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[art_1] Spanien: Renaissance-Fassaden, flüsternde Brunnen und Oliven
Zu Besuch in Baeza
 
Wie jedes Jahr besuchte ich im März / April meine Freundin Angélica in Sevilla, um dort die Semana Santa zu erleben. Manchmal haben wir das Wochenende vor der Semana Santa am Strand verbracht, aber dieses Jahr ist die Karwoche sehr früh und das Wetter ungewohnt kalt. Tagsüber ist es in Sevilla maximal 18 Grad, nachts nur 4 bis 5 Grad. An einen Strandausflug ist also nicht zu denken. Deshalb wagen wir das totale Kontrastprogramm nach dem Motto, wenn schon kalt, dann richtig. So brechen wir am Freitagmittag auf in die Berge und wollen im äußersten Nordosten Andalusiens das Renaissance-Städtchen Baeza erkunden.

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Gegen zehn Uhr abends bei Außentemperaturen nahe dem Gefrierpunkt sitzen wir an der Theke des Restautants "La Góndola" an der Plaza Mayor vor einem Tapas-Teller Oliven (die bekommt man hier noch geschenkt) und warten auf den Hauptgang. Zuvor haben wir bereits als Vorspeise eine Spezialität der Region mit dem kuriosen Namen Pipirrana gekostet (ein Salat mit Kabeljau, Zwiebel, Tomaten und reichlich Olivenöl). Baeza liegt inmitten des größten Olivenanbaugebiets der Welt am Rande der Sierra Mágina. Deshalb gibt es hier kaum ein Gericht ohne Olivenöl. Und die Küche ist eher kastilisch als andalusisch, was auch am rauen Klima liegt. So entscheiden wir uns für deftigen Linseneintopf und Ziegenbraten, dem noch winterlichen Wetter angemessen. Baeza liegt über 800 Meter hoch und auf den Berggipfeln ringsumher sind noch reichlich Schneemassen zu erkennen. Der kalte Wind, der von den Bergen herunter weht, lässt die Temperatur noch kälter erscheinen. Erwärmt durch das zünftige Abendmahl mit reichlich Rotwein wagen wir uns um Mitternacht hinaus in die Kälte.

Ein paar Schritte, und schon sind wir in einer anderen Welt. Alle Geräusche des 21. Jahrhunderts wie Autolärm und Handy-Klingeltöne sind verstummt, kein grelles Licht, nur der Fast-Vollmond und Jahrhunderte alte Laternen beleuchten spärlich die engen Gassen des 2003 zum Weltkulturerbe erklärten Baeza.

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Dann stehen wir vor einer der Hauptsehenswürdigkeiten des nordandalusischen Rennaissance-Juwels: dem Palacio de Jabalquinto, heute Sitz der Universidad Internacional de Andalucía. Dieser zwischen 1490 und 1540 errichtete Palast protzt mit einer der spektakulärsten plateresken Fassaden Spaniens. Zwischen kunstvollen Balkonen und arabesk verschnörkelten Gesimsen sieht man von der Alhambra inspirierte Fenster... und darüber krönt eine großzügige Loggia mit Aussichts-Galerie diesen Prachtbau des Architekten Juan Guas. Sehr beeindruckend wirkt dieser Komplex sowohl im Laternenschein als auch bei Sonnenlicht, denn die geschickt gestaltete Fassade mit ihren Wappen, Schnörkeln und Diamantquadern wirft zahlreiche winzige Schattenreflexe und lässt alles dreidimensional und dramatisch wirken. Ein Palast wie ein Paukenschlag.

Wir dringen weiter ein ins dämmrige Gassenlabyrinth von Baeza und sind umgeben von unheimlicher Stille. Welch ein Kontrast zum lärmenden, lebensfrohen Sevilla. In der Tat wirkt Baeza mit seinen aus düsteren Steinquadern erbauten Häusern und Palästen eher kastilisch als andalusisch. Das einzige Geräusch neben dem hallenden Echo unserer Schritte auf dem Kopfsteinpflaster ist das flüsternde Plätschern der Renaissance-Brunnen.

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Inzwischen stehen wir auf der Plaza de Santa María. "Hier ist ja nicht grad viel los...", zu diesem Kommentar lässt sich Angélica, die Quirligkeit Sevillas schon vermissend, nach einem Rundumblick hinreißen. Zu dieser Nachtstunde ist hier keine Menschenseele mehr unterwegs, romantische Wolkenschatten verschleiern den Mond vorübergehend und wenn Caspar David Friedrich Spanien besucht hätte, dann wäre er hier gern länger geblieben.

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Wir nehmen uns Zeit, die Fassade der Kathedrale zu betrachten, die wir am nächsten Morgen besuchen wollen, und sind fasziniert von den Lichtreflexen im monumentalen Marienbrunnen (Fuente de Santa María) und von der schweigenden Einsamkeit. Schließlich treibt uns aber die Kälte der von den Bergen geschickten Windböen ins Bett.

