caiman.de 12/2005


[art_2] Mexiko: Das Centro Mexicano de la Tortuga in Mazunte

Es sind lediglich 4,5 Kilometer von Zipolite bis zum unbekannteren Mazunte an der Pazifikküste Mexikos und es sind lediglich 15 Jahre vergangen, seitdem die mexikanische Regierung den Fang von Schildkröten per Gesetzgebung unter Strafe gestellt hat. Zwar gab es bereits Anfang der 60er Jahre Bestrebungen der Behörden, diesen einzigartigen Tieren einen besonderen Schutz zukommen zu lassen und der Tatsache Tribut zu zollen, dass sieben der acht existierenden Meeresschildkrötenarten an Mexikos Küsten leben oder zur Eiablage an dessen Strände kommen, darunter die Tortuga Lora, die ausschließlich Mexikos Küsten zur Eiablage wählt, aber mit einem bloßen staatlichen Dekret war es nicht getan.

Die Bewohner ganzer Küstenabschnitte lebten damals vom Fang dieser Tiere. Schildkrötenfleisch wurde in beinahe jedem Restaurant und Hotel angeboten und die Eier galten als besondere Delikatesse. Und so dauerte es bis 1990 bis die Regierung auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als gegeben sah, ein derartiges Gesetz in der Bevölkerung zu implementieren. Der Fang der Meerestiere wurde untersagt und den Legeplätzen kam ein besonderer Schutz zu.


Man entschloss sich, im Rahmen der Umsetzung des Gesetzes zum Schutz der Schildkröten an der Küste des Bundesstaates Oaxaca zur Gründung des Centro Mexicano de la Tortuga (CMT) im Jahre 1991. Weitere drei Jahre sollte es dauern bis das Projekt in die Tat umgesetzt war. 1994 öffnete das Centro, das heute der Comisión Nacional de Áreas Naturales Protegidas (CONANP) untersteht, seine Pforten für Besucher. Hauptanliegen waren und sind die wissenschaftliche Erforschung der Meerestiere, die Schaffung eines Bewusstseins für diese Spezie bei der einheimischen Bevölkerung und die Förderung des Tourismus. Dort, wo sich noch 1990 eine Fabrik zur Verarbeitung von Schildkrötenfleisch befand, findet sich heute ein vier Quadratkilometer großes Gelände, auf dem der Besucher verschiedene Schildkrötenarten (unter ihnen zwei Landschildkrötenarten und sechs Süßwasserschildkrötenarten) bestaunen kann, die hier zu Forschungszwecken gehalten oder darauf warten, in die Freiheit entlassen zu werden.

Ein Team von Biologen, Veterinären und Technikern studiert und analysiert das Verhalten und die Nahrungsgewohnheiten der Schildkröten in ihrer natürlichen Umgebung und kümmert sich um kranke bzw. verletzte Tiere im Centro. In enger Zusammenarbeit mit freiwilligen Helfern aus der ganzen Welt überwacht man die Eiablage und den Erfolg der Schlüpfvorgänge so wie die Population der Tiere, studiert das Fortpflanzungsverhalten und behandelt Krankheiten, die während der Eiablage auftreten können, kontrolliert die Wasserqualität und bietet Schutz vor Wilderern. Mehrmals im Jahr (von 2001 bis 2005 zwischen sieben und elf Mal jährlich) kommen tausende Weibchen zur Eiablage zur Playa de la Escobilla. Bis September 2005 zählte man bereits mehr als 11 Ankünfte und die Lepidochelys olivacea oder Tortuga Golfina gilt nicht mehr als vom Aussterben bedroht.

Infokasten:
Die Playa de la Escobilla zählt weltweit zu den wichtigsten Stränden für die Eiablage der Meeresschildkröten. Die Arribada (Ankunft der Schildkröten am Strand) erstreckt sich über drei bis fünf Tage. Während dieser Zeit führen die Mitarbeiter des CMT alle acht Stunden eine Zählung an dem acht Kilometer langen Strandabschnitt durch, den die Weibchen für ihren Nestbau in Anspruch nehmen. Jedes Weibchen wird von den Helfern des CMT erfasst. Nur wenn die Anzahl 1500 Exemplare übersteigt, greift man zu einer Schätzmethode. Dann wird der Strand in Segmente eingeteilt: Etwa jede 100 Meter befindet sich ein Zementpfeiler, der eine Abschnitt von 1 bis 73 bezeichnet. Es ist bekannt, dass die meisten Ankünfte in den Abschnitten 5 bis 40 stattfinden; weit weniger in den Segmenten 40 bis 73. Aus diesen Erfahrungswerten schätzt man dann die tatsächliche Anzahl der zur Eiablage kommenden Weibchen.

