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[art_1] Spanien: Von der privaten Grabkapelle zum Weltkulturerbe
Die grandiose Erlöserkirche von Úbeda
 
Als meine Freundin Angélica mir Ende März bei meinem Sevilla-Besuch vorschlug, einen Abstecher zum Renaissance-Städtchen Baeza im äußersten Nordosten Andalusiens zu machen, war von Anfang an klar, dass wir zugleich Úbeda besuchen würden. Auch Úbeda ist ein vor allem durch Renaissancebauten des frühen 16. Jahrhunderts geprägtes Landstädtchen inmitten eines riesigen Olivenanbaugebiets und mit ca. 40.000 Einwohnern geringfügig größer als Baeza. Da beide Städte nur knapp sieben Kilometer auseinander liegen, werden sie fast immer in einem Atemzug genannt und jeder Kulturtourist, der Baeza besucht, fährt auch nach Úbeda und umgekehrt.

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Da wir mittags in Úbeda ankamen, mussten wir uns, auch aufgrund der windigen Kälte, zunächst mit einer zünftigen warmen Mahlzeit stärken und fanden diese in der "Cantina La Estación", einer sehr empfehlenswerten Entdeckung Angélicas. Gute und großzügige Tapas, alle mit dem Olivenöl der Region und dem ein oder anderen Rotwein begossen, wärmten uns auf. Nachdem die Bedürfnisse des Körpers erfüllt waren, konnten wir uns nun den spirituellen und damit dem eigentlichen Grund unseres Besuchs von Úbeda widmen.

Unter den vielen Monumenten des entlegenen Städtchens befindet sich eines, das zu Recht Weltruhm und seit 2003 auch einen Platz in der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO erlangt hat. Durch enge Gassen und über den Rathausplatz führte uns der Weg zum Palast von Francisco de los Cobos. Dieser illustre Herr war der Sekretär Kaiser Karls V. und hatte offenbar beträchtlichen Reichtum angehäuft. Und diesen benutzte er, um seiner Familie gleich neben dem Palast ein imposantes Denkmal zu setzen: die Sacra Capilla del Salvador del Mundo (Heilige Kapelle des Erlösers der Welt).

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Wir stehen also hier eigentlich vor einer privaten Grabkapelle, die aber heute die bedeutendste Sehenswürdigkeit von Úbeda und nun zu den großen Kunstschätzen der Welt gehört. Denn der Tempel, der sich hier neben der Plaza Vázquez de Molina erhebt, ist trotz seiner irreführenden Bezeichnung "Kapelle" eine der großartigsten Renaissancekirchen Spaniens - neben der Stiftskirche von Osuna, der Verkündigungskirche in Sevilla und dem Kloster San Jerónimo in Granada. Gebaut wurde die Erlöserkirche in nur zweieinhalb Jahrzehnten (1536 - 1559) von Spaniens genialsten Renaisssance-Architekten: Diego de Siloe (Granada) und Andrés de Vandelvira (Jaén). Von letzterem stammen die Pläne für fast alle Renaissancebauten in der Provinz Jaén. Während Diego de Siloe den effektvollen, knapp 30 Meter hohen Rundtempel entwarf, der die Familiengrabstätte bildete und dem Clan der Cobos vorbehalten war (das gemeine Volk durfte nur ins Kirchenschiff und von dort einen Blick durchs Gitter werfen), war Vandelvira als Architekt verantwortlich für den Anbau der Sakristei und die Fassadengestaltung.

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Und die kommt erstaunlich heidnisch daher für einen Sakralbau, der dem Erlöser Jesus Christus gewidmet ist. Denn auf der Hauptfassade erscheint wiederholt ein anderer Held und Hauptdarsteller: Herkules, der Supermann der griechischen Antike, wie er nackt mit wilden Stieren kämpft. Für ein Kirchenportal eine recht gewagte Darstellung. Und er wird begleitet von einer ganzen Riege griechisch-römischer Götter von Jupiter bis Venus, die auf den Besucher herab schauen. Amazonenhaft und alles andere als sakral wirkende Frauengestalten präsentieren stolz das Familienwappen der Cobos.

Im Zentrum der Fassade, über dem Hauptportal, erscheint dann doch Jesus im Moment seiner Verklärung auf dem Berg Tabor im Strahlenkranz über den Aposteln schwebend - wie der griechisch-römische Lichtgott Phoebus Apollon. Solche Analogien zwischen christlicher Religion und der griechisch-römischen Götterwelt kann man so nur in Renaissancekirchen entdecken und selten in derart deutlicher Form wie hier in Úbeda. Die spektakulären Fassadenreliefs sind Werke des Bildhauers Esteban Jamete und sie entfalten ihren plateresken Zauber vor allem, wenn die Abendsonne die ganze Westfront der Kirche golden illuminiert.

