ed 12/2014 : caiman.de

kultur- und reisemagazin für lateinamerika, spanien, portugal : [aktuelle ausgabe] / [startseite] / [archiv]


[art_3] Spanien: Val d'Aran - Tal der Freiheit
 
Vor 70 Jahren, im Oktober 1944, versuchten tausende von republikanischen Spaniern und Spanierinnen durch eine Invasion von Frankreich aus über die Pyrenäen nach Spanien, Francos Diktatur zu erschüttern und dem Lauf der Geschichte so ihren Willen aufzuzwingen. Die folgende historische Reportage ist eine Hommage an diese von der Geschichte vergessenen Kämpfer und beschreibt ihren Versuch der Wiedereroberung eines freien Spaniens und sein tragisches Scheitern. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf einige wichtige Episoden.

August 1944, Midi:
Der nationale Aufstand des maquis, der französischen Widerstandsbewegung gegen die deutsche Besatzung, ist in vollem Gange: Am 9.August wird als erstes Dorf Rabouillet befreit, danach die Stadt Foix (Ariege) von ausschließlich spanischen Einheiten, so dass am 20.August die faschistischen Besatzer fluchtartig den Midi verlassen. In Südfrankreich kämpften ca. 10.000 Spanier in den Reihen des maquis, sie befreiten siebzehn Städte.

25.August, Paris:
Bewaffneter Aufstand gegen die Wehrmacht im besetzten Paris. General von Choltitz, Kommandeur für den Großraum Paris, wird von einem spanischen Stoßtrupp gestellt. Um den Regeln des Kriegsrechts zu entsprechen, muss erst ein französischer Offizier hinzugeholt werden, dem sich von Choltitz dann ergeben kann. Man schätzt, dass auch an der Befreiung von Paris ca. 4000 Spanier beteiligt waren.

Mussolini war geschlagen, das Ende des Hitler-Faschismus rückte schnell näher, Guerilla-Bewegungen befreiten Jugoslawien und Griechenland. Euphorie machte sich unter den Spaniern im Exil breit. In diesem Sommer marschierten sie siegreich an der Seite ihrer französischen Kameraden und waren davon überzeugt, dass auch die Tage Francos gezählt waren. Franco und seine Komplizen sollten für die tausend Tage des Bürgerkriegs, der 1936 begonnen hatte und die fünf langen Jahre des Exils seit 1939 bezahlen.

Im Kampf gegen die deutsche Besatzung hatte sich die guerrilleros mit der Union Nacional Espagnol (UNE) eine eigene politische Organisation geschaffen, in der die Parteien und Organisationen, die bereis die Volksfront von 1936 - 1939 getragen hatten, zusammengeschlossen waren. Auch militärische Strukturen hatten sich herausgebildet: Neben den "gemischten " Einheiten (Franzosen und Spanier) wurde das 14.Corps der bewaffneten guerrilleros wiedergegründet - ausschließlich aus spanischen Kämpfern bestehend. Das 14.Corps war ursprünglich 1937 während des Bürgerkriegs entstanden, um militärische Operationen hinter den Linien der franquistischen Armee durchzuführen. Im Mai 1944 wurde das 14.Corps in die "Agrupacion de Guerrilleros Espanoles AGE" (Zusammenschluss der spanischen guerilleros) umbenannt.

Die Vorbereitung der Operation "Reconquista de Espana"(Wiedereroberung Spaniens) hatte begonnen. Das strategische Konzept war, auf der gesamten Länge der Pyrenäen mit bewaffneten Guerilla-Einheiten nach Spanien einzudringen, eine provisorische Regierung zu installieren und damit die Initialzündung für einen Volksaufstand gegen Franco zu geben.

Gleichzeitig sollte durch die Aktion Druck auf die Alliierten ausgeübt werden, um sie dazu zu bewegen, gegen Franco vorzugehen.


Quelle: rincondelvago.com

Anfang bis Mitte Oktober 1944:
An über 30 Stellen von Perthus im äußersten Osten bis Hendaye im äußersten Westen der Pyrenäen überschreiten Guerilla-Einheiten die Grenze. Meist ziehen sie sich nach Gefechten mit der Guardia Civil schnell zurück. An die zehntausend guerrilleros beteiligen sich an diesen Kämpfen - reine Ablenkungsmanöver, denn die eigentliche Hauptoperation steht noch bevor.

19.Oktober 1944, 6 Uhr morgens:
4000 guerrilleros überschreiten an der Pont de Rei und an anderen Stellen die französische Grenze und rücken in das Val d'Aran vor.


