caiman.de 11/2006

[art_4] Mexiko: Beten für den Fairen Handel

Die Sonne geht gerade erst auf, Miguel aber ist schon bei der Arbeit: Er fegt das Dach seines Hauses. Das muss richtig sauber sein, denn hier wird der Kaffee zum Trocknen ausgebreitet. Seine beiden jüngsten Kinder helfen ihm dabei, während sich der Nebel langsam über dem grünen Tal lichtet. Irgendwo kräht ein Hahn.

Kaum, dass der Kaffee versorgt ist, macht sich Miguel auf zu seinem eigentlichen Tagwerk: Honig ernten. 60 Bienenstöcke besitzt er. Um zu diesen zu kommen, muss der 32-jährige erst mal an der Straße warten und hoffen, dass ihn ein Pickup mitnimmt.


Ist dieser gefunden, so holpert dann das klapprige Gefährt eine Stunde lang über eine Waschbrettpiste durch die Berge Chiapas, bis der schmale, scheinbar undurchdringliche Pfad zu seinen Bienenstöcken erreicht ist. Mit einer Machete kämpft Miguel sich den steilen Weg zu der kleinen Lichtung frei. Dort zündet er seine Imkerpfeife an und setzt den Imkerhut auf, bevor er sich behutsam seinen Bienen nähert. Ruhe bewahren, das ist jetzt wichtig. Er öffnet eine der Kisten, bläst etwas Rauch hinein um die Bienen zu beruhigen und zieht die von goldenem Honig triefenden Waben heraus. Miguel erntet, soviel er tragen kann. Schließlich bindet er die Rahmen mit den Waben zusammen, schlingt sich den Trageriemen um die Stirn und schleppt seine 60 Kilo schwere Fracht über den schmalen Pfad zur Straße zurück. Es ist heiß und feucht, der Schweiß rinnt ihm übers Gesicht, aber er hat Glück und muss nicht allzu lange auf eine Mitfahrgelegenheit warten. Nach Stunden ist er wieder in seinem Dorf San Miguel angekommen, und es beginnt die eigentliche Arbeit: der Honig muss geschleudert, gesiebt und abgeschöpft werden.

"Das Wichtige daran, dass wir unseren Honig an den Fairen Handel verkaufen, ist nicht nur der höhere Preis, den wir bekommen, sondern vor Allem, dass wir einen festen Absatzmarkt haben. In Mexiko wäre es reine Glückssache, unseren Honig überhaupt verkaufen zu können."

Ursprünglich war Miguel nur Kaffeebauer, aber vom Kaffee alleine konnte er seine sechs Kinder nicht ernähren. Heute erzielt er die Hälfte des Familieneinkommens aus Kaffee, die andere aus Honig, beides kann er an den Fairen Handel verkaufen. "Früher musste ich meine Produkte an die Coyoten, die Aufkäufer, verkaufen, die haben die Preise bestimmt und uns ausgebeutet."

Würde er den konventionellen Markt beliefern, so hat er ausgerechnet, würde er 40 Prozent weniger verdienen. "Diese 40 Prozent machen den Unterschied zwischen Armut und einem guten Leben aus", erklärt er. Miguel ist sehr zufrieden damit, wie sich sein Leben in den letzten Jahren entwickelt hat. "Seitdem ich an den Fairen Handel verkaufe, hat sich vieles verbessert. Wir leben jetzt in einem richtigen Haus aus Stein und nicht mehr in einer Lehmhütte. Wir haben richtige Schuhe und können für die Kinder sogar neue Kleidung kaufen." Als nächstes würde Miguel gerne einen Pickup anschaffen, damit er nicht mehr darauf angewiesen ist, eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Doch so ein Auto ist teuer. Vorläufig wird es wohl doch eher ein Maultier werden.

"Wenn wir unseren Honig und Kaffee weiter an den Fairen Handel verkaufen können, dann werden wir zwar nicht reich, aber wir können von dem, was wir verdienen, gut leben." Miguel möchte auch für die Zukunft seiner sechs Kinder sorgen. "Ich möchte gerne mehr Land kaufen, damit ich jedem meiner Kinder etwas hinterlassen kann und sie nicht als abhängige Landarbeiter für einen Großgrundbesitzer arbeiten müssen." Was das bedeuten würde, sieht er täglich bei einem Nachbarn: Ein Leben in bitterer Armut.

Damit aus diesem Plan etwas wird, packt die ganze Familie mit an. Selbst die siebenjährige Lydia hilft mit, den Kaffee zu waschen. Miguels ältester Sohn Gabriel übernimmt mit seinen 16 Jahren die Verantwortung für die Kaffeeernte, wenn sein Vater wie jede Woche nach San Cristóbal fährt. Miguel ist einer der Direktoren der Kooperative Mieles del Sur und die Gemeinschaft hat sich ein großes Projekt für das nächste Jahr vorgenommen: Sie wollen ein eigenes Lagerhaus für den Honig bauen, damit kein Gebäude mehr gemietet werden muss. Das spart auf lange Sicht Geld und erhöht den Gewinn der Bauern. "Im letzten Jahr haben wir einen Lastwagen gekauft, und es macht sich jetzt schon bemerkbar, dass wir keinen mehr mieten müssen", erklärt Miguel. Gleichzeitig müssen Transport und Ausfuhrgenehmigungen organisiert werden, die Abrechnungen müssen stimmen und die Qualität des Honigs muss überprüft werden. Vor allem aber macht sich Miguel Gedanken um Schulungen für die Mitglieder der Kooperative. "Alles, was uns hilft, die Qualität unseres Honigs zu steigern und effektiver zu arbeiten, ist wichtig".

Manchmal braucht es dazu nicht viel mehr als eine gute Idee. So hat Miguel eine höchst einfache, aber sehr wirkungsvolle Methode erfunden, um Rahmen für die Bienenwaben vorzubereiten: Auf die mit Draht bespannten Holzrahmen werden Wachsplatten geklebt, an denen die Bienen dann die Waben bauen. Um die Wachsplatten möglichst fest anzubringen, legt er eine auf den Draht, erzeugt mit zwei Kabeln einen Stromkreislauf und schon ist das Wachs fest mit dem Rahmen verbunden. Die Kabel hat er selber gebastelt.

Harte Arbeit, Ideenreichtum und die Chance auf einen Fairen Preis haben Miguel und seiner Familie einen bescheidenen Wohlstand beschert, und den teilen sie mit den Bewohnern ihres Dorfes. Die kleine Gemeinde begeht das Fest zu Ehren der Heiligen Jungfrau von Guadalupe, den höchsten Festtag Mexikos.


Zu diesem Anlass schlachtet Miguel zwei Schweine, deren Fleisch sie vor der Kirche an jeden verschenken, der Hunger hat. "Es ist wunderbar, dass wir uns das leisten können", findet seine Frau Mercedes, auch wenn sie um vier Uhr in der Frühe aufstehen muss, um alles vorzubereiten.

An diesem Tag gehen alle gemeinsam zur Kirche, die Mädchen tragen Blumen. Es ist der Tag, an dem die Bauern die Heilige Jungfrau um das Wichtigste bitten: Eine gute Ernte, und "dass der Faire Handel blühen möge", fügt Miguel für sich hinzu.

Text: Katharina Nickoleit
Fotos: Christian Nusch

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