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[art_3] Argentinien: Nur gemeinsam sind die Kleinen stark
Vom Zusammenschluss argentinischer Kleinbauern zu La Riojana
 
Kleinbauern in Argentinien haben sich erfolgreich zu der Kooperative La Riojana zusammen geschlossen und sind inzwischen erfolgreiche Weinexporteure. Gemeinsam mit der Gepa sichern sie nun die Zukunft für kommende Generationen.

Luis Montilla könnte auch die Aussicht auf die phantastisch schönen Berge genießen. Doch für den Weinbauern ist etwas anderes viel wichtiger: Die Reihe von Körben voller roter Trauben, die die Arbeiter einen nach dem anderen auf die Ladefläche des klapprigen Lastwagens kippen. Das Hochgefühl, eine gute Ernte einzubringen, erfüllt den Weinbauern nur kurze Zeit, gerade mal einen Tag dauert es, bis sein Hektar abgeerntet ist. Ein Hektar Wein – das ist im Vergleich zu den Flächen, auf denen in Argentinien üblicherweise Trauben angebaut werden, geradezu lächerlich. Dass es dieses winzige Weingut trotzdem gibt, hat eine Geschichte: die der Kooperative La Riojana. Luis Montillas Vater war einer derjenigen, die die Kooperative 1940 mit begründeten. Damals wie heute war und ist es für kleine Weinbauern fast unmöglich, auf sich selbst gestellt zu überleben. "Große Weingüter haben ihre eigenen Verarbeitungsanlage, ihre eigenen Vertriebswege. Ein Kleinbauer hat nichts davon", meint Montilla und drückt einem der Erntehelfer, der gerade wieder einen Korb gebracht hat, einen Chip in die Hand. Wie überall auf der Welt in den Weinbaugebieten werden auch hier die Erntehelfer nach Mengen bezahlt. "Mein Vater und seine Genossen erkannten, dass sie sich zusammen schließen mussten, um mit den Großbauern mithalten zu können", fährt der 68jährige fort. "Ohne die Gemeinschaft mit anderen Kleinbauern hätten wir mit unseren paar Tonnen Trauben keinen Zugang zum Markt und müssten unsere Ernte unter Wert an große Produzenten verkaufen." Der Faire Handel spielt dabei für Luis Montilla eine Schlüsselrolle. "Es gibt zu viel Wein in Argentinien und es ist oft schwierig, einen Markt dafür zu finden. Der Faire Handel garantiert uns einen sicheren Absatzmarkt. Das ist fast noch wichtiger, als dass wir 20 Prozent mehr für unsere Ernte bekommen."

Was als kleine Kooperative im trockenen Nordwesten Argentiniens begann, ist heute einer der größten Weinexporteure des Landes. La Riojana ist Hauptarbeitgeber in dem Städtchen Chilesito, einer Gegend, in der sonst außer Oliven nichts wächst und es keinerlei Industrie gibt. Die wenigsten der rund 500 Genossen würden mit ihren kleinen Anbauflächen heute noch Wein anbauen, wenn sie nicht gemeinsam die Kellerei betreiben würden. Der Betrieb ist professionell organisiert, mit Abfüllanlage, Labor und Marketingabteilung. Ungewöhnlich für eine Kooperative sind die beiden Kollektivfarmen – große Weingüter, die den Genossen gemeinschaftlich gehören und jedem Mitglied ein zusätzliches Einkommen einbringen. Als Kooperative und soziales Unternehmen fühlt sich La Riojana nicht nur seinen Mitgliedern sondern auch den Arbeitern auf den Kollektivfarmen verpflichtet. "Ich bin seit 17 Jahren bei La Riojana", erzählt Reni Garcia und fährt fort "ich wäre bestimmt nicht schon so lange geblieben, wenn das nicht so ein guter Arbeitgeber wäre". Dann zählt der 39jährige auf, was er alles an der Kooperative schätzt: Die Kinder der Festangestellten erhalten Schulmaterialien, es gibt Universitätsstipendien und für Notfälle Zugang zu Mikrokrediten. "So etwas bietet hier sonst kein Arbeitgeber!". Mario Gonzales, der Präsident von La Riojana, hört still zu und nickt. Dann schaltet er sich ein. "Das sind alles Dinge, die wir einführen konnten, seitdem wir mit dem Fairen Handel zusammen arbeiten. Die Prämie erlaubt es uns, solche Projekte umzusetzen." Als nächstes ist ein Gesundheitszentrum für Mitglieder und Arbeiter geplant. "Bildung und Gesundheit, das sind für uns die beiden wichtigsten Säulen für eine gerechte Gesellschaft."

