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[kol_2] Macht Laune: Das Pillenwunder

Manchmal hilft nur noch ein Wunder. Und wer dringend eins braucht, kann sich in der kleinen Kirche in einem Außenbezirk von Guaratinguetá einfach ein kleines graues Tütchen geben lassen. Drinnen findet man einen Zettel mit einem kurzen Gebet. Und drei Papierkügelchen. Damit das Wunder auch funktioniert, muss man zuerst das Gebet sprechen, und dies neun Tage lang. Zusätzlich schluckt man am ersten, fünften und neunten Tag jeweils eines der Papierkügelchen, hier ganz nassforsch auch "Pílula do Frei Galvão" genannt.

Besagter Frei Galvão (1739 bis 1822), ein Franziskanermönch, hatte anno dazumal den Geistesblitz, einem von Schmerzen geschüttelten Jüngling eine kleine Papierkugel zu verabreichen.

Auf dem Papierstück hatte er zuvor die Jungfrau Maria in schriftlicher Form um Beistand gebeten. Rasch wurde der junge Mann schmerzfrei; und auch ein zweiter Test mit einer schwangeren Frau funktionierte perfekt - die befürchteten Komplikationen während der Geburt blieben aus.

Seitdem häufen sich die Nachrichten von wundersamen Heilungen durch des Mönchs Papierkügelchen. Allein im Jahr 2006 wurden sechs Fälle von geheilter Depression gezählt, und in sieben Fälle führten die Pillen dazu, dass Frauen sich endlich ihren lange gehegten Kinderwunsch erfüllen konnten. 27 Personen fanden nach der Einnahme der Pillen einen Job, 28 konnten sich zudem über bestandene Aufnahmeprüfungen freuen.

Aber der hünenhafte Mönch konnte noch viel mehr. Schweben zum Beispiel. Verkündete er Gottes Wort, so begann er sich vom Boden zu erheben, berichteten Zeitzeugen. Zudem soll er nach verbürgten Quellen über die Fähigkeit verfügt haben, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Und in die Zukunft schauen, konnte er auch noch.

Trotz all seiner zu Lebzeiten und posthum vollbrachten Wunder war Frei Galvão jedoch bis vor kurzem lediglich in seiner Heimatregion im Osten des Bundesstaates São Paulo bekannt. Das änderte sich erst nachdem Papst Benedikt XVI. verkündete, ihn zum ersten Heiligen Brasiliens "befördern” zu wollen. Seitdem versammeln sich Tausende an seinem Grab im Kloster Luz in São Paulo.

Und auch in seinem Geburtsstädtchen Guaratinguetá ist seitdem viel los. Zu den Messen in der kleinen, nach ihm benannten Kirche außerhalb der Stadt kommen oft bis zu 15 Reisebusse voller Gläubiger. Und der katholische TV-Sender Canção Nova überträgt die Messe gleich live.

Der bescheidene Kirchenbau ist zum Pflichtprogramm für Religionstouristen geworden, ähnlich wichtig wie der Glaubenspalast im nahen Aparecida, dem meist besuchten Ort der katholischen Welt.

In der Frei Galvão Kirche bekommt man die Papierpillen kostenlos als Willkommengeschenk überreicht. Drei betagte Frauen verbringen ihre Freizeit damit, die Papierstücke zu Kügelchen zu rollen. Den Rest macht der heilige Geist. In dem Souvenirshop am Eingang der Kirche kann man zudem CDs, Büchlein über Frei Galvão, Schlüsselanhänger mit seinem Konterfeit und Postkarten erwerben - oder direkt ein "Kit Milagre", ein "Wunder-Paket für Einsteiger".

Richtig ernst wird es für Frei Galvão am 11. Mai, ab 9.30 Uhr in der Früh, wenn ihn der Papst höchstpersönlich auf dem Marsfeld in São Paulo heilig sprechen wird. Gut eine Million Menschen werden zu der Open-Air-Messe erwartet.

Danach beginnt für den toten Mönch die wirklich große Aufgabe, die katholische Kirche vor dem Ansturm der evangelischen Pfingstkirchen zu schützen. Gut 35 Million Gläubige, so schätzt man, hat Rom in den letzten Jahren an die flotten Prediger verloren. Ein Wunder müsse her, meinen viele, um den Trend zu wenden.


Immerhin ist jetzt der Anfang gemacht. Brasilien hat seinen ersten Heiligen, und man wird sehen, zu welchen zukünftigen Wundern der tote Mönch mit seinen Papierpillen so fähig sein wird. Ob der Papst die Pillen bereits höchstpersönlich ausprobiert hat, ist bisher nicht bekannt.

Text + Fotos: Thomas Milz