppe leitet direkt in einen großen Salon, der sich auf eine überdachte Terrasse mit Blick in den Park öffnet. Die Ausstattung des Raumes ist vom Feinsten – neben Möbeln in Edelholz aus brasilianischer Fertigung, die die Kunstfertigkeit der einheimischen Handwerker zeigen, finden sich importierte Stücke: Uhren aus England, Wandteppiche aus Belgien, Porzellan aus Frankreich – Waren, die zur damaligen Zeit in Brasilien ein Vermögen gekostet haben müssen.

Aber für die Donos (Herren) der Fazendas war das Beste gerade gut genug – Geld war ja in Hülle und Fülle vorhanden. Wir fühlen uns in der Zeit um 250 Jahre zurückversetzt. Es fehlt nur noch, dass die Hausherrin, gekleidet in Krinoline und Spitzenhäubchen, auftritt und uns von einer Sklavin die Zimmer zuweisen lässt.

Doch die Hausherrin ist nicht daheim und lässt sich von einer Mitarbeiterin der Verwaltung vertreten, die – im Stil der heutigen Zeit – in Jeans und T-Shirt Erläuterungen zu der Fazenda gibt und uns anschließend unser Zimmer zeigt. Zwar entspricht die Inneneinrichtung der des übrigen Gebäudes, doch stellen wir zu unserer Beruhigung fest, dass Bett und Matratze modernen Qualitätskriterien entsprechen. Nachdem wir unsere Sachen verstaut haben, nutzen wir die bequemen Korbmöbel auf der Terrasse, geniessen den Blick in den Park und erholen uns bei einem frisch gepressten Orangensaft.

Wir haben von São Paulo aus die Autobahn Rodovia Presidente Dutra in Richtung Rio de Janeiro genommen und sie bei Barra Mansa, knapp 100 Kilometer vor Rio, verlassen. Von der Ausfahrt aus haben wir uns dann in Richtung Bananal orientiert und nach circa 20 Kilometern die Fazenda erreicht. Sie liegt in einem der ehemaligen Zentren des Kaffeeanbaus, die nach dem Sturz der Kaffeepreise zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgegeben wurden. Heute wird auf der Fazenda in geringem Umfang Viehzucht betrieben. Das Herrenhaus wurde zu einem stilvollen Hotel umfunktioniert.

Beim Frühstück können wir uns informieren, welche Geräte für die Aufbereitung des Kaffees genutzt wurden – der Frühstücksraum ist Teil eines kleinen Museums, in dem über die Geschichte des Kaffees berichtet wird.

Gestärkt machen wir uns auf den Weg zur Erkundung der Fazenda. Wie üblich fehlen jegliche Markierungen und wir laufen deshalb erst zweimal in Wege, die kommentarlos im Wald enden, bevor wir den richtigen Zugang finden, der uns auf den Kamm der Vorberge führt. Von hier aus haben wir freien Blick über das vor uns liegende Tal und die sich dahinter aufbauende Serra da Bocaina.

Im Schatten eines Baumes geniessen wir erst einmal ausgiebig die Aussicht bevor wir unseren Weg fortsetzen, der eigentlich mehr einem Trampelpfad gleicht und an einem steilen Abhang entlang führt. Als wir ihn zur Hälfte bewältigt haben, kommt uns eine Herde Rinder entgegen, die – wie es scheint – unterwegs zu einer anderen Weide sind. Als wir ihnen langsam entgegengehen, machen sie keine Anstalten, uns Platz zu machen. Vielmehr sieht es so aus, als wenn sie uns zum Verlassen des Pfades auffordern möchten. Der Klügere gibt nach – wir klettern also den Hang hinauf und umgehen so die Blockade. Dabei finden wir am Waldrand etliche wilde Clivias, die in voller Blüte stehen – eine Pracht. Wären wir auf dem Weg geblieben, wären wir glatt daran vorbeigelaufen. Müde, staubig und hungrig kommen wir am Nachmittag wieder auf der Fazenda an. Den Rest des Tages verbringen wir am Pool.

Schon früh am nächsten Morgen sind wir mit dem Auto unterwegs in Richtung Serra da Bocaina. In Bananal machen halten wir kurz und besuchen das historische Zentrum mit wunderbar erhaltenen Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert. Das Prachtstück bildet eine Apotheke, die Pharmacia Popular, die seit 1830 hier ihren Dienst tut.

Die asphaltierte Straße wandelt sich in eine Erdstraße, als wir in Bananal in Richtung Nationalpark abzweigen. Zu Beginn sind die Löcher in der Straßendecke noch die Ausnahme, aber das ändert sich als wir den Anstieg zur Serra erreichen.

Langsam und vorsichtig versuchen wir, die gröbsten Hindernisse zu umgehen und nicht in einer der vom Regen ausgewaschenen Rinnen in der Fahrbahn hängenzubleiben.

Nach einer guten halben Stunde haben wir das Schlimmste hinter uns. Wir lassen sich das Auto ein bisschen erholen und nutzen die Pause, um die Aussicht zu bewundern. Weit geht der Blick über das Tal, das wir von Bananal aus heraufgefahren sind. Im Westen erkennen wir deutlich die Bergkette der Serra da Mantiqueira.

Etwas ebener geht es nun weiter hinein in die Serra. Der Weg zieht sich wie ein Gummiband und es dauert noch eine ganze Weile bis wir das Ende der Strasse erreichen. Von hier aus geht es zu Fuß weiter. Unser Ziel ist ein Aussichtspunkt, von dem aus die Küste und der Ort Parati zu sehen sein sollen. Ein kaum erkennbarer Pfad führt hinein in den Wald. Es ist der typische Regenwald der Serra do Mar, des Küstengebirges. Wir kommen uns vor wie in einem botanischen Garten. Die Bäume sind über und über bewachsen mit Moosen und Flechten, Bromelien und Orchideen. Im dichten Unterholz finden sich Farne aller Arten und Größen, Heliconien mit bizarren Blüten und intensiv duftende weiße Lilien. Der Boden ist feucht und glitschig. Überall hören wir das Gluckern von Wasser und das Rauschen von Bächen.

Hinauf und hinunter geht es in stetem Wechsel. Wir kommen ordentlich ins Schwitzen – nicht zuletzt wegen der Treibhausatmosphäre, in der wir uns bewegen. Nebel wabert durch den Wald und wir ahnen, dass es mit der Aussicht heute nicht klappen wird. Und leider bestätigt sich unsere Vermutung, als wir am Aussichtspunkt ankommen.

Der Wind vom Atlantik treibt dicke Wolken gegen die Serra da Bocaina, die Sicht ist gleich Null. Schade, dann müssen wir es eben ein andermal versuchen.

Aber der Wind vom Meer her hat auch sein Gutes. Er schafft auf der Landseite der Serra eine Art "Föneffekt" mit wenig Wolken und klarer Sicht. Und so werden wir auf dem Rückweg mit einem gigantisch weiten Blick ins Landesinnere entschädigt.

Text + Fotos: Dieter Hauguth druckversion 

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