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[kol_1] Grenzfall: Argentiniens Steaknotstand

Es zischt und brutzelt. Dazu gesellen sich ein wunderbarer Duft und eine unbändige Vorfreude auf ein einfaches, wie leckeres Essen. Etwa zehn Kilo Fleisch liegen auf dem offenen Rost, daneben eine Flasche Wein für den Grillmeister und in der Luft ein derartig verlockender Asado-Geruch, dass es den Pawlow in uns weckt und wir beinahe unweigerlich zu sabbern beginnen. Zumindest im übertragenen Sinne.

Ich erinnere mich gerne an mein letztes argentinisches Asado. Herrlich! Auf einer Insel mitten im Tigredelta mit vielen netten Leuten, wunderbarem Wein und noch wunderbarerem Fleisch begannen wir das Neue Jahr mehr als gebührend. Es sind schöne Erinnerungen und ich hoffe, dass sich diese Erinnerungen wiederholen werden.

So kurz vor meiner Rückkehr nach Buenos Aires im April beschleicht mich jedoch das dumpfe Gefühl, dass ich mein viel geliebtes Steak vielleicht erst wieder in Deutschland beim Argentinier bekommen könnte.

"Käse und Fleisch gibt’s gerade nicht mehr. Vielleicht wird’s ja wieder, wenn Du angekommen bist." Aus dem Munde von Ernesto Contte klingt das geradezu lapidar. Der Wurstverkäufer meines Chinos, so werden die kleinen Supermärkte hier genannt, nimmt es mit argentinischer Gelassenheit. Aber ich traue mich am Telefon gar nicht weiter nachzufragen, weil ich befürchte, dass seine gute Stimmung schlagartig dahin sein könnte, wenn er darüber nachsinnt, dass er die nächsten Tage, ja vielleicht Wochen, sein Steak nicht bekommen wird. Kaum einer in Argentinien will aus eigenen Stücken vegetarisch leben. Umso schlimmer, wenn das dann gezwungener Maßen geschieht.

Turbulente Zeiten sind – mal wieder, möchte man sagen – angebrochen. Etwa 14 Millionen Menschen leben in der Hauptstadt Buenos Aires und fürchten vor allem um ihr geliebtes Fleisch. Sogar Hamsterkäufe soll es schon gegeben haben.

Wie kommt es zu dieser Knappheit im Land der mächtigen Pampa und der herrlichen Steaks?
Die Antwort ist recht einfach und, wer hätte es gedacht, es geht natürlich um das liebe Geld. Ertragreich waren die letzten Jahre für den gesamten Agrarsektor. Denn auch in Übersee ist die Nachfrage nach argentinischem Fleisch enorm. Jetzt will auch die – inzwischen feminine – Kirchner-Regierung in noch höherem Maße profitieren, um, so heißt es im offiziellen Jargon, mit den Mehreinnahmen die Armut des Landes zu mindern. Man darf nicht vergessen, dass knapp die Hälfte der argentinischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt.

Das wiederum ist den Bauern und den vier Agrarverbänden – weitgehend bestehend aus Mittel- und Oberschicht – herzlich egal. Sie wollten nicht auf ihre Mehreinnahmen verzichten und beschlossen kurzerhand, gegen eine Erhöhung der Abgaben auf die Straße zu gehen und den Lebensmittelnachschub zu unterbrechen. Das Wort "Raub" fällt in diesem Zusammenhang besonders häufig. In Buenos Aires selbst äußern sich solche Proteste immer recht lautstark. Cacerolazos nennt man die Demos auf den Straßen, an denen die Demonstranten Kochlöffel auf Töpfe schwingen und das Trommelfell arg malträtieren. Señora Kirchner konnte das in den vergangen Tagen gleich des Öfteren vor ihrem rosaroten Rathaus hören. Verständnis bringt sie für ihre Kritiker aber weniger auf. Sie lasse sich nicht erpressen. Die landesweiten Straßensperren nennt sie "Blockaden des Überflusses", die ganz und gar nicht notwendig seien.

Bei einer erhöhten Nachfrage nach knappen Gütern aber, das wissen auch die Inhaber der Supermärkte, können die Preise schon mal ein bisschen steigen. Bei Fleisch wurde teilweise bis zu 70 Prozent aufgeschlagen, wie mir Ernesto erklärt. Das ist dann selbst den hartgesottenen Fleischfressern ein Dorn im Auge, die es eher verschmerzen können, keine Butter im Regal zu finden.

Verheerende Auswirkungen haben die Straßenblockaden auf andere Sektoren beispielsweise Obst und Gemüse. Am letzten Märzwochenende trafen insgesamt 230 Lkws mit Lebensmitteln auf dem Mercado Central ein. Aufgrund der Blockaden mit erheblicher Verspätung. Kein Wunder also, dass sich der Großteil der Lebensmittel in stark verdorbenem Zustand befand und entsorgt werden musste. Lediglich die Bauern aus dem nahen Umland schaffen es, verderbliche Güter rechtzeitig in die Hauptstadt zu bringen. Tomaten, Zwiebeln und Paprika, um nur einige zu nennen, sind derzeit etwa doppelt so teuer wie bei einer normalen Lebensmittelversorgung aus dem Inland.

Die Fronten der streitenden Parteien scheinen sich unterdessen zu verhärten. Kirchner selbst, als Interessensvertreterin aller Argentinier, hat sich offensichtlich auf eine harte Haltung gegenüber den Bauern eingelassen und wird nicht so schnell davon abrücken. Die Bauern indes fühlen sich durch die rigide Haltung gehörig unter Druck gesetzt und monieren, dass der Staat seine Autorität in zu großem Maße ausnutzt, um ihnen das Leben zu erschweren. Durch das Limitieren der Lebensmittel im ganzen Land zeigen sie jetzt Zähne in der Hoffnung, bei der aufgebrachten Bevölkerung Gehör zu finden.

Wie wohl die ganze Sache ausgehen mag?
Wahrscheinlich äußerst argentinisch: nach dem ersten großen Aufruhr, wo es weniger um Fakten geht, dafür um so mehr um Emotionen, wird man sich irgendwann an einen Tisch setzen und das Problem konstruktiv in Angriff nehmen.


Es wird zu einem Kompromiss kommen – und das hoffentlich schnell. Denn nicht nur die Argentinier werden sich freuen, wenn die Regale wieder gefüllt sind, sondern auch ich.

Text: Andreas Dauerer

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