Als Betrieb, in dem zur Erntezeit viele zusätzliche Helfer gebraucht werden, beschäftigt La Riojana jedes Jahr zudem rund 350 Wanderarbeiter. Ricardo Scosiz ist einer von ihnen. Das ganze Jahr über reist er durch das riesige Argentinien, denn irgendwo ist immer gerade Erntesaison, seien es Äpfel im kühlen Süden, Zitrusfrüchte im tropischen Norden oder eben Wein in der nördlichen Bergregion. La Riojana ist jedes Jahr fester Bestandteil seiner Tour. "Ich kenne sehr viele Farmen und Plantagen und habe gute Vergleichsmöglichkeiten. La Riojana ist einer der besten Arbeitgeber." Der 43jährige macht eine kurze Pause um einen Löffel voll dicker Suppe zu nehmen. "Wir bekommen Verträge, Unterkunft und Mahlzeiten müssen nicht bezahlt werden. Das Beste ist, dass es eine zentrale Küche gibt und wir uns nicht selber um die Zubereitung des Essens kümmern müssen. So bleibt Zeit, um nach der schweren Arbeit richtig auszuruhen." Auch mit der Bezahlung ist Ricardo Scosiz zufrieden. "Die Arbeit ist so organisiert, dass weite Wege mit den schweren Körben wegfallen. Das macht sie weniger anstrengend und wir können mehr pro Tag ernten als anderswo – das steigert unseren Verdienst." So kommt er statt auf die sonst üblichen 25 Euro auf bis zu 35 Euro pro Tag.

Das alles klingt idyllisch und nach heiler Welt – doch weit gefehlt, La Riojana und seine Mitglieder stehen vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Die schwierigste ist der Klimawandel. Luis Montilla hat sofort ein plastisches Beispiel parat: "Vor zwei Wochen hatten wir Regen. Kurz vor der Erntezeit! So etwas gab es früher nie!" Zuviel Regen schadet den Trauben, sie brauchen so viel Sonne wie möglich um ihre besondere Süße und damit Qualität zu entwickeln. Noch schlimmer als Regen zur Unzeit ist Hagel. Ein einziger Sturm kann die Ernte eines ganzen Jahres in wenigen Stunden zerstören. "Glücklicherweise haben wir dagegen Dank dem Fairen Handel eine Versicherung. Wenn der Hagel die Trauben zerschlägt, bekommen wird sie von La Riojana trotzdem bezahlt". Eine solche Versicherung wäre auf dem freien Markt unbezahlbar und für den Kleinbauern ist sie ein zusätzlicher Grund, seiner Kooperative treu zu bleiben.

Neben dem unberechenbar gewordenen Wetter macht noch etwas anderes Sorgen: Die Altersstruktur der Mitglieder. Luis Montillo ist mit seinen 68 Jahren nur eines von vielen Mitgliedern, das sich demnächst auf sein Altenteil zurückziehen wird. Sein Fall ist typisch: Sein Vater teilte sein damals schon kleines Stück Land zwischen den Kindern auf. Um es unter der nächsten Generation erneut aufzuteilen, ist es zu klein, die drei Kinder von Luis Montillo sind deshalb in die Städte abgewandert. Um den Kindern ihrer Mitglieder eine Zukunft in ihrer Heimat zu bieten und die Landflucht einzudämmen, hat La Riojana ein Programm aufgelegt: "Jedem Kind unserer Mitglieder, das sich dazu entschließt, Weinbauer zu werden, stellen wir zehn Hektar Land zur Verfügung. Dieses Land wird dann nach und nach mit der Ernte abbezahlt", erklärt Präsident Mario Gonzales. Er ist zuversichtlich, so den Altersdurchschnitt seiner Mitglieder senken und die Kooperative zukunftsfähig machen zu können.

Um für die Zukunft gerüstet zu sein, gibt es noch ein weiteres Projekt: Den Bioanbau. Nirgendwo sonst ist die Zusammenarbeit zwischen La Riojana und der Gepa enger. Die Pläne sind ehrgeizig. "Wir wollen ein ganzes Dorf zu Biobauern machen", erläutert der Präsident. Dazu gibt es Schulungen für die Genossen, finanziert durch eine Extraprämie der Gepa. "Viele der Bauern erfüllen bereits weitgehend die Biokriterien, da müssen nur noch Kleinigkeiten angepasst werden." Bei Luis Montilla könnten die Prüfer schon jetzt jederzeit vorbei kommen. "Ich wohne direkt neben meinem Feld und wollte keine Chemie mehr um mich herum haben", erzählt er. In den vergangenen sechs Jahren hat er nach und nach alle Reben ausgetauscht, keine seiner Trauben ist auch nur mittelbar mit Pestiziden in Berührung gekommen. "Das war teuer", meint er "aber so ist es gesünder und außerdem gebe ich jetzt kein Geld mehr für Pestizide aus". Was noch fehlt, ist die Zertifizierung. "Die kostet Geld und rechnet sich nur, wenn auch die Genossen zertifiziert sind und wir dann gemeinsam einen höheren Preis für unseren Biowein bekommen."

Der Erntetag neigt sich dem Ende zu. Glutrot geht die Sonne über den schroffen Felsen, die Luis Montillas Tal einrahmen, unter. Der klapprige Lastwagen heult laut auf, als er sich in Richtung Kellerei von La Riojana in Bewegung setzt. "Ach ja", schiebt der Weinbauer noch hinterher "das hätte ich fast vergessen: der Transport ist für uns kostenlos, ich muss mir also nie Sorgen machen, wie ich die Ernte vom Feld kriege". Noch so ein Punkt, der für einen Kleinbauern in Argentinien keine Selbstverständlichkeit ist und Luis Montilla dafür dankbar sein lässt, Teil einer solidarischen Gemeinschaft zu sein.

Text: Katharina Nickoleit

Weitere Informationen über die Autorin findet ihr unter:
www.katharina-nickoleit.de

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