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[art_4] Peru: Tambo Colorado - Erste Begegnung mit den Inkas

Eine gute Stunde landeinwärts von Pisco liegt Tambo Colorado, eine der besterhaltensten "Wachstationen" der Inka und gleichzeitig unser erster Kontakt mit ihrer Kultur.

Sicherlich eine der herausragendsten Errungenschaften der Inkas war ihre staatsweite Kommunikation, die im Wesentlichen aus einem ausgeklügelten Läufersystem bestand. Dieses System funktionierte so gut, dass die Adeligen in Cuzco frischen Fisch essen konnten. Cuzco liegt Luftlinie knapp 400 Kilometer landeinwärts und auf etwas über 3300 Meter über dem Meeresspiegel.

Vielleicht fast noch beeindruckender ist die Tatsache, dass die chasquis, die Läufer also, Nachricht aus dem gesamten Großreich innerhalb einer Woche überbringen konnten. Und das von Quito (Ecuador) bis Santiago in Chile!

Anfangs waren die Tambos sicherlich nicht viel mehr als einfache Wegstationen, an denen die angesehenen chasquis Rast machten und sich von den Strapazen erholen konnten. Aber mit der Zeit entwickelten sie sich zu wichtigen Verwaltungszentren. Tambo Colorado war einer der größeren Tambos und diente unter anderem auch zur Kontrolle der Küstenregion: von Cuzco aus sicherlich kein einfaches Unterfangen.

Den Namen verdankt Tambo Colorado der Farbe seiner Mauern, einem dunklen Rot unter gleißender Sonne. Auf den ersten Blick wirkt die Ruine wenig beeindruckend; sicherlich auch ein Grund dafür, dass wir neben einer Gruppe Schüler die einzigen Besucher sind. Da die Inkas kein besonderes Augenmerk auf Dächer legten, sind nur die Mauern übrig; was der gesamten Anlage ein gewisses Flair von Pompeji verleiht, ohne dass jedoch kunstvolle Mauern sichtbar wären.

Wenn man allerdings dem Auge ein wenig Zeit lässt und geduldig durch die Anlage schlendert, entdeckt man doch eine Menge Sehenswertes.

An der Küste wurde und wird weiterhin viel mit Lehmziegeln gebaut. Die Inkas waren ein Volk, das ursprünglich aus den Bergen kam, wo es zwar wenig Vegetation aber ausreichend Steine gab. So ist auch Tambo Colorado als Steinbau begonnen worden: hier und da sieht man noch die Grundmauern aus herrlich zusammengefügten, enormen Steinblöcken.

Später dann, so scheint es, haben die Inkas wohl den locals recht gegeben, die nicht müde wurden zu betonen, dass ihre Lehmziegel doch auch ganz hübsch und soooo viel einfacher herzustellen seien. Und so erfolgte die Fertigstellung der Anlage mit Lehmziegeln.

Tambo Colorado muss einmal sehr farbig gewesen sein. Überall - vor allem in dem völlig verwinkelten Hauptpalast - sieht man noch Farbreste an den Wänden. Als ich durch einige enge und kleine Türen streife, merke ich, dass die Farbe auch nach 500 Jahren noch nicht ganz trocken ist: an meinem T-Shirt klebt ein bisschen Gelb und ein wenig Rot von den Lehmziegeln.

Auch treffen wir hier bereits auf die typischen Formen der Inka-Architektur: trapezförmige Türen und Fenster vor allem, die erdbebensicher sind. Oder zumindest erdbebensicherer als rechteckige. Zudem sehen wir die typische "gepixelte" Sonne - hier als eine halbe Sonne in Form eines Fensters -, das Zeichen der Inkas.

Nachdem wir einige Zeit durch die verwirrenden Zimmer des Palastes gestreift sind und uns über die Größe oder besser eben Nichtgröße der einzelnen Räume gewundert haben, verlassen wir den Palast und wandern durch den Rest der Anlage.

Der riesige Platz im Zentrum war den offiziellen Zeremonien gewidmet, an die allerdings nur ein kleines Podest am Kopf des Platzes erinnert. Heute wirkt der Platz, ohne die vielen Menschen, die ihn damals wohl bevölkert haben, einfach nur leer und öd. Und von dem Rest der Anlage ist auch nicht viel übrig. Der Tempel ist fast vollständig zerstört, es wird nicht einmal mehr richtig klar, wo er beginnt und wo er endet.

Wir verlassen das Gelände und suchen den angeblich nahegelegenen Friedhof. Ein freundlicher und zahnloser Mann weist uns den Weg "gleich um die Ecke". Entgegen unseren Befürchtungen ist es aber tatsächlich gar nicht so weit. Der Berg, den wir hinauflaufen, ist von einer auffallenden Trockenheit. Hier ist seit Jahrhunderten kein Regentropfen mehr gefallen. Noch dazu haben Wind und Flugsand die Steine scharf geschliffen, so dass eine wirklich unwirtliche Atmosphäre entsteht. Abstoßend und lebensfeindlich sind wohl die richtigen Worte. Man gewinnt den Eindruck, dass die Inka - trotz ihres Mumienkultes - ihre Toten genauso ungern um sich hatten wie wir.

Den Friedhof kann man leicht verpassen. Er liegt, keineswegs gekennzeichnet, am Wegrand und verschwindet, beinahe perfekt getarnt, in dem übrigen Felsgeröll. Nur ein paar Fußspuren in seine Richtung verraten ihn.

Kleine, flache Häuser mit äußerst niedrigem Eingang und mittlerweile eingestürzten Dächern bilden die letzten Ruhestätten. Man läuft auf einem Weg etwas oberhalb der Grabhäuser entlang. Überall - nicht nur in den Häusern - liegen Knochen und Knochenreste. Wir fragen uns, ob das wirklich ein Inkafriedhof sein kann; aber es kann wohl.

Die Unwirtlichkeit des Ortes und seiner Umgebung verstärkt den Eindruck, den der Anblick der offenen Gräber auf mich macht. Ich fühle mich als Voyeur, wo ich als solcher nicht willkommen bin. Die Knochen sollten unberührt und unbesehen verrotten dürfen. Trotzdem beeindruckt mich die Szene so sehr, dass ich vor dem Verlassen noch ein paar Fotos schießen muss. Sie mögen es mir nachsehen.

Text + Fotos: Nil Thraby

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