caiman.de 10/2007

[kol_1] Heldinnen Brasiliens: Kick it like Marta

Gott ist ja bekanntlich Brasilianer. Aber heißt das automatisch, dass er auch den Kickern vom Zuckerhut stets die Daumen drückt? Und wenn dem so ist, wäre das dann eigentlich als gerecht zu bezeichnen? Ist es gerecht, dass die Brasilianer nach 90 Minuten meistens als Sieger vom Platz gehen? Reicht es nicht, dass sie schon die besten Fußballer in ihren Reihen haben?

0:0 stand es zur Halbzeit des WM-Finales 2007. Glücklich für die deutsche Frauenmannschaft, wenn man ehrlich ist. Der Traum von der Titelverteidigung in ganz weite Ferne gerückt. Wer kann einem in solch einer Situation noch zur Seite stehen?

So fragt man sich, ob es eigentlich einen Gott gibt, und wenn ja, wem drückt er die Daumen? Denen, denen er sowieso schon das meiste Talent in die Wiege gelegt hat?

Allen voran Marta, eine erst 21-jährige Stürmerin aus dem Bundesstaat Alagoas, hoch im Nordosten, Brasiliens Nummer 10, die die gegnerischen Abwehrreihen in Grund und Boden spielt. Seit drei Jahren kickt die Weltfußballerin 2006 in Schweden. Denn daheim im Macholand am Zuckerhut hält man nicht viel von Frauenfußball. Ganz anders als in Deutschland, wo Spiele der Frauenbundesliga gerne einmal 10.000 Zuschauer anlocken.

Gegen die brasilianischen Individualisten tun sich deutsche Mannschaften traditionell schwer, denn Individualisten sind auch für ein perfekt organisiertes Kollektiv wie das deutsche meist der Tod.

Erinnerungen werden wach. 0:0 stand es damals auch. Im Urwald, auf einer kleinen Insel inmitten des gigantischen Amazonas, schaute ich das Endspiel 2002. Rivaldo, Ronaldo und Ronaldinho, drei Zauberer gegen eine biedere, namenlose deutsche Elf.

Brasilien gegen Kahn, hieß es damals. Kreativer Offensivfußball gegen den blonden Betonblock im deutschen Tor.

Man musste einfach verlieren, und selbst der an den Pfosten gesetzte Freistoß von Neuville konnte darüber nicht hinwegtäuschen. Nach gut 70 Minuten erfolgte dann der lang erwartete Todesstoß Ronaldos. Das Schicksal hatte sich erfüllt. Und nur Spott blieb für den einsamen Deutschen am Ende der Welt.

Wie froh war man da, dass die Brasilianer wenigstens im Frauenfußball keine ernsthafte Gefahr darstellten. Weltmeister wurden 2003 die deutschen Frauen, denen man auch 2007 zutraute, ihren Titel zu verteidigen. Doch dann kamen die Panamerikanischen Spiele im Juli 2007 und die brasilianische Frauen-Seleção demontierte ihre Gegner auf erschreckende Art und Weise.

Und dann überrollten sie auch bei der WM in China alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Mit 4:0 schickte man die favorisierten USA im Halbfinale zum Duschen. Um die deutschen Frauen konnte einem da eigentlich nur angst und bange werden.

Glück hat man, dass Brasilien im Finale gegen Deutschland nach 23 Minuten nur den Pfosten trifft. Manche Dinge ändern sich einfach nie, denkt man.

Alles schon gesehen. Gegen Brasilien kann man lange gut mithalten, doch am Ende siegt die individuelle Brillanz gegen die taktische Perfektion.

Als der Fatalismus bereits zu ersten Lähmungserscheinungen beim deutschen Zuschauer führt, fällt das 1:0. Birgit Prinz schießt es, und nicht Marta. Kann man das Schicksal besiegen? Dreht sich das Glücksrad plötzlich anders herum?

Marta bekommt ihre Chance in Form eines berechtigten Elfmeters, doch sie zeigt Nerven. Ronaldinho hätte ihn wohl rein gemacht, werden Brasiliens besserwisserische männliche Sportreporter jetzt wohl sagen. Elendige Machos.

Verzweifelt rennen die Brasilianerinnen gegen die drohende Niederlage an, doch es nutzt alles nichts mehr. Marta wird später noch als beste Spielerin und Torschützenkönigin geehrt, aber traurig ist sie trotzdem. Hat Gott sie verlassen?

Oder schaut Gott vielleicht doch lieber Formel 1 statt Fußball und hat sich nach dem frühmorgendlichen Rennen in Japan einfach wieder schlafen gelegt?

Text + Fotos: Thomas Milz