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[art_3] Brasilien: Tochter, Mutter, Oma und Hure
Das bewegte Leben der Gabriela Leite
 
"Alles erscheint waghalsig demjenigen, der sich nichts traut." (Fernando Pessoa)

Tagsüber Büroarbeit, abends die Uni, Philosophie. São Paulo Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre, einer Zeit des Aufbruchs, der freien Liebe mitten im Grau der Militärdiktatur. Für Gabriela ist das traditionelle Leben zwischen Arbeit und Studium nicht spannend genug. Sie will etwas Neues kennen lernen, das Leben und sich selber.

Sie entscheidet sich Prostituierte zu werden. Zuerst im "Boca do Luxo", dem schicken Prostituiertenviertel São Paulos, dann in Belo Horizonte und später in Rio de Janeiro.

Hier wird sie zur wichtigsten Aktivistin für die Rechte der Prostituierten, gründet die NGO Davida, die sich um das Wohlergehen der Prostituierten kümmert. Sie findet den Mann ihrer Träume und gründet mit ihm das Prostituierten-Modelabel DASPU, was ihr weltweites Aufsehen und Schlagzeilen garantiert.

Heute, mit 57 Jahren und nach 30 Jahren Arbeit als Prostituierte, blickt sie auf ihr bewegtes Leben zurück - in Form ihrer Autobiographie "Filha, mãe, avó e puta" (Tochter, Mutter, Oma und Hure). Inmitten ihrer landesweiten Tour durch TV-Programme, Zeitungen und Magazine haben wir Gabriela in São Paulo getroffen.

Interview mit Gabriela Leite
Tochter, Mutter, Oma und Hure - Warum diese Reihenfolge im Titel?
Gabriela: Weil ich Tochter bin, daneben noch Mutter und Oma - und dazu auch noch Hure. Die Leute können sich einfach nicht vorstellen, dass eine Prostituierte all das sein kann. Und deshalb wollte ich das unterstreichen. 

Und alle diese Lebensabschnitte sind gleichwertig?
Gabriela: Alle sind mir gleich wichtig. 

Hat sich die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Prostituierten verändert?
Gabriela: Es hat sich meiner Meinung nach verbessert. Aber es bleibt natürlich noch viel zu tun. Gestern war ich in Bahia in der Flughafenbücherei. Ich hab die Verkäuferin gefragt, ob sie das Buch von Gabriela Leite habe. Und sie antwortete: "Sie meinen dieses Buch mit dem schmutzigen Namen?" 

Filha, mãe, avó e puta
Gabriela Leite

ISBN 9788573029246
228 páginas
Formato: 16 x 23 cm
Data de Lançamento: 03/04/2009 
R$ 33,90 (preço sugerido)


Ich fragte sie, was denn wohl an dem Titel so schmutzig sei. "Weil das Buch über Huren handelt", antwortete sie. Da habe ich ihr gesagt, dass das mein Buch sei. Da hat sie sich umgedreht und dem Geschäftsführer zugerufen: "Wir müssen unbedingt das Buch von Gabriela Leite ins Programm aufnehmen." Da gibt es also noch einige Vorurteile. 

Morgen zum Beispiel bin ich im Programm von Amaury Jr.; auf der Webseite  ist das Interview mit mir angekündigt - aber den Titel meines Buches haben sie von "Hure" in "Prostituierte" geändert. (lacht) 

Die Leute haben Angst vor dem Namen Puta, Hure. Die Leute, die das Buch hier in der Buchhandlung gekauft haben, verstecken es noch etwas verschämt. Aber es verkauft sich bereits sehr gut. 

Was hat dich bewegt, Dein Leben in ein Buch zu packen?
Gabriela: Ein Freund hat mir mal gesagt, dass alle sozialen Aktivisten Brasiliens eigentlich ihre Geschichte erzählen müssten. Und ich denke, dass dies fundamental ist. Sie alle sollten ihre Geschichte erzählen.

Text + Fotos: Thomas Milz
Foto Thomas und Gabriela: Veloso

Von Thomas Milz ebenfalls erschienen:
DASPU contra Fashion Week 2008
Bunte und schrille Modetage in São Paulo


Wer ein wenig in Gabrielas Buch reinschnuppern will: PDF

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