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[art_2] Brasilien: Unbegegnung in São Paulo
 
Das Teatro Municipal, São Paulo, Brasilien. Ich mache Aufnahmen für einen Radiobeitrag für die Heimat.

Das Orchester aus Deutschland stimmt sich ein. Die Musiker tief in sich versunken, die meisten auf der Bühne, einige haben sich auf Zuschauersitze im Saal zurück gezogen. Eine elegante junge Frau mit asiatischen Zügen betritt die Bühne, setzt sich hinter das Yamahaklavier, streicht sich die langen dunklen Haare aus dem Gesicht, so pechschwarz wie der Klavierlack.

Die Probe beginnt, Rachmaninoff. Ihre Hände fliegen über die Tasten, ihr Gesicht verschwindet hinter den lang herunter hängenden Haaren. Sie ist im Tunnel, dessen Wände aus glattem unendlich langem Haar beschaffen sind. Ich strecke mein Aufnahmegerät der Bühne entgegen, auf der Suche nach dem perfekten Sound, der sich seinen Weg über die beiden Mikrofone hin zu den Kopfhörern bahnt.

Ab und zu schaut sie zu mir herunter, ich lächel, sie lächelt zurück. In einer Pause lehnt sie sich zu mir herunter, "are you the sound guy?" Ich schüttel den Kopf, lächel einfach weiter. Wenig später spricht das wundervolle Geschöpf erneut zu mir: "the piano is not loud enough, right?" Ich kann nur hilflos die Arme ausbreiten und dazu grinsen. Ich bin nicht der Soundguy. Ich sollte sie zum Essen bei Kerzenlicht einladen, denke ich. Und grinse erneut, ob der verwegenen Idee.

Als ihr Part fertig ist, kommt sie von der Bühne herunter, setzt sich neben mich. Ob mein Lächeln ihr gefallen hat? "Did you record it?" Ja, natürlich. Ob sie es hören könne? Na klar. Wir gehen hinaus, suchen nach einem stillen Ort, an dem wir ungestört der Aufnahme lauschen können. Merk Dir jede Kleinigkeit, denke ich mir, später wirst Du der staunenden Welt berichten müssen wie ihr Euch kennen gelernt habt, damals bei den Konzertproben. "Did you record it with the three microfons that hang down from the roof?" Nein, nur mit meinem kleinen Aufnahmegerät, ich bin ja nicht der Soundguy. "Are you Japanese?" Nein, sie kommt aus Südkorea.

Wir sitzen im Foyer, sie hat sich meine Kopfhörer aufgesetzt. "The first movement, please." Sie lauscht gespannt, wippt nervös mit dem Fuß. "What do you think?", fragt das wundervolle Geschöpf mit den pechschwarzen Haaren. Oh, ich fand das Klavier zu leise, lautet meine aufrichtige Antwort. "The second movement, please." Aus der Nähe wirken ihre dunklen Augen riesig.

"Too loud", ruft sie, nein, nicht das Klavier, sondern der aus meinem Recorder kommende Sound. Feines Gehör, anders als meins, das selbst bei voller Lautstärke kaum was hören kann. Sie setzt die Kopfhörer ab. "I think the problem ist the piano. It sounds a bit..." Ihr fehlt das passende Wort. "flat" werfe ich ein, "it sounds a bit to flat, like a tin can. It should have more body, more flavour." Dabei bin ich ja nicht der Soundguy. "Yes, maybe I should change the piano. They have a Steinway, but it is a new piano and therefore will be harder to play. But the sound is more full than the Yamaha." Sie sieht unentschlossen aus, vielleicht sollte ich sie jetzt auf ein Glas Wein nach dem Konzert einladen. Um sie über das dosig klingende Piano hinwegzutrösten.

Ich werfe den Testköder aus. "Can we do an interview?" "Now?" "Yes, I`d like to know a bit about your concert tour here in South America." "Not now, I have to fix the piano problem." Sie springt auf und enthuscht hinter die Bühne. Später erscheint sie in einem wallenden schwarzen Kleid auf derselben, Applaus brandet auf. Sie fegt den Rachmaninoff durch den Saal, dann eine knappe Ansage auf Englisch, sie spiele ein Stück aus Südkorea, und schon fliegen die Hände wieder wie wild. In einer langsamen Passage legt sie den Kopf in den Nacken, die Augen geschlossen wie im Traum. Das Publikum will sie nicht gehen lassen, ich erst recht nicht, doch sie verbeugt sich schüchtern und entschwindet.

"Sie spielt wie von einem anderen Stern", sagt der ältere Herr im Foyer. Ja, wie von einem anderen Stern, denke ich. Das Programmheft nennt sie "den neuen Superstar am Klassikhimmel, der im zarten Alter von 24 Jahren explodierte". Ich komme an einem Spiegel vorbei und erblicke mein T-Shirt. "STAFF" steht darauf geschrieben, das war mir nicht bewusst gewesen. Ob in ihren von Rachmaninoff und Beethoven okkupierten Erinnerungen wohl Platz sein wird für einen einfachen Soundguy? Schließlich hat sie gelächelt, die Göttin.



Text: Thomas Milz

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