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Argentinien: Wer will Argentinien kaufen?

Argentinien ist bankrott. Nach einer Regierungskrise mit fünf Präsidenten innerhalb von zwei Wochen, nach Straßenschlachten und Plünderungen mit mehr als 20 Toten und Hunderten von Verletzten herrschen chaotische Zustände im Land. Mit der Aufhebung der von Neoliberalisten hoch gelobten Peso-Dollar-Bindung und der erklärten Zahlungsunfähigkeit hat das Land Konkurs angemeldet.

Anfang November 2002 haben clevere Argentinier noch schnell Millionen Dollar von ihren Konten abgehoben und ins Ausland oder unter die eigene Matratze geschafft. Angesichts der immensen Devisenflucht (11 Milliarden Dollar) verhängte der inzwischen zurückgetretene Wirtschaftsminister Domingo Cavallo drastische Maßnahmen zur Verhinderung der Kapitalflucht.

Ein Bargeldlimit wurde eingeführt und Bankkonten teilweise gesperrt. Seit Mitte Dezember 2002 dürfen pro Konto nur noch maximal 1000$ pro Monat abgehoben werden. Pro Konto wohl gemerkt. In den letzten Wochen bildeten sich endlose Schlangen vor den Banken im ganzen Land. Versuchten die meisten Leute doch noch schnell neue Konten zu eröffnen, Kreditkarten-Verträge abzuschließen oder schlicht an die rar geworden grünen Scheine zu kommen. Wer zwei Monate zuvor schlau und schnell genug war, sich nordamerikanisches Cash zu sichern, hat kaum unter der Abwertung gelitten. Am härtesten getroffen hat das Finanzchaos, der erfolglose Versuch der Regierung, das Wirtschaftsdesaster in den Griff zu bekommen, die Menschen, die weder über ein Konto im In- oder Ausland verfügen, noch Einkünfte in Dollar aufweisen können. Davon gibt es viele. Die drastische Abwertung des Pesos und die Umwandlung der Dollar- in Pesokonten hat die Menschen in den Ruin getrieben.

Die Tatsache, dass die Argentinier auf die Straße gegangen sind und gegen die Armut und die Politik der letzten zehn Jahre demonstrieren, ist eine der wenigen positiven Begleiterscheinungen der Krise. Nach über 15 Jahren scheint die Bevölkerung endlich aus ihrer Erstarrung, in der sie seit der letzten Militärdiktatur verharrte, erwacht zu sein. In den fast täglich stattfindenden Cacerolazos (mit Hilfe von Töpfen und Deckeln wird lautstark demonstriert) in Buenos Aires und anderen großen Städten manifestiert sich die Wut und die Enttäuschung der Argentinier.

Ausländische Kritiker haben die Krise kommen sehen und vor der riesigen Staatsverschuldung, von Menem während der "Goldenen Jahre" produziert, und der durch und durch korrupten Bürokratie gewarnt. Die Auslandsverschuldung beträgt Ende 2002 134 Milliarden Dollar (148 Milliarden Euro), seit über vier Jahren beherrscht die Rezession die Wirtschaft. Es scheint unverständlich, wie Argentinien derart blind in das politische, ökonomische und soziale Desaster schlittern konnte. Wer das Land und die Mentalität der Menschen kennt, kann dagegen leichter verstehen, dass viele an das vor zehn Jahren eingeführte Währungsmodell, die gesetzliche Bindung des Pesos an den Dollar: "Ley de la convertibilidad", die wirtschaftliche Stabilität und den versprochenen Aufschwung des Landes glauben wollten.

Auch an deutschen Universitäten wurde der "Fall Argentinien" als vielsprechendes Exempel angepriesen und der Neoliberalismus als einziges funktionierendes Wirtschaftssystem, als Allheilmittel verkauft. Dass die sozialen Kosten der Dollarisierung ernorm hoch waren, blieb dabei unerwähnt. Heute, nach der zwangläufigen Abwertung, befindet sich Argentinien im freien Fall in die Armut. Es trifft nicht nur die Ärmsten, sondern auch die Mittelschicht. Besserverdienende müssen zuschauen, wie sich ihr Dollargehalt monatlich in Pesos verwandelt und in den Tiefen der Banken verschwindet. Die Ankündigung der Kreditinstitute, die Guthaben ab September 2003 in Raten auszubezahlen, klingt für viele wie blanker Hohn. Das Vertrauen in den Staat ist dahin.

