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[kol_2] Grenzfall: Freitodblocker Gazpacho
 
Bartólo, Mitglied der Macarena-Bruderschaft in Sevilla, hat einmal gesagt: Gazpacho hat schon manch einen vor dem Suizid bewahrt.

Was ist dran an der Aussage des katholischen Köln-Andalusiers? Nähern wir uns der kühlen aromatischen Suppe aus dem Süden Spaniens – ich würde ansetzen – über die Jahreszeiten. Schon der Blick auf den Namen verrät uns geschwind, im Gegensatz zu fast allen anderen Speisen sind im Gazpacho alle vier Jahreszeiten vetreten: GA-Z-PA-CHO.

Der Frühling bläst uns den Muff aus der Poofe, haucht der Matratze Leben ein und macht uns completamente GA-GA. Von den drei Haupt-Ingredienzien ist es die Gurke, die Gazpacho zum Lebenselixier der frühen Zeit avancieren lässt. Mit den ersten Sonnenstrahlen wird man sich der eigenen körperlichen Gebrechlichkeit bewusst. Böse trifft UV auf weiß Aufgedunsenes. Ungläubig und angewidert beäugt man das eigene Spiegel-Ich aus den Augenwinkeln heraus. – Fasst euch ein Herz! Zurück ins Leben mit Gurke!

Die Allrounderin Gurke entgiftet, entschlackt, reinigt Blut und Seele und senkt den Blutzucker. Boooh! Aber damit nicht genug, denn sie erfrischt das Gesicht. Die zwangsläufig nach einem harten Winter nicht ganz reinliche Haut, zudem gefordert von dem ersten Sonnenbad, wird dir die Gurkenmaske danken. Es muss nicht die ganze Gurke ins Gazpacho. Gönne dir die Musepause, mit Scheibchen belegt, dem Nichts zu frönen. Und dich dann erst dem Z zuzuwenden.

Endlich Zommer! Zuckersüße Nächte mit zärtlich zickigen Zoten und Zöglingen. Der Sommer ist die große Zeit der Tomate. Im Sommer schmeckt die Tomate noch nach Tomate, sind endlich auch die heimischen Sorten gereift. Nie sah die Menschheit vergleichbare dreizehn Vitamine und siebzehn Mineralstoffe in einer dermaßen formvollendeten, von verlangendem Duft umgarnten, Schönheit vereint. Und von welch unschätzbarem Wert erst ist ihr gesundheitförderliches Zusammenspiel von Karotenoiden, Polyphenolen und Vitaminen, die die Störenfriede des Herz-Kreislauf-Systems eliminieren und das Wachsen von Krebszellen verhindern. Die Tomate steht für die sommerliche Frische des Gazpachos, das an besonders heißen Tagen bis nahe an den Gefrierpunkt heruntergekühlt serviert werden darf.

Wenn die Nächte kühler und die Tage – Oh Himmel schreiende Ungerechtigkeit! – kürzer werden, verleiht ein Herbstgemüse dem Gazpacho seinen unbedingten Stellenwert zur Jahreszeit der steigenden Suizidrate. PA-prika! Eine alte Bekannte der Tomate, mit der sie gemeinsam in der frühen Neuzeit aus Südamerika nach Europa segelte. Die Paprika ist federführend in den beeindruckenden Zahlenwerten ihren Vitamin-C-Gehalt betreffend: 100 Gramm Paprika enthalten 140 Milligramm Vitamin-C! Auf natürliche Weise lässt sich so der durch ausbleibende Sonneinstrahlungszeit reduzierte Energiehaushalt ausgleichen. Und dann beinhaltet die Paprika – nehmt für Gazpacho aufgrund der gefälligeren Farbe der Gesamtkomposition die roten – reichlich Kalium, Magnesium, Eisen und Kalzium. Sie stärkt die Knochen, schmiert die Gelenke, erleichtert die Verdauung. Einen Guten!

Der Winter bringt Schneematsch, Grauröckchen, Dunkelheit, fiese Stimmung und – Oh große Not! – Gazpacho hat nur drei Hauptzutaten. Gurke, Tomate und Paprika bereits verbucht für Frühling, Sommer und Herbst. Da ist guter Rat teuer. Befragen wir den Meister, den Koch der Köche. Den einzigen Gourmetbezirzer in Europa mit vier Sternen. Pan-CHO hilf!

Ich helfe! Halten wir es mit der traditionellen chinesischen Medizin und erhöhen gegen die Kälte des Winters den Anteil der eigentlichen Nebeningredienzien, Knoblauch und Chili. Dies wärmt das Herz und steigert noch einmal den erkältungsblockenden Vitamin-C-Gehalt des Gazpachos, der bei Zimmertemperatur seinen vollen Geschmack entfaltet. Und bedenke, mehr Chili verursacht mehr Schmerzen. Nicht übertreiben, aber auch nicht zu zimperlich mit den Schoten. Der Schmerz signalisiert dem Hirn, tu was, es brennt! Und das Hirn produziert Endorphine, die nicht nur den Mund entlasten, sondern Glücksgefühle hervorrufen und so der Winterdepression entgegentreten.

Almodóvar, Filmemacher aus Sevilla, hat Gazpacho zum Giftträger erkoren und eine Handvoll polizistenimitierende Schauspieler vorübergehend in den ewigen Schlaf gleiten lassen. Bartólo, unser katholischer, wenig suizidgefährdeter Freund, liebt Almodóvar. In Anlehnung an das Giftgebräu Almodóvars hat Bartólo vor vielen Jahren das ganzjährig Wohl über Geist und Gesundheit bringende Gazpacho in Rezeptform im caiman veröffentlicht und so die gesamte Redaktion vor dem Freitod bewahrt.

Zum Rezept: Gazpacho von vor Jahren

Text + Fotos: Dirk Klaiber

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