Am Samstagmorgen sind wir früh unterwegs, denn es gibt viel zu entdecken. Leider ist das Wetter zunächst neblig-grau, als wir die mit violetten Teppichen schon für die Semana Santa Prozessionen geschmückte Plaza de España überqueren. Doch als wir die Zypressenallee zur Kathedrale empor gehen, verzieht sich der Morgennebel und Sonnenlicht durchflutet die Gassen. Die düsteren Paläste wirken nun freundlicher und die Details der Reliefs an der Kathedralfassade sind klarer zu erkennen. Baezas Kathedrale Santa María gehört wohl zu den kleinsten in Spanien, ist aber sehr sehenswert. Vom ursprünglichen Bau, der kurz nach der Eroberung durch den kastilischen König Ferdinand III. begonnen wurde, ist kaum noch etwas erhalten. Hauptarchitekt wurde Andrés de Vandelvira (1509 - 1575), einer der genialsten Renaissance-Archtitekten überhaupt. Besonders mit den sehr innovativ gestalteten Gewölben hat er diesem Sakralbau seinen Stempel aufgedrückt. Neben spätgotische Sterngewölbe setzt Vandelvira eines seiner Markenzeichen, die Fächergewölbe, die sich von den Säulen ausgehend entfalten, sowie Mini-Kuppeln mit geometrischen Mustern als Fixpunkte der Hauptgewölbe.

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Der Innenraum überrascht durch klare Gliederung und erstaunliche Helligkeit, hervorgerufen durch die von Vandelvira hoch oben direkt unter die Gewölbe platzierten "Fenster-Trios". Der barocke Hauptaltar ist deutlich weniger kunstvoll als die älteren Renaissance-Altäre in den Seitenkapellen der Kathedrale. Und im rechten Seitenschiff entdeckt Angélica ein schönes Gemälde in einem Stil, der ihr gleich bekannt vorkommt: es ist ein Werk des Sevillaner Barockmalers Juan de Valdés Leal, das Jesus als Kind zwischen Maria und Josef zeigt. An den Seiten erinnern große Altarbühnen mit Skulpturen daran, dass auch in Baeza ab morgen die Semana Santa gefeiert wird. Allerdings reicht die bildhauerische Qualität der Pasos hier bei weitem nicht an das heran, was man aus Sevilla, der Mutter aller Semana Santas, gewohnt ist.

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Bevor wir die Kathedrale verlassen, steigen wir noch die Wendeltreppe zum Turm hinauf, um die Aussicht zu genießen. Endlos erstrecken sich die Olivenhaine bis zum Horizont, wo der Blick an den von Schnee bedeckten Gipfeln der Sierra de Cazorla haften bleibt. Dort wo der eisige Wind jetzt Wolkenberge auftürmt, entspringt unterhalb des 2.028 Meter hohen Gipfels Cabañas der Guadalquivir, der durch diese Gegend noch wie ein Bach fließt. Die Weite der Landschaft erinnert uns daran, dass wir uns hier in einer der einsamsten und am dünnsten besiedelten Regionen Europas befinden.

Viele Dichter haben diese Einsamkeit im äußersten Nordosten Andalusiens bewusst gesucht. Bereits der Renaissance-Dichter Jorge Manrique verbrachte einen Teil seines Lebens in Baeza. Und im 20. Jahrhundert war es vor allem der große Sevillaner Dichter Antonio Machado, der hier als Universitätslektor eine Zuflucht fand, bevor er nach seiner Flucht vor Francos Truppen 1939 in einem Flüchtlingslager in Südfrankreich starb. In der Universität gibt es in der "Aula Antonio Machado" ein kleines dem Dichter gewidmetes Museum. Durch besondere architektonische Harmonie zeichnet sich der Renaissance-Patio der Universität aus. In einem Nebengebäude der Universität besuchen wir zum Abschluss die Sonderausstellung "La Misericordia de Dios llena Baeza", die preisgekrönte Fotos der Semana Santa Prozessionen Baezas zeigt.

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Durch den mit violetten Tüchern drapierten Prozessionsweg für die morgen beginnende Semana Santa verlassen wir Baeza bei plötzlich einsetzendem Nieselregen und kehren dorthin zurück, wo die Semana Santa erfunden wurde und wo sie immer noch am eindrucksvollsten ist: nach Sevilla.

Text + Fotos: Berthold Volberg

Tipps und Links:
Unterkunft in Baeza:
Hotel TRH Baeza, Adresse: Calle Concepción, 3, 23440 Baeza, Jaén, Spanien
Telefon:+34 953 74 81 30
http://www.trhbaeza.com

Vier-Sterne-Hotel in bester Lage nur einen Steinwurf von der Plaza de España entfernt, Renaissance ist an diesem Hotel allerdings nur noch der Patio, der Rest ist derart entkernt, dass hier eher das 20. Jahrhundert dominiert. Die Zimmer sind ok, Frühstück ist dem Preis jedoch nicht angemessen und das Frühstücks-Buffet wird bei großem Andrang kaum nachgefüllt. Daher besser Übernachtung ohne Frühstück wählen.

Gastronomie in Baeza:
Entlang der Arkaden an der Plaza de la Constitución gibt es viele gute Restaurants / Tapas-Bars, u.a. "Los Arcos" und "La Góndola", Paseo de los Portales Carbonería, 13, Telefon:+34 953 74 29 84
http://www.asadorlagondola.com/

Deftige Gerichte der Region wie von Fleisch dominierte Eintöpfe, Lamm- oder Ziegenbraten, Rebhuhn und Wild sind typisch.

Einkaufs-Tipp:
Auf jeden Fall  Olivenöl aus der Sierra Mágina einkaufen, z.B. das besonders fruchtige der Marke "Señorío de Mesía" (cosecha temprana), ca. 10 Euro.
Erhältlich im Delikatessengeschäft "Tierra del Aceite", Paseo Portales Carbonería, 4 (neben der Touristeninformation)

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