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[kol_3] Amor: El Atropello

Es ist einer dieser bitter süßen Momente im Leben. Du stehst in einer Bar, betrinkst Dich mit Freunden und tanzt zur Musik. Die Stimmung ist gut und ausgelassen. Als Du nach einer längeren Tanzeinlage wieder zur Bar schreitest, um Nachschub zu organisieren, steht da diese wunderschöne Frau mit den tiefschwarzen Augen. Mariana heißt sie. Ein wundervoller Name, den ich so schnell nicht vergessen werde. Ihre Augen strahlen mich an, ihre Brüste reckt sie mir entgegen und der Mund ist sinnlich und wartet nur darauf, endlich geküsst zu werden. Es ist eine jener Szenen, die man sich gerne noch vorher zu Hause vorstellt, ehe man eine Nacht beginnt. In der Regel treten sie nie ein, in den seltensten Fällen kommt man auch nur annähernd in die Verlegenheit, dass man von der hübschesten Frau des Abends angemacht wird. Aber es passiert. Und mir ist nicht einmal mulmig zumute, sondern ich fühle mich wunderbar leicht und bei klarstem Verstand.

Als ich mir meinen Rum bestelle, kommt Mariana noch einen weiteren Schritt auf mich zu. Ich rieche das Shampoo ihrer Haare und blicke auf ihre kleine Nase herab. Ich weiß nicht mehr, was ich alles gesagt habe oder ob wir überhaupt miteinander gesprochen haben, aber sehr wohl erinnere ich mich an diesen Kuss. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen und dieser halbgeöffnete Schmusemund kommt unaufhaltsam meinem Gesicht entgegen. Wie ein Magnet wird mein Kopf angezogen und ich spüre noch heute ihre warme Zunge zaghaft sanft mit der meinen spielen. Ein himmlischer Moment. Ihre Hände umschließen meinen Kopf und streichen mir leicht über die Wangen. Der Kuss dauert eine Ewigkeit. Ich umarme vorsichtig ihren zierlichen Körper; meine rechte Hand geht zu ihrem straffen Po und die linke habe ich auf der Höhe ihres BHs und den zartknochigen Schulterblättern. Ich fühle eine Zerbrechlichkeit und traue mich nicht, sie noch stärker an mich zu drücken.

Als der Kuss zu Ende geht, wandert ihre Hand von meinem Gesicht über meine Brust. Ganz langsam und voller Anmut. Ihre Augen lassen nicht von den meinen ab und ich spüre ein ungeheures Lodern in mir. Ihre Augen, ja ihre Augen, sie scheinen mich aufzufressen. Sie wendet sich von mir ab, ergreift beinahe beiläufig meine Hand und zieht mich sanft aber bestimmend aus dem großen Raum ins Freie. Lange stehen wir an dieser abgerissenen Ecke, eng umschlungen und unablässig küssend. Wir können nicht aufhören. Und wollen es auch nicht. Beide haben wir es ganz klar vor Augen, dass wir diese Nacht gemeinsam erobern wollen. Und uns gegenseitig. Das Taxi hält und wir steigen ein. Zu ihr. Es geht tatsächlich zu ihr nach Hause, was durchaus ungewöhnlich ist. Die Zeit fliegt vorbei, wir steigen aus, die Hände nicht voneinander lassend. Als ihre Haustür hinter uns ins Schloss fällt, ist es um uns geschehen, wir sind bereit für einander. Mein Hemd ist ausgezogen, ihre Bluse geöffnet, unsere Hosen auf dem Boden verstreut und ich kann in aller Ruhe mit beiden Händen ihren BH öffnen, als sie den Kopf in meinem Schoß verbirgt. Das Bett, der Spiegel, die Musik, alles glänzt und tanzt und wir reiben unsere Lust aneinander. Es lodert.

Schlapp und matt erwacht man aus einem Schlaf, der eigentlich keiner ist. Man ist noch aufgewühlt und unheimlich glücklich. Die Frau neben mir ist wunderschön, ich würde ihr gerne noch einmal zeigen, was ich kann, aber ich muss gleich zur Arbeit. Und sie sieht nicht so aus, als hätte sie große Lust auf eine zweite Runde. Ich schau sie an, aber sie schließt die Augen. Ein Zeichen, dass es wohl an der Zeit ist, zu gehen. Adieu, Du süßer Traum. Macht nichts. Es war schön und fühlte sich gut an. Zumindest für mich. Kein Kompromiss, keine Versprechungen, kein gar nichts. Eine Nacht mit einer bezaubernden Frau wird ins Büchlein eingetragen werden. Daran kann ich nichts Falsches erkennen. Im Gegenteil. Wie kann ein Tag schöner begangen werden? Ich ziehe mich nach und nach an. Das Auffinden meiner Kleidung ist gar nicht so einfach. Sie scheint in der ganzen Wohnung verstreut zu sein. Aber ich finde alles und suche dann noch einmal, um nichts zu vergessen. Nur keine Angriffsfläche bieten für Neues, Altes oder Sachen, die irgendwie irgendwem irgendwann wehtun könnten.

