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[art_4] Brasilien: Alles ist im Fluss
Die Basilika von Aparecida am Shopping-Center des Glaubens

Eigentlich waren die drei Fischer Domingos Garcia, Filipe Pedroso und João Alves auf reiche Fischbeute aus. Die Ratsherren des Städtchens Guaratinguetá hatten sie beauftragt, den schlammig-braunen Fluss Paraíba do Sul nach vorzeigbarer Nahrung abzusuchen. Immerhin hatte sich mit Dom Pedro de Almeida e Portugal der Gouverneur der vereinigten Kapitanien von São Paulo und Minas Gerais angekündigt. Doch nichts wollte ihnen an diesem Tag ins Netz gehen.


Fast schon wären die drei unverrichteter Dinge umgekehrt, als João Alves plötzlich eine kleine schwarzfarbige Figur aus dem Wasser zog. Nachdem sie den Schlamm abgespült hatten, wurde ihnen klar, was da buchstäblich aus den Fluten aufgetaucht war: eine Statue der Nossa Senhora da Conceição. Jedoch ohne Kopf. Sogleich warf João noch einmal sein Netz aus. Dieses Mal fischte er den fehlenden Kopf aus dem Wasser. Von nun an füllten sich ihre Netze mit Fischen. Immer mehr wurden es, so viele, dass das kleine Fischerboot zu kentern drohte.

Aparecida heißt der Ort der überraschenden Marien-Erscheinung. Seit jenem bemerkenswerten 12. Oktober 1717 ist hier nichts mehr so wie zuvor. Wer mit dem Auto von São Paulo nach Rio de Janeiro über den Dutra-Highway braust, erblickt nach 160 Kilometern zu seiner Linken ein beeindruckendes Bauwerk. Auf einer Anhöhe thront die zweitgrößte Basilika der katholischen Welt, nach dem Petersdom: 18.000 Quadratmeter Grundfläche, angeblich 7 Millionen Pilger pro Jahr, 45.000 Sitz- plus 25.000 Stehplätze.


Mindestens ebenso beeindruckend sind die mondähnlichen Parkplatzflächen rings um das Monumentalbauwerk. Sie bieten Platz für 4.000 Busse und 6.000 Autos. Alles ist bereit, die Pilger zu empfangen. Wie auch das Shopping-Center des Glaubens, direkt vor dem Haupteingang der Basilika. Bereit, die Menschenströme aufzunehmen, die hungrigen Massen zu verköstigen. Die Speisung der 5.000 in der Betonwüste. Im "Maria Madalena Grill" gibt es reichlich Fleisch zu Live-Country-Musik. "Kaufen Sie meine CD, nur 10 Reais! Die ist wirklich schön!", wirbt die Sängerin zwischen den Liedern.

Auf den Straßen der kleinen Stadt reihen sich mit Plastikfolien überspannte Souvenirstände endlos aneinander. Die heiß begehrten Nachbildungen der Statue gibt es in verschiedenen Größen, und für einen kleinen Aufschlag kommt sie auch noch mit einem Mäntelchen daher. Und Krone. Aber die kostet auch noch mal extra. Ein unbeabsichtigter Ratscher mit dem Fingernagel lässt sofort die Farbe abblättern. "Vorsicht, die sind nur aus Gips", mahnt die Verkäuferin. "Da kann man aber einfach mit schwarzer Farbe nachlackiere"

Direkt neben dem Heiligen-Sortiment kann man Büstenhalter und Unterhöschen erstehen. Oder Plastikgewehre Made in China, nachgemachte Fußballtrikots mit "Bavern Munchvev" Aufdruck. Und knallbunte, 50 Zentimeter hohe Schäferhunde, die auf Knopfdruck bellen. Auch der Liebhaber potenter Stereoanlagen fürs Auto findet hier alles, was das Herz begehrt. Ein dichter Strom von Suchenden wälzt sich durch die schmale Gasse zwischen den Ständen.


Es sind mehr Menschen als in der Basilika, wo an diesem Ostersonntag gerade die Mittagsmesse gelesen wird. Doch die Reihen sind recht leer. "Die Leute nutzen das verlängerte Wochenende gerne, um ans Meer zu fahren", weiß die Dame am Infoschalter zu berichten.

Die wenigen, die trotzdem hier sind, recken ihre Hände empor. Autoschlüssel, Handys, Fotos der Familie werden hochgehalten, um den Segen zu empfangen. Der unachtsame Fotograf bekommt ungewollt eine Ladung Weihwasser auf seine Spiegelreflex.

Alles im Fließen begriffen. Sonntagsausflügler statt auf Knien rutschender Pilger. Immer mehr Kirchgänger würde man in Brasilien verlieren, klagen so manche Priester. Individualisierung der Gesellschaft, sagen die einen. Rückzug in das Private, die anderen. Damit meinen beide wohl das Gleiche. Fische kommen aus der Dose, nicht mehr aus dem Fluss.


Vor einigen Jahren zertrümmerte ein Prediger einer evangelischen Freikirche vor laufenden Fernsehkameras eine Aparecida-Nachbildung. Frei machen müsse man sich von den Bildern, sich auf das Wesentliche besinnen. Nächstes Jahr kommt der Papst nach Aparecida. Dann wird die Basilika zum Bersten gefüllt sein. Die Souvenirverkäufer freuen sich jetzt schon darauf. Und die Country-Sängerin wohl auch.

Text + Fotos: Thomas Milz

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