Man betritt das Centro durch ein riesiges Tor und wendet sich vorbei an der Anmeldung nach links in den "Warteraum". Überdacht, aber zu allen Seiten hin offen, bietet er dem Besucher auf riesigen "Wandtafeln" die Möglichkeit, sich im Vorfeld der Führung über die Meerestiere zu informieren. Sobald die entsprechende Touristengruppenstärke erreicht und die Frage nach der präferierten Sprache, in der die Führung gehalten werden soll, geklärt ist, geht es durch einen botanischen Garten zu den ersten Wasserbassins.


Hier tummeln sich die Jungtiere und die Land- bzw. Süßwasserschildkröten  Manche dösen einfach in der Sonne vor sich hin, andere vollführen hektische oder elegante Schwimmübungen. In einem großen runden Außenbecken befinden sich junge Meeresschildkröten verschiedener Arten, die noch nicht geschlechtreif sind und deshalb bunt zusammen gewürfelt schwimmen dürfen. Später werden sie dann Art gerecht getrennt. Am meisten beeindruckt uns jedoch die Tortuga Lagarto (Aligatoren Schildkröte), die aussieht, als wäre ihr Körper fast vollständig von Algen überzogen, und die riesige Klauen ihr eigen nennt. Bei ihr handelt es sich um ein Fleisch fressendes Süßwasserexemplar (Anekdoten über Einheimische, die ihr beinahe zum Opfer fielen, untermalen die Ausführungen unseres Guides). Nachdem die Besuchergruppe ihr respektvolles Schweigen überwunden hat, geht es zurück durch den botanischen Garten zum hauseigenen Aquarium. Es folgt eine Kurzeinführung über alle in Oaxaca heimischen vom Aussterben bedrohten Tierarten anhand von präparierten Exemplaren und dann beginnt der Rundgang vorbei an den hohen Frontscheiben der einzelnen Becken. Auch hier schwimmen, schlafen und tauchen alle Altersgruppen unterschiedlichster Größe in Gruppen oder für sich alleine. An jedem Becken erhalten wir eine sehr ausführliche Beschreibung über Art, Nahrungsgewohnheiten und Aufenthaltsdauer der jeweiligen Bewohner. Fotografieren ohne Blitzlicht ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Anschließend erhält man etwas Zeit, um sich jedes Becken noch einmal genau zu betrachten. Auch hier beeindruckt die Fachkenntnis und Freundlichkeit unseres Guides.

Den Abschluss der Führung bildet ein kleines Gebäude, in dem man durch ein Fenster diverse in Formalin eingelegte Schildkröteneier in unterschiedlichen Schlüpfstadien betrachten kann. Nicht gerade ästhetisch aber interessant (befruchtete und aus Sicherheitsgründen den Nestern entnommene Eier werden im dem Museum angeschlossenen Camp in Playa de la Escobilla künstlich ausgebrütet). Keine zwanzig Meter entfernt bietet eine kleine Cafeteria mit angeschlossenem Souvenirshop eine abschließende Möglichkeit zur Entspannung bevor man das Centro wieder verlässt. Biegt man nach links ab, so kommt man zum Büro des Direktors. Hier erhält man eine Fülle an Informationsmaterial über das Centro und über die Möglichkeiten eines Volontariats.


Als wir nach einer Stunde das Centro verlassen, treffen wir auf eine Gruppe von acht zehn- bis zwölfjährigen mexikanischen Kindern, die eine verletzte Schildkröte in Händen halten und diese am Eingang abgeben. Noch vor wenigen Jahren hätten sie dieses Tier wahrscheinlich mit nach Hause genommen. Das gibt Hoffnung für die Zukunft, auch wenn heutzutage in Mexiko immer noch Schildkröten von mehr oder weniger organisierten Banden getötet und ihre Nester geplündert werden.

Wir bedanken uns bei Manelik Olivera Martinez, dem Direktor des CMT für die Zeit, die er sich genommen und das ausführliche Informationsmaterial, das er uns zur Verfügung gestellt hat.

Text + Fotos: Camila Uzquiano

Tipp: Die Dorfbewohner bieten verschiedene Bootsfahrten an, um Schildkröten in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten. Die meisten arbeiten oder arbeiteten für das CMT und wissen bestens über die schwimmenden Riesen Bescheid. Während der vierstündigen Bootsfahrt konnten wir circa 50 Schildkröten sichten und auch berühren, wobei unser Bootsführer stets sehr vorsichtig und respektvoll im Umgang mit ihnen war.