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[kol_2] Macht Laune: Los Tipitos im Teatro Opera

Früher war alles anders. Nun, zweifelsohne gibt es bessere Einstiege für einen Artikel über argentinische Rockmusik, aber es hat sich einiges geändert in der argentinischen Hauptstadt. Konzerte sind rar geworden in der Ära Post Cromañon, jenem traurigen Ereignis, bei dem während eines Konzerts fast 200 Menschen bei lebendigem Leibe verbrannten.

Viele alte Spelunken, in denen früher jeden Tag angesagte nationale Bands spielten, können die harten Auflagen nicht mehr erfüllen und haben dicht gemacht. Zum einen ist das wunderbar, weil die Sicherheit für Bands und Zuhörer enorm gestiegen ist. Zum anderen führt es leider dazu, dass sich die ehemals bewegte Live-Musik-Szene nahezu in Luft aufgelöst hat.

Oder sagen wir besser: nur noch an ausgesuchten Orten ab und an auftritt und sich in ein Korsett zwängen lassen muss. Schafft man es dann aber dennoch in eines dieser Konzerte, wird man selten enttäuscht.

Brilliant: Los Tipitos im Teatro Opera
Manch einer erinnert sich noch an die Clowns und Schausteller am Strand von Villa Gesell, dem kleinen Badeort in der Nähe von Mar de Plata, wo vor allem Einheimische in den Sommermonaten die Sonne genießen.

Genau jene Clowns stehen acht Jahre später auf der Bühne des Teatro Opera vor mir. Für ihre mittlerweile zehnte Platte, Tan Real, haben sie jüngst einen Premio Gardel eingeheimst - gewissermaßen den argentinischen Echo. Und sie werden nimmermüde, das auch auf der Bühne zu zelebrieren: "Wisst Ihr, unser neues Album, das wir heute Abend an dieser Stelle offiziell vorstellen, hat ja diesen Preise gewonnen. Ihr wisst schon, diesen wichtigen...". Ein bisschen Selbstbeweihräucherung und Stolz dürfen natürlich nicht fehlen. Ehre, wem Ehre gebührt.

In jedem Falle haben die vier Herren Raúl, Fede, Walter und Pablo Sinn für gediegenes Ambiente. Im ehrwürdigen Teatro Opera, keinen Steinwurf vom Obelisken entfernt, geben sie die ersten zwei CD-Release-Shows nach der erfolgreichen Verleihung. Oben machen lärmende Teenies Radau, unten in den Plüschsesseln sitzen die etwas gemäßigteren Herrschaften, die jedes Mal vergnügt in die Hände klatschen werden, wenn Fede mal wieder einen gelungen Witz ins Publikum wirft.

Der Stimmung kann die Bestuhlung keinen Abbruch tun, auch wenn erst im zweiten Teil der Show die letzten Hintern sich daraus erhoben haben werden. Das liegt wohl daran, dass zu diesem Zeitpunkt schlichtweg keine freie Sicht mehr nach vorne bestehen wird.

Als ich mich noch umschaue, erlischt mit einem Mal das Licht und die Vier betreten in Anzug und Schlips die Bühne, ehe das erste Lied der Platte Flor Negra durch das Theater schallt. Es ist der Auftakt zu einer gelungen Mischung aus Rock, Pop, Blues und Jazz, der die Leute einfach in seinen Bann zieht und unweigerlich zum Mitmachen animiert.

Wie es sich für eine offizielle CD-Präsentation gehört, werden fast alle 14 Stücke der aktuellen Scheibe zum Besten gegeben. Für ein Klangspektakel der besonderen Art sorgt der Titelsong Tan Real, den wirklich jeder der Zuhörer aus voller Kraft mitsingen und - im oberen Teil - mitkreischen kann. "Lo que más me gusta, de esta vida absurda, es que parece tan real." Man merkt die Ironie, die in den Zeilen mitschwingt. Oft gesellschaftskritisch, aber immer mit dieser Portion Lebenswillen, der den Argentiniern scheinbar allen gemeinsam ist. Natürlich dürfen auch Stücke wie Vívelo, Más alla de los dos, Elegido oder Te Vas nicht fehlen, die im Radio rauf und runter laufen. Komplettiert wird die Set-List vor allem mit Krachern aus den beiden Alben Armando Camaleón und Vintige. Dazu zählen Campanas en la Noche, Brujería, Sabados Blancos oder Silencio ebenso wie Busquenla und Como un dragón.

Die letzte Zugabe wird vom begeisterten Publikum standesgemäß mit mehrminütigem Applaus bedacht. Scheinbar bis die Hände schmerzen, dabei machen die ehemaligen Clowns gar keine Anstalten von der Bühne zu watscheln treten. Ein Teil der Fans drängt an den Ordnern vorbei zur Bühne und bittet um Autogramme oder gemeinsame Schnappschüsse.

Wer aber glaubt, dass den Jungs das ziemlich schnell auf den Geist gehen könnte, der irrt gewaltig. Sie scheinen jede einzelne Sekunde dieses "Hautkontaktes" zu genießen. Da wird man sich wieder bewusst, woher sie kommen, und dass sie es gewohnt sind, mit ihren Zuhörern auf Tuchfühlung zu gehen. Sie zeigen keinerlei Starallüren.

Irgendwann ist schließlich auch das letzte Autogramm geschrieben, die letzte Hand geschüttelt und alle sind glücklich: Die Fans, weil sie ein paar Reminiszenzen mit nach Hause nehmen können und ein formidables Konzert erlebt haben. Und, na klar, die Band, die endlich in eine lauwarme Nacht treten kann, um vielleicht noch das ein oder andere Bier zu kippen. Vielleicht schaffen sie es ja in absehbarer Zeit sogar, einmal deutsches Bier zu verköstigen. Mit Sicherheit würde der Funke auch bei uns überspringen.

Text: Andreas Dauerer
Fotos: amazon.de

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