Grenzstein zwischen Spanien und Frankreich damals... und heute
Quelle: Foto links: perseguitsisalvats.cat; Foto rechts: Gisela Vomhof

Das Arantal ist von Oktober bis Mai von den umliegenden spanischen Provinzen durch Schneeverwehungen abgeschnitten. Einzig über den Pass von Banaigua und durch den, allerdings noch im Bau befindlichen, Tunnel Alfons XIII. kann zu dieser Jahreszeit das Val d'Aran erreicht werden. Es ist die 204. Division der guerrilleros, die den Hauptschlag ins Val d'Aran führt. Sie besteht aus 11 Brigaden zu je 300 Mann, aufgeteilt in Bataillone von 100 Mann und diese wiederum in Kompanien zu 30 Männern (Die Nummerierung der Einheiten orientiert sich an derjenigen der republikanischen Armee des spanischen Bürgerkriegs ). Hauptziele dieser Aktion sind die Sicherung der Verbindungslinien nach Frankreich (vor allem der Brücke Pont de Rei), um Nachschub und Verstärkungen heran führen zu können, die Einnahme der Passstraße von Bonaiguna und der beiden Zugänge zum Tunnel Alfons XIII., um das Vordringen franquistischer Truppen zu verhindern.

Und schließlich die Besetzung von Vielha, Hauptort des Val d 'Aran, um dort die provisorische Regierung einzurichten.

Brücke Pont de Rei 2013
Quelle: Gisela Vomhof

Infokasten:
Aufruf der UNE an die Bevölkerung : "Kein anständiger Spanier kann sich dem Hilferuf des Vaterlands verweigern, wir wollen, dass sich alle brüderlich vereinen und es als Ehre ansehen, sich an der nationalen Anstrengung zu beteiligen. Der beharrliche Kampf unseres Volkes  und die Niederlage Hitlers werden zum Untergang Francos und der Falange führen und aller, die dazu beigetragen haben, Spaniens Martyrium zu verlängern. Wir stehen vor der entscheidenden Schlacht, wir müssen darauf vorbereitet sein, und vorbereitet sein heißt vereint, vereint nicht in passiver Lähmung, sondern im gemeinsamen Kampf, der uns stark macht. Es lebe der Kampf! Nieder mit Franco und der Falange! Es lebe die nationale Union aller Spanier!"

Auf dem Weg nach Vielha mussten verschiedene Orte, in denen Guardia civil und Einheiten der franquistischen Armee stationiert waren, eingenommen werden.

19.Oktober 1944, morgens, bei der Ortschaft Es Bordes:
Die 410. Brigade rückt auf Es Bordes vor.

Infokasten:
Es Bordes ist auf Grund seiner Lage und Bedeutung seit Jahrhunderten Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen. Hier kreuzen sich zwei wichtige Handelswege, der eine nach Louchon in Frankreich, der andere nach Benasque im spanischen Aragon. Außerdem ist Es Bordes der Gerichtssitz des Arantals.

Nach Es Bordes führt eine Straße mit unzähligen Kurven. Hänge schwarzer Schieferdächer sind das erste, was man von Es Bordes sieht. Die 410. Brigade erreicht den Ort im Morgengrauen und trifft auf die 42. Division der franquistischen Gebirgsjäger Urgel. Ein heftiges Gefecht entbrennt. Die guerrilleros unter dem Kommando des Anarchisten Joaquin Ramos, setzen den Franquisten zu. Deren Kommandeure Rivadulla und Gestal geben Fersengeld. Darauf kapitulieren die 80 Soldaten,die unter ihrem Kommando standen.

Die guerrilleros dagegen rücken weiter auf den Ort vor, am Ortsschild prangen noch die Pfeile der Falange. Es ist nichts zu hören, weder Stimmen noch Schritte, sämtliche Läden sind geschlossen, die Türen verrammelt, die Hunde weggesperrt. Aber aus den Schornsteinen steigt Rauch auf. Der Glockenturm der alten romanischen Kirche erhebt sich über den schwarzen Schieferdächern. Der Platz, an dem die Kirche steht, ist die einzige ebene Stelle des Dorfes. Er wird von den guerrilleros umstellt. Das Rattern eines Maschinengewehrs zerreißt die Stille, ein guerrillero wird getroffen, seine Kameraden verfluchen die Faschisten, die sich auf dem Kirchturm verschanzt haben.

Sie schieben einen Karren auf die Mitte des Platzes und schießen aus dieser Deckung heraus unaufhörlich auf den Kirchturm.

