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[kol_1] Macht Laune: Tanzen im Land der langen Fischmesser
Forró und São João in Campina Grande

In der Luft liegt ein Hauch von Parfum, vielleicht von Lampião, dem König der Banditen... Dort, wo man Probleme mit einem langen Fischmesser löst (man erinnere sich einfach einmal an die Technik, das Messer am Hals anzusetzen und durch die Schulter hinunter zu stoßen, bis es in der Leistengegend wieder heraustritt…), wird auch ähnlich heftig getanzt. Und zwar Forró, was sonst.

Campina Grande, das "Tor zum Sertão von Paraíba, ist in Feststimmung. Es ist São João, der Johannistag, und der São João von Campina Grande gilt als der größte und beste ganz Brasiliens. Wenigstens sagen das die Leute aus Campina Grande.


Der "Parque do Povo", der Volkspark, quillt an diesem 23. Juni über vor Menschen. Während der Junifeiern kommen hier täglich zwischen 60.000 und 80.000 zusammen. In dieser Nacht, am Vorabend des São João, liegen schwere Rauchwolken über der Stadt. Überall lodern die Feuer; eine alte christliche Tradition, die ihren Ursprung in den Feuern der heidnischen Sommersonnenwende Europas hat, wo man heute den längsten Tag des Jahres feiert.

Zu den Klängen des traditionellsten Forró des brasilianischen Nordostens, dem so genannten "Forro Pé de Serra", und angeheitert von dem wunderbaren Cachaça aus Paraíba, lässt das Volk die Hüften kreisen. "Zwei Schritte nach dort, zwei hierher - das ist das ganze Geheimnis für alle die, die nicht Forró tanzen können", erklärt die Morena mit den wasserblauen Augen. "Den Rest lernt man während des Tanzens", fügt sie hinzu. Sie selbst tanzt ausschließlich mit ihrem Freund... Und der macht sich nicht einmal besonders viel aus Tanzen, macht nur mit, um ihr einen Gefallen zu tun, wie er später zugibt.


Nachdem die Engländer Mitte des letzten Jahrhunderts begannen, Baumwolle aus Indien zu importieren, brach die traditionelle Baumwollindustrie der Region um Campina Grande zusammen. Viele Jahre lang stagnierte die Wirtschaft, während sich gut ein halbes Dutzend Universitäten hier ansiedelten. Seitdem ist Campina Grande eine der besten Adressen für Studenten des Nordostens.

Vor etwa zwanzig Jahren dann hatte man in der Stadt die brillante Idee, Campina in DAS Zentrum der São João Feierlichkeiten im Nordosten zu verwandeln. Mit Erfolg - gut 1,2 Millionen Menschen nehmen an den Junifesten teil, tanzen im "Parque do Povo", besuchen das "Sítio São João", den originalgetreuen Nachbau einer Kleinstadt des Sertão und kaufen Handwerkskunst im "Pavilhão de artesanato da Paraíba".


Und selbst die hart getroffene Baumwollindustrie hat neue Hoffnung geschöpft: die naturbunte Baumwolle, die in immer neuen Farben auf den Markt kommt. Bisher sind es schon vier Farben und weitere stehen in den Startlöchern. Und alles 100% natürlich. Dank einer genetischen Mutation, die man früher als Defekt ansah und aussortierte, gibt es jetzt traumhaft schöne Hängematten in den verschiedensten Farbmustern, sowie traditionelle Decken und Kleider mit regionalen Strickborden.

Derweil führen die alteingesessenen Tanzgruppen ihre Reigen im Volkspark auf, die Forró-Bands spielen ihren Pé de Serra auf den drei ursprünglichen Instrumenten, der Sanfona, einer abgewandelten Ziehharmonika, der Triangel und der Zabumba-Trommel. Und ein jeder kaut auf einem queijo coalho herum, einem über der Glut leicht gebräunten weißen Käse. Nicht einmal der beharrlich fallende Regen schafft es, die allgemeine Freude zu verderben. Nur die Johannisfeuer löscht der Nieselregen allmählich.


Plötzlich ist sie wieder da, die pure Luft des Sertão. Zurückgekehrt ist sie in die Stadt. "Am Ende dieser Straße", erklärt ein Freund und zeigt auf den dunklen Horizont, "beginnt der Sertão."

Text + Fotos: Thomas Milz