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Auch für die Innenausstattung wurden nur die besten Künstler Spaniens und Italiens bemüht. Unter einem später hinzugefügten barocken Baldachin ragt der vergoldete Hauptaltar empor, geschaffen von Spaniens größtem Renaissance-Bildhauer Alonso Berruguete aus Toledo. Rechts davon wurde ein Pietà-Gemälde des berühmten Italieners Sebastiano del Piombo aufgehängt, das sich heute im Prado in Madrid befindet (das Gemälde hier ist eine gute Kopie). Eine kleine Skulptur des Johannesknaben gilt als ein Werk von Michelangelo. Und den Goldkelch hat Kaiser Karl V. höchstselbst geschenkt. Beinahe wären all diese Kunstschätze 1936 für immer zerstört worden. Denn am Anfang der Wirren des Spanischen Bürgerkriegs setzten Anarchisten den grandiosen Hochaltar von Berruguete in Brand. Obwohl dieser noch rechtzeitig gelöscht wurde, bevor er sich in der ganzen Kirche ausbreitete, wurde das Wunderwerk des Alonso Berruguete stark beschädigt und musste aufwändig restauriert, im unteren Bereich stellenweise rekonstruiert werden. Vom Feuer so gut wie unversehrt blieb - von vielen als göttliches Wunder angesehen - die Christusstatue im Zentrum des Hochaltars. Der Altar wiederholt dieselbe Szene, die schon außen über dem Hauptportal gezeigt wird: die Verklärung Christi.

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Doch nicht nur der spektakuläre Hochaltar zieht die Besucher in seinen Bann. Die visuellen Effekte des genialen Rundbaus vom hypnotischen Schachbrettmuster des Fußbodens bis zur lichtdurchfluteten und mit Goldgirlanden dekorierten Kuppel sind faszinierend. Angélica blickt staunend in die Gewölbe und murmelt etwas von "Mini-Petersdom" und das ist durchaus zutreffend.

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Der architektonische Geniestreich, der den Kuppelbau noch übertrifft, ist jedoch die von Andrés de Vandelvira angebaute Sakristei und ihr einzigartiges Portal. Dieses ist zwar in eine Ecke gezwängt (die Sakristei konnte nur im engen Rechteck zwischen Palast und Kirche entstehen), doch monumental geworden. Die Säulen sind hier ersetzt durch mythologische Frauengestalten, sog. Karyatiden, die rechts und links das Portal einrahmen. Das Volk nennt diesen Eingang "Paradiespforte": die überlebensgroßen halb nackten Skulpturen, die geradezu wollüstig ihre Brüste präsentieren und üppige Obstkörbe auf dem Kopf tragen, versprechen in der Tat paradiesische Freuden.

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Dahinter wird es aber wieder ernst. Die Sakristei ist ein strenger Renaissance-Raum mit schwerem Tonnengewölbe und an den Wandpfeilern gibt es keine nackten Figuren mehr zu sehen, sondern hier dominieren nun wie antike Priesterinnen gewandete Sibyllen mit tragischem Gesichtsausdruck. Auch diese Statuen sind meisterhafte Schöpfungen des Bildhauers Esteban Jamete. Die ausdrucksstärkste von ihnen schlägt in einer Geste der Trauer die linke Hand vors Gesicht. Es ist sehr erfreulich, dass dieser kunstvolle Raum, der Jahrhunderte lang nur Priestern und Messdienern vorbehalten war, nun von allen betrachtet werden kann. Und als wir noch ganz schwindelig von allen Impressionen diesen grandiosen Tempel wieder verlassen, sind wir uns einig, dass allein der Besuch dieses "Mini-Petersdoms" schon eine Fahrt nach Úbeda lohnt.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Sacra Capilla del Salvador del Mundo
Plaza Vázquez de Molina, 23400 Úbeda
Geöffnet: Montags - Samstags von 9:30 - 14:00 Uhr und 16:30 bis 18:30 Uhr
Sonntags von 11:30 - 15:00 Uhr und 16:30 - 19:00 Uhr
Eintritt: 5 €
www.fundacionmedinaceli.org/monumentos/capilla

Restaurante "Cantina La Estación", Kult Tapas Bar in ehemaligem Bahnhofs-Wartesaal, originelle und köstliche Tapas und gute Weinauswahl
Cuesta Rodadera, 1, 23400 Úbeda,
www.cantinalaestacion.com/

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