Einschußlöcher am Kirchturm von Es Bordes
Quelle: Gisela Vomhof

Andere sprengen ein Loch in die Außenmauer der Kirche, eine Explosion, dann noch eine, schließlich hallen Schüsse durch das leere Kirchenschiff, die Kirchentür wird von innen aufgestoßen, eine Stimme : "Wir sind drinnen!". Ein letztes, heftiges Feuergefecht, dann erscheint in einem Fenster des Glockenturms eine weiße Fahne. Etwas später werden die Gefangenen herausgeführt. Bei Einbruch der Dunkelheit ist Es Bordes in den Händen der guerrilleros.

Sie halten den Ort neun Tage lang, trotz zahlreicher Versuche der lokalen Miliz und der Guardia civil ihn zurückzuerobern. In den ersten Tagen der Reconquista erobern die guerrilleros achtzehn Ortschaften im Val d'Aran.

September 2013, Es Bordes:
Der Friedhof von Es Bordes ist ein stiller Ort, abseits des Dorfes, nur das Rauschen der Garonne ist zu hören. Hier liegen die Toten der Schlacht um Es Bordes.

Quelle: Gisela Vomhof

In insgesamt 15 Särgen ruhen sechs guerrilleros, sieben Soldaten und zwei Angehörige der Guardia Civil.

16.Oktober 1944, abends:
Die 11.Brigade der guerrilleros ist am Stützpunkt Hospice de France angekommen. Am folgenden Nachmittag macht sie sich auf den Weg über die Berge.

Ihre Mission: Den nördlichen Ausgang des Tunnels zu besetzen und dann weiter nach Vielha vorzurücken.

Tunneleingang damals...
Quelle: perseguitsisalvats.cat

Infokasten:

Der Tunnel von Vielha wurde bereits 1925 projektiert. Doch erst am 9.Dezember 1941 kam es zum Tunneldurchstoß. Offiziell eingeweiht wurde er 1948, konnte aber bis 1965 nicht befahren werden, da er weder beleuchtet noch gepflastert war. Im Jahr 2000 dann war der Ausbau in der heutigen Form abgeschlossen.

Ihr Marsch dauert 28 Stunden. Dabei durchqueren sie zwei Täler und überwinden 2200 Meter Höhenunterschied.

...Tunneleingang heute
Quelle: Gisela Vomhof

18.Oktober 1944, 6 Uhr:
Starker Nebel zieht auf und verhindert den Weitermarsch.

18.Oktober 1944, 13 Uhr:
Weitermarsch. Eine sibirische Kälte breitet sich aus, welche die Uniformen steif werden lässt vom Frost. Ein Schneesturm tobt, die Temperatur sinkt weiter bis unter -20 Grad Celsius.

Guerrrilleros beim Aufstieg
Quelle: Jean Costumero

Die ersten Männer klagen über Erfrierungen, der Kommandeur bemerkt, dass die Tinte in seinem Füllfederhalter gefroren ist. An ein Weiterkommen ist nicht zu denken. Die guerrilleros beschließen, zu ihrem Ausgangspunkt, dem Hospice de France zurückzukehren. Der nördliche Tunnelausgang kann nicht besetzt werden und die 11.Brigade fällt für den Sturm auf Vielha aus.

18.Oktober 1944, südlicher Tunneleingang:
Die 21. Brigade der guerrilleros besetzt geräuschlos den Hang, der dem Tunneleingang gegenüber liegt. Durch ihre Feldstecher sehen sie: Etwa hundert Männer arbeiten dort. Zwischen ihnen verteilt stehen etwa fünfzehn Infanteristen, die sie ohne großes Interesse bewachen. Unter den guerrilleros herrscht Fassungslosigkeit: "Das sind Strafgefangene, das sind unsere Leute, Republikaner! So ein Glück hatten wir noch nie. Als existierte Gott nicht nur, sondern hätte auch noch die Seiten gewechselt."

Sie steigen den Hang hinab, umrunden den Berg, um auf die andere Seite zu kommen. Problemlos entwaffnen sie die Wachen und der Kommandeur tritt in die Mitte des Platzes, um zu den Strafgefangenen zu sprechen: "Genossen, wir gehören der antifranquistischen Union Nacional Espanola an, in der sich alle demokratischen Gruppen vereint haben, um gegen Francos Tyrannei zu kämpfen. Schließt euch uns an!" Niemand rührt sich, keiner sagt ein Wort. "Der entscheidende Kampf hat begonnen, Francos Diktatur steht vor dem Ende. Die ganze Welt schaut jetzt auf Spanien. Mit Hilfe der Alliierten und vor allem mit der des spanischen Volkes wird die Union Nacional bald die Macht übernehmen und die Demokratie in Spanien wiederherstellen." Die, die am weitesten entfernt waren, hatten während der Rede ihre Schaufeln und Spitzhacken fallen lassen und jetzt flüchten sie den Hang hinauf, ein Abhang voller grauer Gestalten, die eilig davonlaufen. "Kommt zurück, ihr Idioten! Wir sind Republikaner wie ihr, wir sind aus Frankreich gekommen, um euch zu befreien, ihr Dummköpfe!"

