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[art_3] Brasilien: ...und der Bossa Nova?
Interview mit Paulo Dáfilin

Im brasilianischen Winter des Jahres 1958 tauchte eine neue musikalische Welle am Horizont auf: der Bossa Nova. Laut dem Schriftsteller Ruy Castro wurde der Bossa Nova in Ipanema geboren, jenem schicken und mondänen Stadtteil im Süden von Rio de Janeiro. Denn alle für die Entstehung jenes Phänomens wichtigen Personen lebten in den 50er Jahren in jenem charmanten Viertel.

Sänger, Gitarist, Komponist
und Musikproduzent Paulo Dáfilin


Es waren die jungen Leute der Mittel- und oberen Mittelschicht, die es sich am sonnendurchfluteten Strand von Ipanema gut gehen ließen; inklusive Gitarrengeklampfe mit Jazzelementen. Es waren die "goldenen Jahre Rio de Janeiros" - Ende der 50er und Beginn der 60er - bevor der Militärputsch von 1964 die Party beendete.

Die Musik von João Gilberto, Tom Jobim, Ronaldo Bôscoli und Luiz Bonfá mit ihrem typischen Sound aus Gitarre, Schlagzeug und Klavier wurde weltweit bekannt. "Chega de saudade", "Desafinado", "Samba de uma nota só" und vor allem "Garota de Ipanema" verbreiten noch heute ihre einzigartige Mischung aus Melancholie und Freude in den Bars der ganzen Welt. Manch einer sagt, dass die Herrschaft des Bossa Nova nur von kurzer Dauer war und Mitte der 60er Jahre bereits endete. Ob das wohl wahr ist? Denn nie zuvor wurden so viele CDs mit Bossamusik verkauft wie in den zurückliegenden fünfzehn Jahren.



Interview mit Paulo (Paulinho) Dáfilin

Was war der Beitrag des Bossa Nova zur brasilianischen Musik?
Der größte Beitrag des Bossa Nova zur brasilianischen Musik liegt im Bereich der Harmonie. Der Bossa brachte die Jazzelemente - obwohl viele das Gegenteil behaupten. Aber Fakt ist, dass der Bossa den Jazz in die brasilianische Musik integrierte und das Ganze mit Samba kombinierte. Es waren junge Leute aus der Mittel- und Oberschicht, die begannen, Samba mit Jazzharmonien zu spielen. Danach hat man sich gegenseitig beeinflusst, und so beeinflusste auch der Bossa den Jazz.

Was war geschehen? Damals gab es bereits den Bebop mit seinen gesanglosen Improvisationen.

Die Melodien des Bossa hatten hier einen starken Einfluss und den Leuten gefiel es. Da gab es Melodien mit jenen angejazzten Harmonien, und die Melodien waren ruhig und man konnte sie mit Gesang begleiten.

Deshalb nahmen viele US-amerikanische Musiker Bossalieder auf - sie identifizierten sich mit jenen ruhigen und prägnanten Rhythmen, die es so im Bebop nicht gab.

Für die brasilianische Musik war der Bossa einer von vielen Momenten. Und in Brasilien kann man das Gitarrespiel unterteilen in die Zeit vor und die Zeit nach dem Bossa. Aber ich kann nicht sagen, welcher Stil der bessere ist.

Können Sie uns einmal den Unterschied zeigen?
Nun, vorher spielte man so: bossa-nova.mp3

Der Bossa Nova kam aus der Mittelschicht. Aber er hat den typischen brasilianischen Swing nicht verloren, sondern nur etwas gedämpft. Und der Bossa veränderte die Art des Gesangs. Den Zeiten der aus tiefster Brust singenden Interpreten setzte er ein Ende. Von nun an konnte alle Welt singen, selbst wenn man über eine nur schwache Stimme verfügte.

Danach kam die Tropicália-Bewegung (1968), die sehr stark und prägend war. Tropicália umarmte bereits die globalen Trends, die Globalisierung der Musikwelt. Sicherlich war sie nicht der Sargnagel für den Bossa, aber nach ihr begann dann das allgemeine Durcheinander. Es folgte die "Passeata das guitarras", eine Anti-Gitarren-Bewegung. Da ging es nicht gegen die Gitarre an sich, sondern gegen die Art und Weise, wie sie gespielt wurde. Als Resultat sieht man heute, dass es keinen wirklichen großen brasilianischen Gitarristen gibt, der brasilianische Musik spielt. Entweder spielt er zu 80% Rock’n Roll oder zu 80% Jazz. Aber ein wirklicher brasilianischer Gitarrist? Hört man sie spielen, so scheinen sie eher Amerikaner als Brasilianer zu sein.

Aber warum war es mit dem Bossa Nova so schnell wieder zu Ende?
Weil die Tropicália und die MPB, die Musica Popular Brasileira, auftauchten. Tropicália umarmte den Bossa Nova, und qualitativ war die Musik auch gut. Allerdings öffneten die Richtungen das Genre um es jugendlicher zu machen. Und das brachte eine andere Soundcharakteristik in die brasilianische Musik ein, die von allen begrüßt wurde. Wer diesen Prozess eingeleitet hat, weiß genau, wo der rote Faden verläuft, wo die Anschlüsse und Überleitungen sind. Aber viele, die danach kamen, haben diese Verbindung verloren und die Entwicklung begann in andere Richtungen zu laufen. Und in diesem Moment kommt das Big Business ins Spiel.

Was war geschehen? Plötzlich war die Figur des Interpreten an sich unglaublich wichtig geworden. Selbst die Komponisten begannen zu singen. Und nicht nur die Guten jener Zeit wie Jair Rodrigues, Elis Regina und Agustinho dos Santos. Der Markt öffnete sich für alle, die singen wollten und die meisten Sänger hatten keine großartige Stimme und keinerlei künstlerische Vision. Und damit begann der Abstieg. Aber den Leuten gefiel es, und die nachfolgenden Generationen verloren die Verbindung zu den Ursprüngen. Sie verstehen nicht, dass es einen Unterschied gibt zwischen Musik und Kunst. Aber es gibt sie, die Kunst hinter all diesem.

Aus diesem Grund ging es mit dem Bossa zu Ende. Er ist Musik mit Qualität! Und alles, was eine gewisse Qualität hat, verschwindet früher oder später vom Markt. Trotzdem ist der Bossa nicht gänzlich verschwunden, lediglich vom Markt. Heutzutage findet man keine Radiostation mehr, die Qualitätsmusik spielt. Natürlich ist der Begriff Qualitätsmusik sehr relativ, aber er ist mit dem Begriff Kunst verbunden. Und nicht ein bloßes Mittel zum Geldverdienen.

Text, Interview + Fotos : Thomas Milz

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