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[kol_1] Helden Brasiliens: Rettet die Mangroven!
Mario Moscatelli und der Kampf gegen den Müll

Der Kampf gegen den Müll ist ein täglicher. Wenn die Flut steigt, bringt sie all das mit sich, was Millionen von Anwohnern im Großraum Rio de Janeiro in die Flüsse und in die Guanabarabucht werfen: Sofas, Plastikflaschen, Fernseher und sogar Leichen.

Seit 1997 kämpft der Umweltaktivist Mario Moscatelli für die Wiederansiedelung der Mangroven in der Guanabarabucht, dort, wo einst die Gramacho-Müllhalde das Landschaftsbild bestimmte. Damit der Müll nicht von den Fluten in die Mangroven hineingespült wird, hat Moscatelli einen orangefarbenen Plastikzaun um die Pflanzen gezogen.



Die Gramachomüllhalde umfasste einst eine Fläche von 130 Hektar. Seit dem Beginn des Projektes haben Moscatelli und sein Team bereits 25 Hektar wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt.

Wir haben Mario Moscatelli getroffen und mit ihm über die Bedeutung der Mangroven und über die Möglichkeiten, diese zu retten, gesprochen.

Welche Funktion haben die Mangroven?
Moscatelli: Die Mangroven haben verschiedene Funktionen im Bereich des Umweltschutzes und der Sozio-Ökonomie: Sie dienen als eine Art Geburtsstation für die Tiere im Wasser, die Vögel und all die anderen Tiere, die in der Guanabarabucht leben. Für sie sind die Mangroven wie ein Supermarkt. Aber die Mangroven dienen auch als biochemischer Filter. Alles toxische Material, das über die Wasserwege in die Guanabarabucht gelangt, wird vom Schlamm der Mangrovengebiete absorbiert und so aus dem Nahrungskreislauf herausgezogen. Und sie haben auch eine ökonomische Bedeutung. Zwei Krebs-Arten werden hier gefangen, die für die menschliche Ernährung geeignet sind.

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Was sind denn die Gründe für die Umweltkatastrophe, die wir hier sehen?
Moscatelli: Um ehrlich zu sein – hier tobt ein Krieg zwischen zwei Welten, und die Bucht ist das Schlachtfeld. Die Mangroven werden jeden Tag tonnenweise mit Müll bombardiert. Und diese Gebiete hier wurden von den Politikern vollkommen aufgegeben. Was man hier sieht, ist ein Reflex auf die Abwesenheit der Regierenden, das Resultat einer nicht existenten Abwasserklärung, Müllabfuhr und öffentlichen Wohnungspolitik.

Und es ist einfach unglaublich, dass sich der gleiche Zustand, der hier in der Guanabarabucht anzutreffen ist, auch in den noblen Orten dieser Stadt wie der Barra da Tijuca herrscht. Nehmen wir zum Beispiel Krankenhausabfälle wie Spritzen. Ich finde diese Art von Müll hier, genauso wie in den Lagunen von Jacarepaguá und sogar an den Stränden der Barra da Tijuca.

Es ist einfach absurd, dass der moderne Carioca (Einwohner von Rio) im 21. Jahrhundert die Umwelt noch genauso behandelt wie die Portugiesen, die im 16. Jahrhundert hierher gekommen sind: nämlich den Müll einfach in die Umwelt zu werfen.

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Warum haben die Menschen immer noch nicht gelernt, schonend mit der Umwelt umzugehen?
Moscatelli: Das Szenario des allgemeinen Verfalls, sei es in der Guanabarabucht, der Baixada de Jacarepaguá oder in der Baía de Sepetiba (alle im Bundesstaat Rio de Janeiro), hat einen Hintergrund: die sogenannte Brasilholz-Kultur.

Das ist die Kultur, Rohstoffe solange zu verschwenden, bis nichts mehr übrig ist. Und es ist vollkommen egal, ob wir von Brasilholz oder der Guanabarabucht sprechen. Oder aber von den Lagunen von Jacarepaguá. Das ist ein Aspekt unserer Kultur, der sich jetzt schon seit 400 Jahren durch unsere Geschichte zieht und bereits Wurzeln geschlagen hat.

Bloß, dass wir vor 400 Jahren genug Umwelterbe hatten, um es zu verpulvern. Doch heute sind wir am Limit angelangt, und wir können einfach keinen weiteren Kahlschlag mehr akzeptieren. Dieser Prozess des allgemeinen Verfalls kommt aus der politischen Klasse, die unverantwortlich und aus dem Gefühl der Straffreiheit heraus handelt - eine Narrenfreiheit, denn hier wird kein Politiker, sei er auch noch so schlecht, zur Rechenschaft gezogen und bestraft.

Und die Politiker wissen, dass sie tun und lassen können, was sie wollen. Sowohl mit der Umwelt als auch mit öffentlichen Geldern. In Rio de Janeiro müssen wir als Konsequenz dieses Horrorszenario leider mitmachen.

Hier gibt es keine guten Jungs, sondern nur Banditen.

Schuld an dieser Tragödie tragen die unzähligen Regierungen, die ihr Amt lediglich als politisches Sprungbrett verstanden haben. Im Gegenzug muss man allerdings auch sagen, dass die Gesellschaft genauso Fehler begangen hat, denn die Gesellschaft akzeptiert diese Verfehlungen und besteht nicht darauf, dass die Gesetze eingehalten werden.


Wie könnte eine Lösung aussehen?
Moscatelli: Die große Lösung ist die Bildung. Solange es keine gute Bildung gibt, gibt es auch keinen Ausweg. Wenn ich auf die Bucht hinaussehe, sehe ich die Zukunft; aber es ist eine Zukunft ohne jegliche Hoffnung.

Schaue ich jedoch hier auf die Mangroven auf dieser Seite des Zaunes, so sehe ich Hoffnung. Aber es ist ein feiger Kampf. Denn es sind Millionen von Kubikmetern an Sedimenten, Millionen von Kubikmetern an Müll, Millionen von Kubikmetern an ungeklärten Abwässern, die jeden Tag hier hinein gekippt werden. Und wir stehen hier mit unseren Plastikzäunchen und verteidigen die Mangroven.

Aber unsere Zukunft und die Zukunft meiner Töchter steht auf dem Spiel. Und wenn ich einmal alt bin, möchte ich ihnen in die Augen schauen und sagen können: ich habe getan, was ich konnte und sogar etwas mehr. Aber ich weiß nicht, ob manch anderer auch den Mut haben wird, das gleiche zu seinen Töchtern zu sagen.

Fotos + Interview: Thomas Milz
Kontakt zu Mario Moscatelli: moscatelli@biologo.com.br

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