Einige Männer kehren um, sie steigen einzeln den Berg hinunter, langsam, vorsichtig. Der erste, der unten ankommt, ist um die dreißig und hat einen Madrider Akzent. "Was habt ihr euch den gedacht? Ich begreife euch nicht !" Der Mann senkt den Kopf, als wäre er selbst überrascht, wie sehr er sich schämt: "Wir wussten nicht, wer ihr seid, wir hatten Angst. Es hätte eine Falle sein können ..." Trotzdem schließen sich den guerrilleros letztendlich lediglich vier Männer an, dazu noch Waffen für neun, das ist die ganze Ausbeute.

Der Südeingang des Tunnels kann ebenfalls nicht besetzt werden, in den nächsten zwei Tagen rücken tausende Franco-Soldaten durch den halbfertigen Tunnel Richtung Vielha vor. Die ersten franquistischen Truppen gehen bereits am Nachmittag des 19. Oktobers am Pass von Bonaiguna in Stellung.

Insgesamt 40.000 Mann warf Franco in die "Schlacht" gegen 4000 guerrilleros - der Schreck war ihm gehörig in die Glieder gefahren.

Dieser Übermacht an Menschen und Material hatten die guerrilleros nichts entgegenzusetzen.

Guardia civil auf dem Bonaigua-Pass
Quelle: perseguitsisalvats.cat

Am 27.Oktober erfolgte der Befehl zum Rückzug, am 29. hatte der letzte guerrillero das Arantal verlassen.

Epilog:

"Bei der Beurteilung der Invasion im Val d'Aran hilft uns ein Begriff aus der katalanischen Sprache, für den es weder im Spanischen noch im Französischen eine wörtliche Übersetzung gibt: "seny" - er meint das Gleichgewicht zwischen übertriebener Arglosigkeit und übertriebener Boshaftigkeit.(...) Unglückliche guerrilleros, die den blinden Schauspielern eines surrealistischen Dramas gleich, das Licht der Freiheit vergeblich auf halsbrecherischen Bergpfaden, Schmugglerrouten oder alten Königswegen suchten. Durch Schlammlöcher kriechend und über Felsen hinweg, wollten sie der republikanischen Brüderlichkeit Leben einhauchen, Wälder und Täler durchstreifend, forderten sie eine gerechtere Welt. Guerrilleros voller Illusionen, enttäuscht, verzweifelt, müde vom Nächtigen unter freiem Himmel, mit zerschundenen und erfrorenen Füßen, ausgemergelt, zerzaust, zerkratzt, nur halb bekleidet, ähnelten sie eher Vagabunden als guerilleros. Aber sie waren es dennoch, die die Armee, die Guardia civil und die bewaffnete Polizei in Schach hielten. Gab es denn jemals in den ganzen vierzig Jahren eine Widerstandsaktion gegen den Generalissimus, die ihn zwang, in einer Woche 40.000 Soldaten zu mobilisieren? Nein. War der Caudillo während seiner ganzen Diktatur jemals so in Panik wie im Herbst 1944? Nein." (Ferran Sanchez Agusti, Historiker)

"Was keiner der Historiker erklärt, die sich abfällig über die Invasion im Val d'Aran äußerten, das ist die Tatsache, dass die Männer dieser Guerilla-Einheiten eine tiefe Überzeugung hatten, die Überzeugung, im Sinne der Geschichte zu handeln. Die Überzeugung, dass ihre Sache gerecht war, den Glauben in die Kraft der Organisation und den Kampf. Nicht mehr und nicht weniger!" (Narcisse Falguera, Chef des Generalstabs der 11.Brigade der Guerrilleros Espanoles während der Operation im Val d'Aran)

Nach Motiven aus den Arbeiten von Jean Ortiz, Ferran Sanchez Agusti, Narcisse Falguera, Jean Costumero, Claude Delplat, Almudena Grandes

Text: Wolfgang Hänisch
Fotos: Bilder 2, 7, 10 perseguitsisalvats.cat
Bilder 3, 4, 5, 6, 8 Gisela Vomhof
Bild 1 rincondelvago.com
Bild 4a Ferran Sanchez Agusti
Bild 9 Jean Costumero

[druckversion ed 12/2014] / [druckversion artikel] / [archiv: spanien]


© caiman.de: [impressum] / [disclaimer] / [datenschutz] / [kontakt]