Im täglichen Leben hat der Tauschhandel wieder Hochkonjunktur. Pfandhäuser schießen wie Pilze aus den Boden. Eine in Argentinien lebende Deutsche, Mitbesitzerin des bonarenser Hotels "Boquitas Pintadas" berichtet, wie ihre Nachbarn Fernseher, Kühlschränke und Schmuck zum Kauf anboten. Stereoanlagen und Computer werden zu Schleuderpreisen verhökert. Alle versuchen verzweifelt, an Bargeld zu kommen, um wenigstens die notwendigsten Dinge und Rechnungen bezahlen zu können.

Das Gedränge in den Fußgängerzonen täuscht anfangs über die Krise hinweg. Am 24.12. 2002 schieben sich die Massen vorbei an aufblasbaren Gummitieren und Schwimmreifen, die daran erinnern, dass die Sommerferien begonnen haben. Aus dem geplanten Urlaub an der Küste, in Brasilien oder Chile wird für die meisten nichts. 60% der Urlaubsreisen seien storniert worden, klagt die Tourismusindustrie. Angesicht der Geldknappheit wird schon das "Daheimbleiben" schwierig.

Kleine Geschäfte, die keine Kreditkarten akzeptieren, bleiben leer oder haben ihre Türen aus Angst vor Plünderungen vermauert. Die "saqueos" (Plünderungen von Supermärkten) sind für viele die einzige Chance an Waren zu kommen. Dass sich hier Hunger mit krimineller Energie vermischt, zeigt wie prekär die Situation ist. Viele haben nichts zu verlieren. Diese Tatsache hat die Gewalttätigkeit auf den Straßen weiter ansteigen lassen. Es kommt immer wieder zu gewaltsamen Massenprotesten gegen die Finanzpolitik der Regierung. Banken, Metrostationen und Geschäfte werden in Brand gesetzt. Die Polizei hat nach den Todesfällen während der Ausschreitungen Mitte Dezember 2002 den Befehl erhalten, weniger repressiv und brutal zu reagieren. Trotzdem erinnern die Bilder im Fernsehen an Szenen aus einem Bürgerkrieg. Wirtschaftskrise und soziale Unruhen haben das Land lahm gelegt und in Anarchie und Chaos versetzt.

Einen Ausweg aus der Krise kennt im Moment weder der neu gewählte Präsident Eduardo Duhalde, noch der Internationale Währungsfond (IWF). Vorerst hat der IWF der argentinischen Regierung zwar eine Gnadenfrist von einem Jahr für die Tilgung der1,05 Milliarden Euro Schulden gewährt. Weitere Kredite sind aber bis auf weiteres gesperrt.

Insgesamt sitzt der Schock über den Zusammenbruch Argentiniens bei den Industrienationen weniger tief als beispielsweise der über die mexikanische "Tequila-Krise" Mitte der 90er Jahre. Da die Rolle Argentiniens im Welthandel gering ist, ist auch das internationale Interesse an der Beendigung des Abwärtstrends minimal. Das Land bleibt sich selbst überlassen.

"Ein finanzkräftiger Investor müsste her, der den maroden Konzern Argentina S.A. aufkaufen und "gesund sanieren" würde", behaupten Pragmatiker. Nachdem Menem während seiner Amtszeit alle Staatsbetriebe an ausländische Firmen verkauft hat, steht nun das Land selbst zum Verkauf an.

Dass die Argentinier angesichts der chaotischen Lage ihren sarkastischen Humor behalten haben und ihre Fähigkeit, sich irgendwie durchzuschlagen, mal wieder unter Beweis stellen, ist und bleibt bewundernswert. Viele der über 60ig Jährigen winken bei besorgten Nachfragen ab und erzählen gelassen, dass dies nun die 4. oder 5. Währungs- und Regierungskrise in ihrem Leben sei und betonen, dass sie bisher alle überstanden hätten.

Text + Fotos: Kathrin Megerle Druckversion   

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