Das gleiche Klacken begleitet mich, als sich die Haustüre erneut schließt. Ich bin draußen. Außerhalb des Traums, außerhalb jeglicher Reichweite ihrer Emotionalität. Und der meinigen. Ich steige in den Bus, lasse das Kleingeld in den Schlitz und meinen Körper auf die freie Hinterbank fallen. Es ist bereits hell und ich fühle mich trotz wenig Schlaf frisch für neue Taten. Da macht es auch nichts aus, dass ich zur Arbeit muss. Ich drücke den orangefarbenen Knopf, damit der Bus mich an meiner Haltestelle hinauslässt, steige die drei Stufen hinab und springe auf den Gehsteig. Die Luft ist frisch, noch immer. In ein paar Stunden wird es so warm und flirrend sein, dass es beinahe schon unerträglich ist. Ich gehe die paar Meter zum Haus meiner Eltern, öffne die Gartentüre und hole mein Moped. Alles ganz leise. Es braucht ja niemand zu wissen, dass ich der König der Nacht gewesen bin. Eine Quadra schiebe ich das Moped, ehe ich es starte und Gas gebe. Ich liege gut in der Zeit und werde pünktlich zur Arbeit kommen. Es sind nur wenige Kilometer. Eine halbe Stunde Inspiration.

Ein wahres Farbenspiel! Entlang des Flusslaufes, der jetzt im Sommer noch reicher sprudelt, weil die Quellen in den Bergen durch das Schmelzwasser gut gefüllt sind, geht es an den Weinfeldern vorbei und an den Äckern, die landwirtschaftlich genutzt werden. Ein bisschen Zuckerrohr, ein bisschen Mais. Gelb, grün, gold, rot. Ja, immer wieder das erdige Rot des Bodens, der manchmal rissig ist. Nämlich genau da, wo nicht bewässert werden kann. Die Vögel zwitschern und durchbrechen das Rattern meines Motors. Aus dem Augenwinkel sehe ich den Fahrradfahrer. Aber zu spät! Wir prallen aufeinander oder besser gesagt, er fährt mir direkt vor den Vorderreifen, der sein Rad spielend zusammenfalten lässt. Ich höre noch das Brechen von Knochen und mein rotes Hemd ist röter als zuvor.

Während ich dem Boden entgegen segele, merke ich, wie meine Kniescheibe aus den Angeln gehoben wird. Nichts Ernstes, ein paar kleinere Schürfwunden am Schenkel und das Knie. Ich kann noch gehen. Der Motor rattert, das Moped liegt neben mir auf der Seite. Es fehlt ihm aber nichts. Ein Kratzer ist drin. Vernachlässigbar. Als ich zu dem Radfahrer hinüber schreite, sehe ich schon die größer werdende rote Lache unter ihm. Er bewegt sich nicht. Ich zupfe ihn an der Schulter, die noch nicht vom Blut besudelt ist. Keine Reaktion. Mir wird kalt. Ich schreie ihn an, aber es kommt keine Reaktion. Ich kann noch nicht einmal feststellen, ob der Kerl atmet. Das Hinterrad ist eingedrückt, der Rest sieht gut aus. Auch der Rahmen hat eine leichte rosé Färbung abbekommen. Es riecht nach Metall. Und Erde. Ich drehe Alvaro auf den Rücken. Sein Gesicht ist fahl und der Lenker hat ihm ein kleines Loch in den Bauch gerissen, das nun sein T-Shirt voll saugt. Er sieht friedlich aus, wenn er so dasitzt. Das Gezwitscher der Vögel ist verstummt. Dafür höre ich jetzt wieder meinen Motor. Ich setze Alvaro auf, tätschle sein Gesicht, aber er mag nicht aufwachen. Ich schreie ihn ein letztes Mal an, ehe ich im auf die Beine helfe. Ich nehme seinen rechten Arm und hänge mir seinen jungen Körper zur Hälfte über meine Schulter und schleife ihn zu meinem Moped. Es geht so gerade mit ihm und ich muss ihn von meiner rechten auf die linke Schulter umpositionieren, um den Gashebel am Motorrad betätigen zu können. Fünfhundert Meter weiter unten ist eine kleine Mulde unweit des Weges. Es ist anstrengend, weil ich aufpassen muss, dass der träge Körper nicht herunterfällt und mir das ganze Moped verschmiert. Ich lasse Alvaro von meiner Schulter rutschen. Eigentlich hab ich nur seinen Arm losgelassen und er fällt rücklings vom Gepäckträger. Aufgewacht ist er noch immer nicht. Ich fühle mich klamm. Ich trage Alvaro zu seiner Kuhle. Er ist jetzt schwerer als zuvor. Dann fahre ich noch einmal zurück und hole das Rad. Das ist einfacher, weil ich es nur ein bisschen anheben brauche und schon fährt es mit. Eines der Räder ist noch vollkommen intakt.

Alvaro schläft in der Mulde. Sein Gesicht ist ausdruckslos. Ich schreie ihn an. Ich schüttle ihn. Den Puls kann ich nicht feststellen. Also schiebe ich sein Rad mit hinunter in die Mulde. Beide liegen jetzt da unten. Ganz ruhig. Ich wanke zurück zum Moped, schalte den Motor ab. Ich ziehe mein Hemd aus und trenne einen Ärmel ab, den ich anschließend in den Tank hänge und mit dem Benzingemisch tränke bis er ganz schwer ist und tropft. Der Weg zur Mulde wird länger, als ich dachte, aber ich komme an und streiche das Gemisch über Alvaros Körper und sein Fahrrad. Wringe den Lappen aus und gehe erneut zum Moped um diese Prozedur zu wiederholen. Dann umwickle ich Alvaro mit meinem Ärmel und entzünde ein Streichholz. Mir wird wieder wärmer jetzt, als die Flammen nach oben schießen. Es knistert. Ich mag Feuer.

Wie lange ich da geblieben bin? Ich kann es nicht sagen. Vielleicht zehn Minuten. Ein bisschen zu spät komme ich zur Arbeit, aber das ist egal. Es hat auch niemand gefragt. Und ein neues Hemd hab ich auch noch in meinem Spind, so dass ich nicht direkt verdreckt unter der immer heißer werdenden Sonne arbeiten muss.

Text: Andreas Dauerer