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[art_3] Argentinien: El Centro de Participación Popular Mons. Enrique Angelelli
Interview mit der Präsidentin Karina Raimondo
 
Karina Raimondo ist für die sieben Jugendzentren des Centro de Participación Popular Mons. Enrique Angelelli in Florencio Varela im Süden von Buenos Aires zuständig. Sie ist 35 Jahre alt und seit 2003, als die Organisation anfing Jugendzentren zu betreiben, für diese verantwortlich.

Wie ist die Idee entstanden, Jugendzentren zu gründen?
Karina Raimondo: Wir sind als Organisation schon seit 20 Jahren in Florencio Varela tätig. Ursprünglich waren wir nur ein Gemeindezentrum, in das Eltern ihre Kinder mitbringen konnten. Irgendwann merkten wir, dass die Kinder, wenn sie zu Jugendlichen heranwachsen, keinen Ort haben, an dem sie sich aufhalten können, es hier im Viertel keinerlei Einrichtung für sie gibt.

Warum sind die Jugendzentren so wichtig?
Karina Raimondo: Wenn es die Zentren nicht gäbe, dann gäbe es für die Jugendlichen nur noch die Straße. Und den ganzen Tag auf der Straße zu sein, bringt fast zwangsläufig den Konsum von Drogen und zur Drogenbeschaffung auch das Abrutschen in die Kriminalität mit sich. Die Jugendzentren bieten den Jugendlichen einen geschützten Ort, an dem sie Menschen treffen, mit denen sie über ihre Probleme reden können, an dem sie ernst genommen werden und den sie mitgestalten können.

Was sind denn hier in den Vororten die größten Probleme?
Karina Raimondo: Die allermeisten Kinder und Jugendlichen hier sind in irgendeiner Form Gewalt ausgesetzt – oft zu Hause in ihren Familien, aber auch im Alltag auf der Straße. Viele  sind schon seit ihrer frühen Kindheit weitgehend sich selber überlassen. Entweder weil die Eltern den ganzen Tag arbeiten oder aber weil sich die Eltern kaum für sie interessieren. Es gibt auch sonst keine familiären Netzwerke, keine Tanten oder Großeltern, die sich um sie kümmern würden. Diese Vernachlässigung ist ein riesiges Problem. Dazu kommt, dass die Familien sehr wenig Geld haben.

Was sind für Sie persönlich die größten Herausforderungen?
Karina Raimondo: Viele der Jugendlichen, die zu uns kommen, haben bereits mit Drogen und Bandenkriminalität zu tun. Mit ihnen umzugehen erfordert sehr viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Aber wir sind sicher, dass ihre Situation noch viel schwieriger wäre, wenn sie nicht zu uns kommen könnten. Außerdem sehen wir, dass sich Gewalt vererbt – viele erleben das zu Hause schon in der 2. Generation. Diese Jugendlichen glauben, dass es gar keine andere Möglichkeit der Konfliktlösung gibt und wenn wir diesen Kreis nicht durchbrechen, werden sie selber die Gewalt später auch an ihre Kinder weiter geben. Viele haben jede Hoffnung verloren, dass sich ihr Leben zum Positiven verändern könnte. Sie haben resigniert und glauben nicht daran, dass sich an der Richtung ihres Lebens oder der Situation in ihren Vierteln etwas ändern wird. Sie unternehmen nicht einmal mehr den Versuch aus ihrem Leben etwas zu machen.

Wie reagieren Sie darauf?
Karina Raimondo: Wir geben den Jugendlichen einen Ort, an dem sie in Ruhe über sich und ihre Situation und die Zusammenhänge nachdenken können. Wir organisieren Workshops und Diskussionsrunden, in denen sie reflektieren und den Ursachen der Probleme auf den Grund gehen. Und wir sehen, dass es viele Jugendliche gibt, die es schaffen, das Ruder herum zu reißen und wenn sie dann erwachsen sind, bewusst anders leben, bewusst anders mit ihren Partnern und Kindern umgehen, als sie es von ihren Eltern mitbekommen haben. Diese Entwicklung wird auch in den einzelnen Vierteln wahrgenommen – es ist ein Erfolg, dass unsere Jugendzentren inzwischen in den Vierteln akzeptiert und für wichtig  befunden werden.

Wie wichtig ist für Sie die Zusammenarbeit mit Brot für die Welt?
Karina Raimondo: Die Unterstützung von Brot für die Welt war von Anfang an sehr wichtig für unsere Arbeit. Brot für die Welt finanziert drei der sieben von uns betriebenen Jugendzentren direkt und damit rund 70 Kinder und Jugendliche. Aber das ist nicht alles. Die Tatsache, dass uns eine so wichtige deutsche Organisation von Anfang an unterstützt hat,  stärkt uns als Einrichtung. Diese Zusammenarbeit gibt uns eine gewisse Bedeutung, die uns auch hilft, aus unterschiedlichen Quellen Geld für die anderen Jugendzentren zu akquirieren. So erreichen wir heute rund 180 Kinder und Jugendliche.  Brot für die Welt ermöglicht uns Vieles, was sonst undenkbar wäre.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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