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Argentinien: Der Tango schlägt zurück

Eines der beeindruckendsten Konzerte der Popkomm 2002 war die Darbietung des Gotan Project. Die ausgetüftelte Kombination aus Musik und Bildern, die auf einen Gazevorhang projiziert wurden, erzeugte eine wunderbare Stimmung. Mit zwei Musikern der Stammbesetzung, dem Gitarristen Eduardo Makaroff und dem DJ Philippe Cohen Solal, sprach Torsten Eßer für Matices über die Rache des Tango.

Was bedeutet Gotan?
EM: Tango umgedreht! In Buenos Aires, im Slang der Porteños, dem lunfardo, gibt es die Eigenschaft umge kehrt zu reden. So wird mesa zu same oder puerta zu tapuer. Es gibt viele Tangotexte in lunfardo und sogar ein Wör-terbuch. „Gotan“ zu sagen oder „Tango“ ist in Buenos Aires fast das Gleiche.


Warum heißt das Album „La Revancha del Tango“. Eine Revanche wofür?
PCS: Als wir mit diesem Projekt begannen und darüber sprachen, haben viele Leute im Musikbusiness es für überflüssig gehalten oder sogar geschmunzelt: Da kommt ein französischer DJ und will den Tango mit elektronischer Musik fusionieren...
Viele waren auch nicht interessiert, weil Tango das Image einer Musik für alte Leute hat. Das ist aber nicht wahr. Überall in der Welt lieben auch junge Menschen diese Musik. Es ist eine sehr starke, emotionale Musik. Also dachten wir, der Tango hätte eine (süße) Rache verdient. Tango lebt und erobert nun auch wieder die Tanzflächen der Clubs!

Als Ihr die erste Maxisingle aufgenommen habt, wolltet Ihr nur 500 davon pressen lassen. Ein Produzent überzeugte Euch schließlich 1.000 zu pressen. Habt Ihr nicht an den Erfolg geglaubt?
PCS: An die Musik habe ich schon geglaubt, aber nicht daran, dass jeder DJ diese Art von Tango auflegen würde. Ich hatte das gehofft, aber nicht geglaubt. Wir haben diese Fusion zum ersten Mal gewagt und das war natürlich ein gewisses Risiko. Gotan Project ist eine spannende Erfolgsgeschichte. Es ist ganz klein gestartet und wurde auf natürliche Weise immer größer, ohne Marketing. Das meiste lief über Mund-zu-Mund-Propaganda.

Es gibt seit einigen Jahren sehr viele Musiker, die alle Stile miteinander vermischen, zum Beispiel Flamenco mit Reggae oder Samba mit Rock und alles dann noch mit elektronischen Elementen. Wieso ist niemand vor Euch auf die Idee gekommen, Tango mit elektronischen Beats zu kombinieren?
PCS: Es ist nicht so einfach, Tango mit elektronischer Musik zu kombinieren. Wir wollten ja nicht nur einfach einen Bandoneonspieler über einen drumloop improvisieren lassen, das wäre zu einfach gewesen. Das hätte sich wie ein elektronischer Tango angehört. Aber das ist es nicht. Wir machen Tanzmusik mit großem Respekt vor dem Tango.

EM: Der Tango ist eine sehr starke Musik. Eine seiner Eigenheiten ist, dass er in der Regel keine Percussion hat. Außerdem ist er eine Musik mit starken rhythmischen Schwankungen, die nicht wie z.B. der Bossa Nova nur einem Rhythmus folgt. Die Orchestrierung ist eher wie bei klassischer Musik. All diese essenziellen Elemente des Tango machen die Kombination mit anderen Rhythmen schwierig.

Titel wie „El Capitalismo Foráneo“ oder „Queremos Paz“ erscheinen sehr politisch, ebenso der Name Eures Labels „Ya Basta“, ein Ausruf der Zapatisten. Macht Ihr politische Musik?
PCS:
Nein, die Musik ist nicht sehr politisch. Sie hat nur ein leichtes politisches Interesse. Aber es ist schwer, Musik ohne jegliche Botschaft zu machen. Ich habe zwölf Jahre lang House-Musik gemacht und aufgelegt. Sie hatte immer die gleiche hedonistische Message, das wurde langweilig. Ich wollte in meiner Musik eine neue Botschaft hören. Aber nicht nach der Holzhammermethode. Wenn Evita Perón bei uns auf der CD sagt „el capitalismo foráneo“ dann klingt das nach Globalisierung, Che Guevaras „queremos paz“ klingt nach Frieden, danach, eine bessere Welt zu konstruieren und bei „Época“ sollte Eduardo, der unsere Texte verfasst, einen doppeldeutigen Text schreiben. Das Stück handelt vordergründig von einer Liebesgeschichte, die endet, aber Hoffnung auf einen neuen Anfang lässt. Das ist auch auf die aktuelle Situation in Argentinien übertragbar.

Das Stück „Capitalismo Foráneo“ nimmt die Entwicklung in Argentinien voraus. Seid Ihr Hellseher?
PCS: Nein, aber vielleicht können Künstler solche Ent-wicklungen eher spüren als andere.

Wer hatte die Idee, ein Stück von Frank Zappa zu covern?
PCS:
Das war meine Idee. Wir wollten für jede unserer drei Vinyl-Maxis eine Coverversion auf der Rückseite haben. Auf der ersten war es „Vuelvo al Sur“ von Piazzolla, auf der zweiten „Last Tango in Paris“ von Gato Babieri, ein Titel der sehr gut passt, weil wir so etwas wie den letzten Tango von Paris gemacht haben. Und Frank Zappa weil ich ein großer Zappa-Fan bin und die DJs und das Publikum mit etwas überraschen wollte. Jeder erwartete eine dritte Tango-Coverversion, aber ich wollte etwas covern, das Meilen vom Tango entfernt ist, so wie Zappa. Es klingt trotzdem wie ein Tango.

Nimmt Gotan Project für den Tango die Rolle eines Piazzolla des 21. Jahrhunderts ein?
PCS: Nein, diese Verantwortung wäre uns zu groß. Piazzolla war ein Genie, ein unglaublicher Komponist und großer Musiker.

Was sagen die Tango-Puristen zu Eurer Musik?
EM: Es gibt wenige, die sie kritisieren. Und wenn doch, entgegnen wir, dass wir gegen jede Art von Fundamentalismus sind. Das interessiert uns nicht.

Wo sortiert ein Händler Eure Musik ein, unter „Argentinien“, „Elektronik“ oder „Weltmusik“?
PCS: Das beste wäre, wenn er es bei elektronischer Musik einsortiert, aber argentinische Musik wäre auch nicht falsch. Es ist ein Mix aus beiden Stilen.

Arbeitet Ihr an einem neuen Album?
PCS:
Ja, wir haben neue Stücke komponiert. Ende 2003
werden wir ein neues Album herausbringen.

Text: Torsten Eßer

Dieser Artikel ist erschienen in der aktuellen Matices. Diese erhaltet ihr bei:
Projektgruppe Matices e.V., Melchiorstraße 3, 50670 Köln, Tel.: 0221-9727595

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