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Amor: Abschied

Der Mann, der gerade das Taxi an der calle Israel anhält, ist kein geringerer als Dr. Miguel Sánchez, Spezialist der Kinderonkologie in Lima. Für seinen Freund und Arbeitskollegen Felipe Aráoz war er für ein paar Tage nach Arequipa gekommen, um ihn bei einer Diagnose eines besonders schwierigen Falles zu unterstützen. Leider konnte auch Dr. Sánchez keinen anderen Befund für den siebenjährigen Patienten ausstellen: fortgeschrittenes Stadium und, was noch schlimmer ist, bösartig. Eine Operation ist unumgänglich, allerdings ist noch nicht gesichert, wie die Familie das Geld hierfür aufbringen soll. Der mögliche operative Eingriff wird dann von Dr. Sánchez nur aus der Ferne mitverfolgt werden können, denn er muss zurück nach Lima.

Der Herr im Anzug, der gerade das anhaltende Taxi besteigt, ist müde und irgendwie auch irritiert. Zum Flughafen, bitte. Die Fahrt kommt ihm wie eine Ewigkeit vor und auch den Plausch mit dem Taxista blockt er mit ein paar brüsken Antworten ab.

Gerne hätte ich Martín, ich glaube zumindest, diesen Namen gehört zu haben, eine andere Diagnose gestellt, aber gegen Fakten kommt man nur schwerlich an.

Um sich ein wenig abzulenken, versucht der Herr im Anzug die kreuzenden Straßennamen zu identifizieren. Aber lange hält er sein kleines Spiel nicht durch, weil er immer wieder bedingt durch die Gedanken an den Jungen seinen Blick in die Ferne schweifen lassen muss. Auch das morgendliche bunte Treiben auf den Straßen, Frauen und Kinder, die barfüßig damit beginnen ihre Töpfe mit den verschiedensten Zutaten zu füllen, um ihre Leckereien anschließend den ersten Arbeitern zu verkaufen, realisiert er nur unbewusst. Die urbane Landschaft wird spärlicher. Ein Zeichen dafür, dass der Flughafen näher rückt. Er bezahlt dem Taxifahrer das Fahrgeld und greift unterdessen bereits an den Türgriff, um die Autotür zu öffnen. Mit einem leichten Klicken löst sich selbiger von der Tür und Dr. Sánchez hält diesen in seiner rechten Hand.

Wunderbar, wie konnte mir das nur wieder passieren?

Nach einer gemurmelten Entschuldigung rutscht er zur anderen Tür, um dort endlich ins Freie zu gelangen, ehe der Chauffeur überhaupt reagieren kann. Den Griff bis zum Anschlag gezogen, vernimmt der Herr im Anzug einen kurzen Satz des Taxistas, den er zwar nicht versteht, der ihn allerdings zunächst inne halten lässt. Der Taxifahrer steigt langsam aus, geht einmal um den Wagen herum zur Hintertür und öffnet sie schließlich von Außen. "Kindersicherung", entschuldigt er sich mit einem Lächeln. "Danke."

Mit seiner kleinen Tasche durchquert der Doktor das Gebäude und tritt an den CheckIn-Schalter, der glücklicherweise gerade frei wird. Als er seinen Pass aus der Innentasche seines Sakkos ziehen will, fällt ihm auf, dass er den Türgriff immer noch in der Hand hält. Etwas ungeschickt legt er ihn vor die Dame an den Schalter, kramt nach seinem Ausweis und platziert ihn neben den abgebrochenen Griff auf dem Tresen. "Ein Andenken", murmelt er mit einem etwas verlegenen Lächeln. Die Dame am Schalter erinnert ihn ein klein wenig an seine eigene Frau, die ihn vor ein paar Jahren verlassen hat.

Weil ich angeblich zu viel gearbeitet hätte.

Sie hat lange schwarze Haare und einige Strähnen bedecken immer wieder ihr Gesicht, während sie die Daten im Computer abgleicht. Die freundlichen Augen kreuzen ab und an seine eigenen. Kurz, für einen winzigen Moment glaubt der Herr im Anzug seiner Frau gegenüber zu stehen. "Guten Flug, Dr. Sánchez." "Danke Martha."

Der Schmerz auf seiner Wange lässt den Doktor zurückweichen. Die Hand der Dame vom CheckIn hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen, als er sich über den Tresen gebeugt hatte, um ihr einen letzen Kuss zu geben.

Text + Fotos: Andreas Dauerer druckversion   

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