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[kol_3] Grenzfall: Von Adoclovo bis Raboqui Lobo
Auf Adressensuche in modernen Zeiten
 
Laut der zahlreichen Rechnungen, die ich leider in regelmäßigen Abständen erhalte, wohne ich in der Rua Haddock Lobo, im schönen Stadtteil Cerqueira César, im noch schöneren São Paulo. Wobei die Haddock Lobo eigentlich keine besonders unbekannte Straße ist, kreuzt sie doch die Rua Oscar Freire, eine der angeblich zehn schicksten Einkaufsstraßen der Welt, und die Avenida Paulista, Sao Paulos Postkartenmeile.



Taxifahrer kennen meine Straße, das ist kein Problem. Und normalerweise haben die freundlichen Telefonstimmen der noch freundlicheren Call-Center, die heutzutage in Ermangelung physischer Präsenz echter Läden die Welt lenken, auch nie Probleme, die Straße samt ihrer richtigen Schreibweise in ihrem Computer zu finden. Schließlich hat die Haddock Lobo ihre eigene Postleitzahl, was bedeutet, dass die Call-Center-Mitarbeiter stets nur diese eingeben müssen, um sofort auf meine Straße samt ihrer etwas seltsamen (zumindest für Brasilianer... !?) Schreibweise zu stoßen. 

Deshalb: keinerlei Problem bei der Zustellung meiner Rechnungen. Vielleicht wurde ich an dieser Stelle etwas übermütig... Auf jeden Fall beschloss ich, bei meiner ziemlich großen und äußerst modernen Handyfirma meinen seit Jahren auf eine alte Adresse laufenden Mobilfunkvertrag adressentechnisch zu ändern, so dass die Rechnungen im aktuellen Briefkasten ankommen könnten. Mehrere Besuche in verschiedenen Filialen des Handyriesen führten jedoch stets zur selben Aussage des Verkaufspersonals: Adressänderungen nur über die Hotline.

Die besagte Hotline erreicht man über ein Telefon, das in einer Filiale auf der viel befahrenen Avenida Paulista einfach so an der Wand hängt. Nahe der stets offenen Eingangstür. Während also draußen gefühlte Millionen von Kraftfahrzeugen vorbei rauschen, versucht man der Stimme am anderen Ende der Leitung die neue Wohnadresse mitzuteilen. Man buchstabiert, H-A-D-D-O-C-K-L-O-B-O, flucht, fleht die unbekannte Stimme an, doch einfach die Postleitzahl in ihren Computer einzugeben, dann würde der Straßenname samt richtiger Schreibweise erscheinen.

Wenige Tage später trudelt die erste Rechnung über Umwege, an den neuen Wohnort adressiert, ein: Rua Certeza Acesa, Stadtteil Adoclovo (!), statt Rua Haddock Lobo, Stadtteil Cerqueira César. – Die neuartige Lautschriftvariante ADOCLOVO für HADDOCK LOBO dürfte dabei Linguisten für Forschungsprojekte interessieren. – Die Bankangestellte, der ich die erste Rechnung samt der neuen Adresse als Nachweis meines Wohnsitzes versprochen hatte, schaute mich am nächsten Tag nur etwas bedröppelt an. "Weder die Straße noch der Stadtteil existieren und es besteht keinerlei Übereinstimmung mit der angegebenen Postleitzahl." Akzeptieren könne sie das fragwürdige Blatt Papier daher nicht als Wohnungsnachweis.

Mehrere Monate und noch mehrere gebrüllte Anrufe über besagte Hotline später schaffte ich es, wenigstens den Stadtteil zu korrigieren. "Cerqueira César" steht nun auf den Rechnungen, welch Fortschritt. Dafür lautet die Straße nun "Rua Raboqui Lobo". – Teil 2 der Linguistik-Feldforschung über die Lautschriftvarianten des Wortes Haddock. – Bewundern darf man zudem die Kompetenz der brasilianischen Postangestellten, die besagte Lautschriftvarianten ohne Probleme verstehen und korrekt zustellen können.



Erstaunlich auch, was danach geschah. Trotz all der Frustrationen wagte ich es, bei besagter Handyfirma ein Internet-Modem zu erwerben, zu zahlen auf monatlicher Rechnungsbasis. "Ihre Adresse haben wir ja registriert", so der freundliche Verkäufer. "Ist das so?", war mein leicht zynisch gemeinter Kommentar. Mehr nicht. Ich wollte mich überraschen lassen. Seltsamerweise kam die Rechnung eine Woche später mit der vollkommen korrekten Adress-Schreibweise an. Wieso, ist mir schleierhaft. Aber die Bankangestellte freute sich und akzeptierte die Modemrechnung finally als meinen Wohnungsnachweis. Manche Dinge zwischen Himmel und Erde, so mein Dad, versteht man einfach nicht. Muss man auch gar nicht, Hauptsache, es klappt halt irgendwie.

Text + Fotos : Thomas Milz

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